Bettina Gugger
short cuts
© 2020 boox-verlag, Urnäsch
Alle Rechte vorbehalten
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Coverbild: Janet Müller, «Faces» (2018, Tusche auf Japanpapier), www.muellerjanet.com
Covergestaltung: Remo Gmünder
Porträtfoto: Marius Stalder
Lektorat: Tanja Steinlechner
Korrektorat: Beat Zaugg
ISBN
978-3-906037-59-2 (Hardcover)
978-3-906037-61-5 (ebook)
Mit 1% seiner Einnahmen unterstützt der Verlag eine Umweltschutzorganisation.
Dieses Label bürgt nachprüfbar für zusammengefassten Umweltschutz im Buchprodukt.
Bettina Gugger wurde 1983 in Thun geboren. Sie studierte Theaterwissenschaft, Deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft in Bern und literarisches Schreiben in Biel .
Für ihren Erzählband «Ministerium der Liebe» erhielt sie 2018 den Literaturpreis des Kantons Bern .
Die vorliegenden «short cuts» entstanden während ihres zweijährigen Aufenthalts im Engadin .
Ihre aktuellen Kolumnen und Reportagen finden sich auf www.bettinagugger.ch .
Die Autorin lebt und arbeitet seit Kurzem in Burgdorf (Kanton Bern) .
short cuts
Arvenfee
Im Windschatten
Schönster Tag
Sweet Potato
Emma
Love or Run
Sprungturm
Museum der Liebe
Brombeerlimonade
Andri
Eröffnungsfeier
After hour
Süsom Givè
Sarah schreitet die Felder ab, als würde sie sie vermessen. Das letzte Heu wurde erst vor ein paar Tagen eingebracht. Die Lärchen leuchten gelb.
Ihr Gang hat etwas Gebieterisches. Ihre Kraft hat Pascal vom ersten Augenblick an gefesselt. In gleichem Masse wie sie ihn anzog, ängstigte sie ihn. Sarah weiss das aber nicht. Dass er sich insgeheim vor ihr fürchtet. Sie sucht in den Feldern nach Käfern, Grillen und Gräsern, die sie von zu Hause kennt. Rumänische Geziefersuche, wie Pascal es nennt. Sarah mag das Wort «Geziefer», es klingt irgendwie nach einem wohligen Seufzen, nach Behaglichkeit und nicht nach «Schädling». Die Videoaufnahmen der Käfer schneidet sie zusammen und unterlegt sie mit einer Tonspur aus lokalen Gedichten, vorgetragen von Bauern, Lehrern oder Kindern. Er hingegen fotografiert Turnhallen und Lagerräume bei Nacht. Pascal verabscheut Neonlicht, und dennoch flattert er mit seiner Linse wie eine Motte um die Leuchtkörper herum, nicht wissend, was er eigentlich sucht.
«Was suchst du denn bloss in deinen Nachtlagern?», hatte sie ihn anfangs gefragt.
Damals dachte sie noch, dass er vielleicht irgendwelche geheimen Praktiken pflegte, dass ihn diese Orte irgendwie sexuell erregten. Man weiss ja nie. Manchmal stellt sich dieses seltsame Gefühl bei ihr wieder ein, wenn er nachts seinen Rucksack packt und mit seiner hautengen Trainingshose auf sein Rad steigt. Sarah fragt sich, ob es irgendein Mittel gibt, das einen davor bewahrt, die ewig gleichen Gewohnheiten des Partners irgendwann zu verurteilen. Selber kommt man natürlich nie auf den Gedanken, das eigene Schnäuzen oder Niessen als lästig zu empfinden. Also muss es eine Art Schutzmechanismus geben, der einen vor der Verschmelzung mit dem Partner warnt. Befremden als fortgeschrittene Liebe.
In solchen Phasen versucht sie sich für Pascals Arbeit zu interessieren. Meist hilft das, und ein Barren oder ein Pferd wecken auch in ihr Kindheitserinnerungen, wenn auch nicht sehr romantische, da sie ein rundliches, ungeschicktes Kind war, das auf Gymnastikgeräten keine gute Figur machte.
Nun geniessen sie nach siebenjähriger Beziehung zusammen einen Stipendienaufenthalt in den Schweizer Bergen, «am Arsch von Nirgendwo», wie es Sarah ausdrückt.
«Im Engadin, da wo Segantini das Licht neu erfunden hat und der Armut Anmut verlieh», pflegte hingegen Pascal zu Hause ihren amerikanischen Freunden zu erklären.
Jedenfalls erfährt ihre Beziehung gerade eine neue Feuerprobe.
«Eine Feuerprobe erfährt man nicht», sagt Pascal genervt, «man durchläuft sie.»
Es ist nicht leicht, Tag und Nacht zusammen zu sein. Zu Hause hat wenigstens jeder sein Zimmer, seine Verpflichtungen, seine Freunde. Dazu kommt, dass ihre Beziehung hier plötzlich im Fokus steht, ausgeleuchtet von den anderen Künstlern.
«Das bildest du dir nur ein!», sagt Pascal.
«Natürlich bilde ich mir das nicht nur ein!», protestiert Sarah. «Sie beobachten uns. Wir beobachten sie ja auch.»
«Ja und?», fragt Pascal genervt.
Jetzt könnte sie einen Streit vom Zaun brechen. Dass es sehr wohl einen Unterschied macht, ob er sie zu Hause anschnauzt oder vor Publikum. Dass er sich durch sein Verhalten selber in ein schlechtes Licht rückt und dass sie das belastet, seine Gereiztheit. Sie überlegt.
«Ich habe den Eindruck, dir geht’s nicht so gut hier.» Jetzt hat sie sich wieder missverständlich ausgedrückt. Es klang vorwurfsvoll.
Pascal lacht überspannt. «Mach dir um mich mal keine Sorgen». – «Wir sollten uns mehr in der Gruppe einbringen», sagt Sarah. «Wir kommen immer zu spät zum Essen und helfen nicht gerade oft beim Abwasch. Das kommt bei den anderen nicht gut an. Ausserdem haben wir schon lange nicht mehr gekocht.» – «Wenn der Kochplan voll ist, kann man sich ja nicht mehr eintragen. Sollen die kochen, die’s gerne machen. Ich bin genügend ausgelastet mit meiner Arbeit», sagt Pascal.
Die Hausordnung des Künstlerhauses, das zehn Atelierplätze Künstlern aus aller Welt zur Verfügung stellt, sieht vor, dass sich die Gruppe zum allabendlichen Essen trifft, um sich auszutauschen. Gekocht wird abwechselnd, wobei mittlerweile ein richtiger Wettbewerb um den besten Koch entbrannt ist.
«Siehst du, das mein ich. Du bist nicht der Einzige, der konzentriert seine Arbeit verfolgt. Wir sollten der Gruppe mehr Interesse entgegenbringen. Mich belastet es, wenn uns die anderen mit Schweigen abstrafen. Irgendwann hat man einfach keine Lust mehr, auf jemanden zuzugehen, der einem die kalte Schulter zeigt.»
Pascal streicht Sarah über die Wange.
«Nun gut, dann wollen wir morgen Abend das Kochen übernehmen. Wollen wir Fleisch kaufen?»
Sarah überlegt. «Die Hälfte der Gruppe isst doch vegetarisch», wendet sie ein.
«Ich habe trotzdem Lust auf Fleisch», sagt Pascal.
«Fünf Kalbsfilet-Stücke dürften drin liegen. Ich kümmere mich drum», sagt Sarah. «Und was gibt’s dazu? Polenta?»
«Risotto», schlägt Pascal vor, «dann brauchen wir nicht noch eine zusätzliche Beilage.»
«Minimalist!», stöhnt Sarah.
«Ach komm! Ich rühr dafür den Risotto! Du kannst ja noch einen Salat machen.»
So schlafen sie aneinander gekuschelt ein, das heisst, sie schläft. Er versucht gedanklich dem lauten Rauschen des Flusses zu entfliehen. Es dringt in ihn ein. In jede seiner Zellen. Sein ganzer Körper rauscht. Am nächsten Morgen hat er das Gefühl, dass seine Hirnmasse zur Hälfte geschrumpft ist, weggespült vom zielstrebigen Fluss, der den Südtirolern die besten Marillen Europas beschert. Der Ort erlangte Anfang des 20. Jahrhunderts wegen seiner über zwanzig Mineralquellen den Status des vornehmen Kurortes, bekannt für seine Trinkkuren, mit denen sogar die Syphilis bekämpft wurde. Und heute logieren sie als Künstler im ehemaligen Badehaus neben der verwitterten Trinkhalle, aus der immer noch die drei Quellen Lucius, Bonifacius und Emerita sprudeln.
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