„Und dieser Herr glaubt tatsächlich ein Buch über meine Landsleute und mich schreiben zu müssen. Dagegen wäre natürlich nichts einzuwenden, vorausgesetzt er hielte sich an die Wahrheit. Doch wenn er uns unisono verdächtigt, wir würden zur russischen Mafia gehören, betrieben Geldwäsche, Waffenschmuggel, Drogenhandel, trinken schon am Vormittag Wodka und verprügeln obendrein mindestens einmal am Tag unsere Frauen! So etwas müssen wir uns nicht bieten lassen!“ Er legt eine Pause ein, danach fährt er erstaunlich aufgeräumt fort: „Nehmen Sie zum Beispiel mich! Ich bin Mathematiker und habe an meiner Bank den algorithmischen Aktienhandel eingeführt. Das wir damit inzwischen wie selbstverständlich arbeiten, hat man mir zu verdanken. Ich alleine habe die dafür notwendige Software geschrieben. Code für Code, Nacht für Nacht. Am Tag hatte ich andere Dinge zu erledigen. Das ging ein gutes Jahr so. Unter dem Strich ist es mir gelungen, die Mentalität meiner Landsleute in die Software einzubauen. Ich habe ihre Ängste, ihren Optimismus, ihr Schwanken, überhaupt, unsere russische Denke in Formeln gepackt. Doch Russland ist bekanntlich groß, unser Land hat viele Nationalitäten. Die meisten haben ihre ureigene Mentalität. Ein Tatar ist kein Baschkire, ein Tschetschene kein Russe. Manche befragen den Mond, andere die Sterne oder die nächsten lauschen auf jedes Wort ihres Popen oder Imans, andere wieder auf das, was Putin ihnen zu sagen hat. All das gilt es zu berücksichtigen. Ich kann mit Stolz behaupten, ich habe es halbwegs hinbekommen. Mittels meiner Software kann ich voraussagen, welche Entscheidung unsere Anleger in der jeweiligen Situation treffen wird. Das und nichts anderes ist die Quelle, aus der sich mein Vermögen speist! Und nun frage ich Sie: Was in Gottes Namen ist daran verwerflich? Bisher konnte es mir niemand sagen. “
„Ich auch nicht! Nur eins möchte ich Ihnen empfehlen: Gehen Sie gegen diesen Brandt juristisch vor! Wir haben in Deutschland nicht nur gute Zahnärzte, wir verfügen über ebenso gute Anwälte!“
„Das müssen wir anders hinbekommen! Ohne die Sache vor einem Gericht breitzutreten!“, höre ich eine Frauenstimme in unserer unmittelbaren Nähe sagen.
Überrascht wende ich mich der Stimme zu. Eine gut ein Meter siebzig große, gertenschlanke und ungemein drahtige Frau steht einen Meter seitlich von uns entfernt. Selbst mit geschlossenen Augen würde man erkennen, dass die Frau Tänzerin ist. Folglich müsste sie Kutusows zweite Ehefrau Elena sein. Die berühmte Ex-Primaballerina vom Bolschoi Theater. Auch das weiß ich von meinem Vermieter. Sie ist mindestens zehn Jahre jünger als ihr Mann. Ihr dunkles Haar, durchzogen von ein paar grauen Strähnen, hat sie im Nacken zu einem Knoten zusammengeführt. Sie ist keine Schönheit, dafür sind ihre Gesichtszüge ein wenig zu derb geraten, auch ihr schmaler Mund spielt nicht mit. Dennoch strahlt sie eine ungemeine Präsenz aus. Diese Frau zu übersehen, halte ich für nahezu unmöglich. Und das gilt nicht nur für die Bühne.
„Elena! Was machst du hier?“, fragt Kutusow streng. Er gibt sich keine Mühe zu verbergen, dass es ihm nicht passt, sie hier zu sehen.
„Valerie entschuldige, ich suche Dostojewskis ‚ Schuld und Sühne ‘. Aber ich finde das Buch einfach nicht! Haben wir es überhaupt?“
„Selbstverständlich haben wir unseren Dostojewski!“ Der Hausherr kann seine Wut über eine derartige Frage nur mühsam unterdrücken. Offensichtlich hat ein gebildeter Russe dieses Werk stets zur Hand. „Es muss sogar eine Erstausgabe dabei sein“, fügt er mit eisiger Stimme hinzu.
Plötzlich entdeckt Elena Kutusow mich und kommt strahlend einen Schritt auf mich zu geschwebt „Ich ahne, wer Sie sind!“. Wobei ich den Eindruck habe, dass sie die Gabe besitzt, beim Gehen nicht den Parkettboden zu berühren, sondern es aus unerfindlichen Gründen versteht, über ihn hinweg zu schweben. Ihr Körper scheint in der Lage zu sein, die Gesetze der Schwerkraft zu ignorieren. Mit ihren dunkelbraunen Augen schaut sie mich schelmisch lächelnd an. „Sie sind der Herr Marowski! Der Privatdetektiv für die ganze Stadt! Unser lieber Freund Dr. Wohlleben hat Sie uns ans Herz gelegt. Und ich weiß: Sie sind sein Mieter!“
Ich lächle zurück. „Alles richtig!“ Beinahe hätte ich noch gnädige Frau hinzugefügt, konnte es jedoch noch geradeso unterdrücken.
„Übrigens, unser lieber Doktor, hat eine sehr hohe Meinung von Ihnen. Er ist überzeugt, dass Sie ein ausgezeichneter Kriminalist sind, der engagiert seinen Job erledigt. Auch wenn Sie hin und wieder ein wenig schläfrig wirken, davon sollte sich niemand täuschen lassen!“
Ich lache. „Nun, wenn Doktor Wohlleben es sagt, dann wird es wohl stimmen! Im Übrigen kann man in meinem Beruf wache Augen gut gebrauchen!“ Ich erhebe mich und reiche ihr die Hand. „Und Sie müssen Frau Elena Kutusow sein, die Ex-Ballerina vom Bolschoi.“
„Exakt, die bin ich! Es freut mich, dass Sie mich sofort erkannt haben. Wissen Sie, ich habe in Ihrem Land eine Menge Bewunderer. Was ich selbstverständlich zu schätzen weiß.“ Wir schütteln uns herzlich die Hand. „Herr Marowski, es wäre in jeder Beziehung zu begrüßen, wenn es zu keiner Veröffentlichung dieses fürchterlichen Pamphlets käme. Brandt verunglimpft uns Russen. Möglicherweise mag er uns nicht. Hat schlechte Erfahrungen mit uns gemacht. Ein Landsmann von uns hat vor ihm ausgespuckt oder ihn bestohlen oder ist rüde gefahren und hat sein Auto beschädigt! Aber, was haben mein Mann und ich damit zu tun. Wir stehlen, schlagen und spucken nicht! Alleine der Gedanke wie unsere zahlreichen deutschen Freunde auf ein Buch, in dem so viel schlechte Dinge über uns stehen, reagieren könnten, bereitet uns beiden allergrößtes Unbehagen.“
Kutusow quittiert die Szene mit einem zufriedenen Nicken. „In dem Punkt stimmen meine Frau und ich uneingeschränkt überein. Elena, setz dich doch zu uns!“
„Ich würde ja gerne, aber dazu reicht meine Zeit nicht!“ Zu mir gewandt fährt sie fort: “Ich muss in zwei Stunden im Karlsruher Theater sein. Die Leitung des dortigen Balletts möchte mich für die Choreographie eines Tschaikowsky Stücks gewinnen. Wenn die Bedingungen stimmen, werde ich wohl zusagen. Die sollen nämlich derzeit eine ganz anständige Company beieinander haben!“ Sie schenkt mir abermals ein Lächeln, ihren Mann dagegen übersieht sie erneut. „Also, meine Herren, einen schönen Tag noch.“
Elena Kutusow ist schon in der Nähe der Tür, da dreht sie sich noch einmal zu uns um. „Ach Valerie, spricht was dagegen, wenn Boris mich nach Karlsruhe fährt?“
„Nehmt den Maserati! Der sollte wieder mal gefahren werden. “
„Danke, Valerie! Es kann spät werden!“ Elena Kutusow verlässt, eine Melodie trällernd, schwebend den Raum.
„Nun haben Sie auch meine Frau kennen gelernt!“ Kutusow knetet wie befreit an seinem Schnauzer herum. „Kehren wir zu unserem Manuskript zurück! Ich habe bisher lediglich ein paar Seiten dieses Machwerks gelesen. Sie wurden mir zugespielt. Keiner von meinen Landsleuten, einschließlich meiner Wenigkeit, kommt darin gut weg! Deshalb sind wir fest entschlossen, eine Veröffentlichung, wenn es sich irgendwie einrichten lässt, zu vermeiden.“ Kutusow bearbeitet weiter seinen Schnauzer. „Das Buch „ Die reichen Russen in Baden-Baden “ gehört nicht in eine Buchhandlung, sondern hat dort seinen Platz!“ Kutusow zeigt entschlossen auf den Safe.
„Wie viel bieten Sie dem Verfasser?“
„Fünfhunderttausend! Euro!“
Ich stoße einen Pfiff aus. „Und mich haben Sie dazu auserkoren, bei dem Herrn Sachbuchautor das Geld vorbeizubringen?“
„Ja!“
„Warum fahren Sie nicht selbst zu ihm? Ich meine, Ihr Deutsch ist absolut verhandlungsfest! Sollten Sie Angst haben alleine hinzufahren, könnte ich Sie begleiten!“
Читать дальше