Die unausbleiblichen Katastrophen haben denn auch gleichfalls eines gemeinsam: ihre Tendenz um, jeweils proportional zu Gröβe und Stärke der eingesetzten "Vermeidungsmittel", immerfort zu wachsen. Und zwar ins Riesenhafte, wie die neuere Geschichte nur allzu deutlich macht.
Aber es gibt ja so etwas wie Wachstumsgrenzen. An die zu stoβen für jeden Wirtschaftskapitän, und vor allem auch für seine Beschäftigten, ziemlich schmerzhaft ist. "Gesundschrumpfen" ist da die Parole. Wenn das nicht gelingt, dann hat der Betrieb abgewirtschaftet.
Es bedarf keiner weiteren Ausführungen um klarzustellen, dass jene bei Toynbee beschriebenen historischen, tendenziell bisher immer nur gesteigerten Katastrophen ganz einfach nicht mehr gesteigert werden können und dürfen. Ein Gorbatschow hat das begriffen und die Welt vom atomaren Wettrüsten-Alptraum befreit. Der Betrieb hatte nicht abgewirtschaftet, "Gott hatte ein Einsehen" bezw. "Allah ist allbarmherzig", sagten oder dachten die Gläubigen.
Zu früh gejubelt: dass ein Bin Laden oder sein(e) Nachfolger jemals irgend etwas einsehen könnte(n), dies ist so gänzlich ausgeschlossen dass es tatsächlich nur noch eine Frage der Zeit ist bis in London, New York oder Paris die Atombomben – "dirty" oder nicht – losgehen, oder bis ein Passagierflugzeug in einen Atommeiler gelenkt wird.
"Die USA werden Bin Laden früher oder später fassen" – es sei so (2/5/2011: done ). Zu früh gejubelt: der Nachfolger steht schon längst in den Startlöchern. "Sie werden ihn gleichfalls fassen!" – es sei so. Zu früh gejubelt: In der islamischen Welt gibt es Zehntausende von in Frage kommenden geschulten, fähigen und vor allem fanatisierbaren Köpfen. Eine Sisyphusarbeit, für die weder die US-Armee noch irgend eine andere ausreicht, mal ganz abgesehen davon, dass sie dafür nicht konzipiert sind.
Nun, man kann bei Toynbee im Detail nachlesen, dass und warum vergleichbare Sisyphusarbeiten und/oder eine aus der bekannten "Uns-kann-keiner"-Überheblichkeit heraus geborene Geringschätzung des Gegners bisher immer den Untergang der jeweiligen Groβmacht bedeuteten. Nicht sehr ermutigend.
Geradezu erschütternd jedoch der Gedanke, dass jeder einzelne von jenen Zehntausenden von in Frage kommenden geschulten, fähigen und vor allem fanatisierbaren Köpfen über Vernichtungspotentiale verfügen könnte wie alle Tamerlans und Hitlers zusammen sie nicht besaβen. Man kann sich auch ungefähr vorstellen dass, und ausrechnen wann, mal aus diesem "könnte" ein "wird" werden wird ["(...) radioaktives Material ist leicht zu beschaffen und verschwindet tagtäglich"; Quelle: AG Friedensforschung , Kassel; update Fri, Sep 25, 2015: "ISIS plans a 'nuclear 'tsunami' that want to wipe hundreds of millions from face of the earth", express.co.uk/news/world/607737/ISIS-(...)]. Dies nun ist das was wir – im Vergleich mit der bisher aufgefahrenen "Artillerie" – mit dem Namen "dicke Bertha" belegen dürfen, nein müssen. Aber gottseidank: Die Gefahr ist längst erkannt. USA, Nato und UNO sowie sämtliche betroffenen think tanks schwitzen schon seit einer halben Ewigkeit über diesem Problem.
Wir müssen sie schwitzen lassen, ad vitam aeternam. Denn im Rahmen ihrer Vorgaben und wissenschaftlichen Methoden können sie ganz einfach nicht fündig werden. Einer der einfacheren Gründe ist noch jener, den wir uns jetzt mal in Form eines wirklich schönen Blumenberg-Zitats zu Gemüte führen wollen: "Die Bürokratie wird jederzeit versagen, wenn sie es mit konzentrierter Intelligenz zu tun bekommt, auch wenn sie an der Illusion festhält, sie müsse sich nur vergröβern, um jede Kontrollaufgabe zu meistern."
Ein anderer, für uns alle wohl schwerer zu akzeptierender Grund ist ein den meisten Philosophen spätestens seit Heidegger bekannter Sachverhalt, der in dessen Buch "Was heiβt Denken?" etwas überspitzt mit "wir können nicht denken" umschrieben wird. Weil dies aber unsere Problemstellung nur tangiert, mag Folgendes zur Verdeutlichung ausreichen: "Was die Meisten unter Denken verstehen, das ist es leider nicht. Was sie als Denken bezeichnen, ist nur ein Kartographieren der Wirklichkeit mittels Beschreibung derselben anhand von schon bestehenden Rastern wie Meβbarkeit und Nachprüfbarkeit. Dies, liebe Anwesende, ist nicht Denken sondern Wiederholen. Und nichts mehr als das!" so Prof. Oudemans, Leiden, in einer Vorlesung über Wijsgerige Antropologie [evtl., pour mémoire: "Objektivität und Wahrheit nicht dasselbe", und "die Wahrheit kann den Schein der Wahrheit gegen sich haben, und sie kann selbst des Scheins entraten"].
Wirklich hoffnungslos, wenn man bedenkt, dass die nur in einigen Messern "konzentrierte Intelligenz" schon für die Twin Towers ausgereicht hat.
Hier nun wären wir bei den soeben erwähnten zwei Preisschildchen angelangt. Das erste, wir nennen es mal "GWB-Schildchen", ist an "Bush's merchandise" geheftet [...oder jetzt "Obama's merchandise" (vielleicht besser und generell: "the President's merchandise") – er wollte ja bekanntlich die Truppenstärke in Afghanistan aufstocken, und nach Bin Laden's Tod wieder abbauen. Dieses Land jedoch ist weder zu erobern noch von auβen her zu befrieden und könnte, wenn überhaupt, nur durch die in Kapitel 7 angeführten und in allen Schulen zu lehrenden historischen Tatsachen betreffs "Mohammed" definitiv beruhigt werden; andernfalls, früher oder später: der Horror "Taliban/Pakistan/Atombombe" – was übrigens Pakistan betrifft, so weiβ man dass dessen Geheimdienst schon mal die Taliban (mit)finanziert ]. Diese "merchandise" ist, obwohl völlig nutzlos wie wir gerade sahen, doch für simple Gemüter wirklich imponierend. Um ehrlich zu sein: sehr viel imponierender als jene der assyrischen Teglathphalasar, Salmanasar, Sargon und wie sie alle hieβen, die ja schlieβlich weder Raketen noch "think tanks" hatten – jedoch, genau wie Bush/Mister President, "une foi totale dans la vertu souveraine de l'offensive", also "ein totales Vertrauen in die souveräne Macht der Offensive" (ob mit "klassischen" Bodentruppen oder mit "outsourced" – d.h. illegalen – drones -Einsätzen ist hier völlig unerheblich).
Aber wenn die Lektüre Toynbees oder Sorokins jemals auch nur eine einzige Funzel entzündet hat, dann ist es diese: es ist regelmäβig der in erster Instanz als "underdog" Erscheinende der gewinnt. Toynbee macht diese Gesetzmäβigkeit zuerst an dem unscheinbaren, gegen die gepanzerte Riesenechse antretenden pelzigen Säugetierchen fest, das unser entfernter Vorfahr ist; was wir durchaus auch mit "Guderian contra Maginot-Linie" vergleichen dürfen. Sodann am genauso unscheinbaren, von Goliath ausgelachten David. Und zeigt dann die schon fast begeisternde, wirklich "objektiv dialektische" Gesetzmäβigkeit mit der Assyrer, Osmanen, Achemeniden, Mazedonier, Mamelucken, Timuriden, Römer, Inkas, Mongolen, Abbassiden, Preuβen e tutti quanti den Bach runter gingen.
Das jeweilige "Preisschildchen" war –
– nun ja, ein Klacks im Vergleich zu demjenigen, das an Mr. President's "merchandise" klebt. Aber bevor wir das zweite Preisschildchen studieren, muss von all den genannten Debakeln, das assyrische nun doch noch einmal kurz unsere besondere Aufmerksamkeit beanspruchen.
Nicht nur weil es so total war dass Xenophons Zehntausend, nur einige Jahrzehnte später, schon nichts Sicheres mehr über die ehemaligen Einwohner jener mysteriösen riesigen Ruinenstädte erfahren konnten, die sie auf ihrem Marsch zum Pontus durchquerten. Sondern auch weil Assyrien ja eine "Mark" war, deren eigentlicher Auftrag es war, die eigene "Welt", diesesfalls die babylonische, gegen äuβere Feinde zu schützen. Und nur gegen äuβere. Das Verhängnis begann denn auch unter Teglathphalasar III, der, nachdem sämtliche äuβeren Feinde erledigt waren, die geballte assyrische Macht d.h. ihre "technique de guerre d'extermination scientifique" (wissenschaftliche Vernichtungs-Kriegsführungstechnik) nun auch gegen das Innere der – eigentlich zu schützenden – babylonischen Welt richtete. Hier nun zeigt die Genesis dieses Debakels den historischen Präzedenzfall, wie die Menschen eines bestimmten Kulturgebietes gezwungen sind, sich mit äuβeren, im Prinzip feindlichen Mächten zu verbünden. Welche Allianz dann auch das Ende des assyrischen Schreckensregimes bedeutete; und, vor allem: welcher genannte Präzedenzfall schon hier und jetzt als mitbestimmend für die weitere Analyse angekündigt werden kann.
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