Nach einer gefühlten Stunde merkte ich, dass es plötzlich kälter wurde. Ich blinzelte mit vorgehaltener Hand zur Sonne hinauf, aber die strahlte unermüdlich von oben herunter. Als ich mich aufsetzte, sah ich sie auf der Buhne sitzen, mit dem Blick auf das Meer hinaus. Ich hatte keine Ahnung, ob sie mich hinter sich bemerkte. Fröstelnd zog ich mein T-Shirt an, nahm das Handy und wartete, bis sie sich umdrehen würde. Und das tat sie auch, ganz unvermittelt um und dann geschah etwas, womit ich überhaupt nicht gerechnet hatte.
Sie sagte: »Bitte hilf mir!«
Es dauerte eine ganze Weile, bis ich registrierte, was sie meinte.
»Wobei?«, fragte ich.
Sie drehte sich wieder Richtung Meer und ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, aufzustehen und mich zu ihr zu setzen, doch schon war sie weg und mit ihr die Kälte.
Ich war so verwirrt, dass ich nicht wusste, was ich denken sollte. Schnell packte ich meinen Rucksack und radelte zurück nach Hause.
Was passiert da mit mir?
Meine Eltern wunderten sich, dass ich wieder zurückkam, nachdem wir doch ausgemacht hatten, uns am Nachmittag am Strand zu treffen. Ich konnte im Moment nicht mit ihnen darüber reden, denn ich hatte das Gefühl, sie würden mich nicht verstehen. Ich log ihnen Bauchschmerzen vor und schickte sie alleine zum Strand. Sie fanden es sehr schade, konnten aber verstehen dass man mit Schmerzen keine Lust auf Baden hatte.
Als sie weg waren, legte ich mich auf mein Bett und versuchte mich nochmal genau an die Situation von vorhin zu erinnern. »Hilf mir!«, hatte sie gesagt und es klang sehr eindringlich.
Wobei könnte ich ihr helfen , lies ich mir durch den Kopf gehen, ich kenne dieses Mädchen doch gar nicht und sie mich genauso wenig .
Und sie hatte wieder das gleiche Kleid an, irgendetwas stimmte da nicht, da war ich mir sicher. Ich fühlte mich plötzlich doch nicht mehr so gut alleine, hatte das Gefühl mit jemandem reden zu müssen. So beschloss ich Sören anzurufen. Ein wenig Schiss hatte ich schon davor, mich einfach bei ihm zu melden, aber ich war mir sicher, dass er genau der Richtige wäre, um über diese seltsame Begegnung zu reden. Ich ging hinunter zur Garderobe und suchte in den Taschen meiner Jacke nach dem Zettel mit der Telefonnummer, den mir Sören nach unserem letzten Zusammentreffen gab. Nach einigen benutzten Taschentüchern und meiner Lippenpomade kam er dann auch zum Vorschein. Ich nahm das Telefon aus der Ladestation im Wohnzimmer, setzte mich auf die Couch und wählte seine Nummer.
Es dauerte eine Weile bis eine Frauenstimme sagte:
»Anderson, hallo?«
»Hallo Frau Anderson, hier ist Sophie, ist Sören zu sprechen?«, sagte ich und mein Herz raste dabei, was mir sehr albern vorkam, aber ich konnte es nicht kontrollieren.
»Hallo Sophie, ja einen kleinen Moment bitte, ich gehe ihn holen«, antwortete sie.
Ich hörte wie sie mit dem Telefon in der Hand durch einen Raum ging, dann eine Treppe hinauf und sie rief
»Sören, da ist eine Sophie für dich am Telefon!«
Eine Tür ging auf und dann erkannte ich Sörens Stimme, die antwortete: »ok, ich komme!«
»Hallo Sophie«, sagte er. »Wie geht es dir?«
Mir wurde warm, als ich seine Stimme hörte und ich hatte das Gefühl ein Lächeln in seinem Gesicht sehen zu können.
»Hättest du vielleicht Zeit? Ich muss dir unbedingt etwas erzählen, aber nicht hier am Telefon«, sagte ich.
Eine kurze Pause.
»Ok, lass uns zum Strand fahren, ich hole dich ab«, antwortete er.
»Super, bis gleich!« erwiderte ich.
Jetzt war ich erleichtert, weil er kommen würde, und aufgeregt zugleich.
Wie wird er auf die Geschichte von dem Mädchen reagieren?
Ich knipste den Fernseher an, um mich ein wenig abzulenken und wartete mit gemischten Gefühlen. Kurze Zeit später klingelte es an der Tür. Ich ließ Sören herein und bat ihn, erst einmal mit in mein Zimmer zu kommen, bevor wir an den Strand fahren würden, denn ich wollte mit ihm alleine reden und am Strand waren meine Eltern. Damit machte ich ihn neugierig. Er hob die Augenbrauen und ein verschmitztes Lächeln umspielte sein Gesicht. Ich bot ihm an, sich auf meinen Schreibtischstuhl bequem zu machen und ich setzte mich auf das Bett. Ich wusste gar nicht, wie ich anfangen sollte und bereute schon fast, ihn zu mir herbestellt zu haben. Doch dann fing Sören an zu reden.
»Sag doch einfach, was du auf dem Herzen hast, so schlimm kann das doch nicht sein, oder?«
Offensichtlich spürte er meine Unsicherheit ganz deutlich und ich entspannte mich langsam. Ich fing an ihm von dem Mädchen zu erzählen, von der ersten Begegnung, von der zweiten und dritten und von meinem missglückten Versuch, ein Foto von ihr zu machen. Sören sah mich an ohne etwas zu sagen.
Oh Gott, er wird mich gleich auslachen , dachte ich und sah nach unten auf meine Finger, die ich gedankenverloren knetete. Nach einer Weile, in der nichts dergleichen passiert war, wagte ich es wieder aufzusehen und bemerkte, wie Sören, mit einer tiefen Falte zwischen seinen Augen, vor sich hin starrte. Ich beobachtete ihn und plötzlich drehte er sein Gesicht und sah mir direkt in die Augen.
Jetzt kommt‘s , dachte ich.
»Kann ich das Foto mal sehn?«, fragte er.
Ich war so überrascht darüber, dass das alles war, was er dazu sagte, dass ich erst einmal gar nicht reagierte.
»Kann ich?«, wiederholte er und stupste dabei meinen Arm an.
»Eh…, klar kannst du, Moment, ich hole es schnell«, antwortete ich.
Ich ging zu meinem Schreibtisch, öffnete die oberste Schublade, holte das Bild heraus und gab es ihm. Sören nahm das Foto und sah es sich an. Er betrachtete es lange, mit der gleichen Falte zwischen den Augen, wie schon vorhin. Er hielt es sich näher ans Gesicht, drehte und wendete es in alle Richtungen und als ich schon dachte, er würde gar nichts mehr sagen, bemerkte er plötzlich:
»Du Sophie, ich denke das ist ein Geist«.
»Spinnst du?!«, entfuhr es mir, um gleich darauf los zu prusten. Ich lachte, bis mir Tränen in die Augen stiegen.
Doch dann sah ich sein Gesicht und mir wurde klar, dass er es ernst meinte und ich fühlte mich unwohl.
»Wie, um alles in der Welt, kommst du auf einen Geist?«
»Ja weißt du, meiner Meinung nach, kann es sich nur um einen handeln. Erstens, dieser helle Fleck auf dem Bild. Ich habe schon oft davon gehört, dass Geister dieses Licht über sich haben, wenn sie auf einem Foto erscheinen. Zweitens, hast du schon mal ein Mädchen gesehen, das immer das gleiche Kleid trägt?
Von jemandem, der immer an der gleichen Stelle sitzt und von einer Sekunde auf die andere verschwindet?«, erklärte er, als wäre es das natürlichste auf der Welt, einem Geist zu begegnen.
»Willst du damit sagen, dass ein Geist mich darum gebeten hat, ihm zu helfen?«, fragte ich.
»Ja, scheint so«, sagte er und ein breites Grinsen zog sich über sein Gesicht, »das ist ja so was von cool.«
»Cool?«, fragte ich, »wohl eher unheimlich, wenn du mich fragst.«
Ich spürte wie eine Gänsehaut meine Arme und meinen Rücken hochkroch. Geister und Geistergeschichten hatten mich schon immer interessiert. Nicht nur einmal hatte ich mir gewünscht, eines Tages selbst einem zu begegnen, aber jetzt, da es Wirklichkeit wurde, war mir doch ein wenig gruselig zu Mute. Sören holte mich aus meinen Gedanken.
»Komm schon Sophie, dieser Geist ist mit Sicherheit kein böser, denn er hat dich um Hilfe gebeten und du selbst hast gesagt, das Mädchen würde sehr traurig wirken. Wäre es nicht toll, wenn wir ihr wirklich helfen könnten?«
Er lächelte und ich konnte bei diesem Anblick nicht anders, als selbst zu lachen.
Ja, Sören hat Recht. Ein Geist bittet mich um Hilfe, also werde ich ihm helfen und mit Sörens Hilfe werde ich das auch schaffen , dachte ich mir und dieses Gefühl machte mich glücklich.
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