Denen das Heil zu bringen ja zwar zumindest jede der beiden missionierenden Weltreligionen (Christentum und Islam) verpflichtet ist, die sie aber unterdessen nicht als "verdammt" ansehen dürfen. Eben weil ja in und auβerhalb der sichtbaren Kirche, dem Anspruch der göttlichen Liebe geantwortet und entsprochen werden kann.
Dies also ist genau jener "archimedische feste Punkt", den wir benötigen um sämtliche Fundamentalisten auszuhebeln. Reicht vollkommen.
Wie bitte? sie wollen sich nicht aushebeln lassen?
Nun, also da gab's ja mal einen kurzen Wortwechsel in einem Symposium, als jemand triumphierend ein authentisches Papst-Zitat, nämlich "der Katechismus (...) ist eine Darlegung des Glaubens der Kirche und der katholischen Lehre" anbringen konnte, nachdem er fürs erste einmal darauf hingewiesen worden war, dass besagter Katechismus nur eine Zusammenfassung sei und keinesfalls die volle katholische Lehre darstelle. Sein Triumph war denn auch nur von kurzer Dauer. Trocken bemerkte sein Kontrahent "Eben . Eine . Bist nicht jesuitisch genug".
Und tatsächlich, im Koran steht etwas genauso "jesuitisch" Interpretierbares, nämlich Sure 13, 112: "der Koran (...) ist nur eine Bestätigung der früheren Offenbarungen und eine deutliche Erklärung (...)"
Eben. Eine . (Bis repetita placent).
Reicht das?
Leider gibt's im Islam keinen Papst, der diese oder gleichgelagerte Erkenntnisse ex cathedra verkündigen könnte; wohl aber Ulemas und Imame, die durchaus die Befugnis haben, die heiligen Texte zu interpretieren. Wir werden sehen. Vorerst: Bei Ernst Wiechert kann man trefflich ausgedrückt finden, wie jeder vernünftig Denkende diesen – und selbstverständlich allen anderen – heiligen Texten entgegenzutreten hat: "Ich habe dann Jahrzehnte meines Lebens an diese Dinge gewendet, Bibelkritik, vergleichende Religionsgeschichte, Völkerkunde. Das Leben hat das Seinige dazu getan, Erfahrung und Schicksal, und endlich war ich soweit, dass ich an der menschlichen Grenze stand, ohne die Arme zum Fliegen zu erheben. Dass ich auf dem grauen Grenzstein mich still niederlieβ, ohne ihn verrücken zu wollen. Dass ich mit frommen aber klaren Augen das Unerforschliche betrachtete. Dass ich niemals duldete, dass in meiner Gegenwart Spott mit einem Glauben getrieben wurde. Aber dass die Lehre des Buddha mir ebensoviel war wie die des Mohammed oder die Mose oder Christi. Ebensoviel an Recht, an Wahrheit, an Offenbarung. Und dass die Parabel von den drei Ringen mir immer als eines der edelsten Zeugnisse menschlicher Haltung erscheint, so wie die Lehre Spinozas mir immer als einer der makellosesten Versuche erscheinen wird, unser Weltbild in die eisige, staubfreie Atmosphäre zu werfen, wo, fern aller menschlichen Bedürftigkeit, nichts herrscht als die alles umfassende, groβartige und unveränderliche Notwendigkeit."
Als "Quelle" des modernen Atheismus ist ohne Zweifel Spinoza anzumerken. Anführungszeichen, weil das selbstverständlich nicht stimmt. Denn fest steht ja, dass ein völliges Begreifen der Lehre Spinozas von der "einen Substanz", falls überhaupt, nur mit Hilfe der letzten Erkenntnisse moderner Teilchenphysik gelingen könnte, weil "Materie" eben nur ein Aggregatzustand von "Energie" ist. Was uns als "Masse" erscheint, das sind die dynamischen Strukturen oder Prozesse der Teilchen, die eine bestimmte Energiemenge mit sich bringen. Die moderne Physik betrachtet denn auch das gesamte Universum als ein dynamisches Gewebe von untrennbaren Energiestrukturen, die überdies den (Geist des) Beobachter(s) immer einschlieβen. Man kann also bis zum Erscheinen der Studien Capras, Bohms, Georgis e.a. groβzügig hinwegsehen über das völlige Unverständnis das dem Kerngedanken Spinozas ("...alles ist Substanz. Auch das Denken, der Geist, ist Teil dieser Substanz. Auch Gott gehört dazu, mehr noch, Gott IST die Substanz") entgegenschlug. Dies Unverständnis brachte aber mit sich dass die Atheisten sich "grandios" bestätigt sahen weil – ihrem Verständnis zufolge – Spinoza Gott de facto "abschafft" (dass seine Lehre auch die Materie "abschafft" ist den Allermeisten gar nicht erst aufgefallen).
So begründet unser Vertrauen in die Weisheit der Ulemas und Imame nun aber auch sein mag, so vollkommen sicher ist auch dass den Herren Fundamentalisten, in ihrer ignoranten Überheblichkeit, die genannten drei Ringe völlig gleichgültig sind. Genauso gleichgültig wie der Nicolaus von Cues, dessen Wahrheitsbegriff auf jener scholastischen "coniectura" beruht welche ihn zu dem folgenden, immens wichtigen Schluβ führte: "finiti ad infinitum nulla comparatio", Endliches und Unendliches können niemals in Vergleiche gefaβt werden. Eine Position sei also umso wahrer, als sie ihr eigenes Unvermögen die Wahrheit zu fassen, hervorhebe. Anders ausgedrückt: "je deutlicher ich mir bewuβt bin dass meine Annäherung zur Wahrheit unvollkommen ist, desto näher befinde ich mich bei eben dieser Wahrheit". Das relevante Kriterium ist hier also, laut Nicolaus, so etwas wie Selbstironie. Dies beinhaltet dass Position A zwar mehr Wahrheitsgehalt haben kann als B, und B mehr als C, trotzdem aber muss A, wegen eben Gesagtem, also aus Respekt vor (der Beschränktheit) seiner eigenen Tradition, den Wahrheitsgehalt von C respektieren. Also: wie schon in der "Docta Ignorantia" dargelegt, ist "Wahrheit" als solche definitiv unerreichbar (und "auf jede mögliche Frage über Gott muss also allererst geantwortet werden, dass sie eine ungeeignete ist", S. 175 in der Edition Marix, Wiesbaden 2012). In "De leek" jedoch kommt noch die – sehr (post)moderne – Erkenntnis hinzu, dass die "Unkennbarkeit des genauen Namens Gottes" auch die schlussendliche Unkennbarkeit aller Dinge impliziert. Gerade das nicht Objektivierbare enthüllt ja dem Menschen seine nicht mehr an weltlichen Realitäten ablesbare Position. Konkret kann man das festmachen an jener Schrift, aus welcher sich seine theologische Transzendenzspekulation "übersetzen" lässt in die Idee der menschlichen Autonomie: In "Vom Sehen Gottes" legt er die Selbstauffassung des Menschen aus an dem Gleichnis von jenem Porträt, das alle Betrachter gleichermaβen anzublicken scheint. So, schreibt er, steht auch der Einzelne unmittelbar dem Absoluten gegenüber – eine sehr demokratische Idee übrigens, denn keine Position ist vor der andern ausgezeichnet, anders ausgedrückt, die Transzendenz nivelliert Rangordnungen und Stufungen... Vielheit und Individualität der Betrachter sind also der Identität des Bildes nicht nur nicht gegensätzlich, sondern die ihm angemessene, seine geheimnisvolle Potentialität überhaupt erst entfaltende Partnerschaft. Konkret heisst das also: "Vielheit und Individualität der Betrachter" negieren zu wollen = Leugnung der Transzendenz = Gotteslästerung. Diese Erkenntnis macht es unmöglich, die konkrete Wirklichkeit noch im Licht einer umfassenden Ordnung zu interpretieren. Wo Cusanus katholisch ist und bleibt, das ist dort wo er darlegt, dass die genannte Unmöglichkeit keineswegs impliziert dass es diese Ordnung nicht gibt. Unser Unvermögen um, als Menschen, diese Ordnung zu begreifen, muss zurückgeführt werden auf die nicht aufzuhebende Beziehungsinnigkeit des Menschen zur Wirklichkeit. Jedesmal nämlich wenn der Mensch den Wirklichkeitszusammenhang zu denken versucht, geschieht das auf eine menschliche Weise d.h. (in "De leek"), er denkt ihn als notwendigen Zusammenhang. Niemals kann eine Perspektive ausserhalb dieses Zusammenhangs eingenommen werden, sodass man sie auch niemals in ihrer Ganzheit überschauen kann. Vor allem deshalb nicht, weil der Mensch der diesen Zusammenhang zu artikulieren versucht, ja selber schon darin impliziert ist. Darum also erscheint "Wahrheit/Wirklichkeit" immer und notgedrungen in einer Vielzahl von "ordines" – Ordnungen sowohl religiöser als politischer Art – womit die Menschen zu leben versuchen müssen xv. Mit postmodernem Relativismus hat diese Position selbstverständlich nichts zu tun. – Soweit also der Cusaner, der jedoch, eben weil solches Differenzieren den Fundamentalisten fremd ist, genau wie Lessing nicht die geringste Chance hat.
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