Ständig fuhr sich Folke mit den Fingern durch die Haare, versuchte sie zu glätten. Die Geste war ihm kaum noch bewusst. Nur manchmal, wenn sie ihm auffiel, war es ihm, als versuchte er verzweifelt, sein Gesicht aus dem Verborgenen zu holen, kein Steinchen mit einer Nase zu sein, kein Splitter seines Vaters. Nicht unsichtbar.
Farli war ein ernster Mann, der nur selten lachte, manchmal, wenn er mit anderen Männern zusammensaß und Bier trank. Er sprach wenig mit Folke. Meistens waren es Anweisungen, so wie gestern, als er ihm aufgetragen hatte, auf den Hof zu achten. Es hätte des Befehls nicht bedurft. Folke liebte den Hof und das Dorf. Es war sein Zuhause, und er hatte immer gern seine Arbeit getan, auf dem Feld, beim Hüten der Schafe, bei der Ernte. Er und die anderen Jungen würden nun die Männer des Dorfes sein und es beschützen und die Höfe führen, wie ihre Väter es getan hatten. Das hatte er stolz zu Farli gesagt, und dieser hatte genickt, auf eine zerstreute, beunruhigte Art, mit zusammengekniffenem Mund, den Blick in eine unbestimmte Ferne gerichtet, als wartete er auf etwas.
Verletzt spürte Folke, dass sein Vater Angst hatte um das, was er besaß. In der Angst war wenig Platz für Vertrauen. Was konnte ein Steinchen schon ausrichten, ein Splitter?, fragte diese Angst. Folke sehnte sich danach, ein Fels zu sein, ein Fels wie sein Vater, in dessen Schutz sich jeder drängen würde.
Aber vielleicht fragte sich Farli auch nur, welcher Art die Narben sein würden, die ihm Schatten beibringen konnten. Folkes Mutter hatte geweint, auf die zähe, harte Art, in der die Frauen dieses Landes weinten, und sich an Folke geklammert, als Farli mit knappem Gruß das Haus verließ. Ihr Griff war schmerzhaft gewesen, aber nicht so schmerzhaft wie der abgewandte Blick und das Schweigen des Vaters, der in den Krieg zog, um gegen Geister zu kämpfen.
Gegen Aelfen.
Es gab immer Gerüchte über sie. In letzter Zeit hieß es oft, sie zögen aus den Wäldern und Bergen des Nordens nach Süden, um sich die Länder zurückzuholen, die sie einst bevölkert hatten. Es war der Grund für den Krieg, so hatte es der Vogt behauptet. Aber niemand im Dorf hatte jemals einen Aelfen gesehen.
Außer Atli vielleicht. Der alte Mann erzählte gern Geschichten von grausamen Geisterkriegern und aelfschönen Nixen. Niemand wusste, ob er jemals so weit im Norden gewesen war. Trotzdem hörten die Jungen des Dorfes ihm zu, wenn er erzählte.
„Wylde Aelfen!”, rief er jedes Mal in seiner altertümlichen Art, die Worte auszusprechen, die so grau war wie seine dünnen Haare, wenn die Jungen ihn um Geschichten baten. „Ihr wollt Geschichten von wylden Aelfen hören? Ihr solltet euch hüten. Ihr Anblick bringt jeden um den Verstand.”
„Hast du jemals welche gesehen?”, fragte immer einer, und alle lachten, auch Atli, und man konnte sehen, dass die wenigen Zähne, die er noch hatte, von den Steinsplittern im Brotmehl abgeschliffen waren, wie bei allen alten Leuten.
„Ich war schlau genug, nicht hinzuschauen. Und das solltet ihr auch tun, falls euch einmal Aelfen über den Weg laufen.”
„Wie sehen sie aus?”, war die nächste Frage des Rituals.
„Manche sind wunderschön”, pflegte Atli verträumt zu sagen. Immer wenn er nachdenklich wurde, rieb er sich die linke Seite seiner großen Hakennase. Eine rote Stelle hatte sich dort gebildet, die nie mehr wegging. Ohne sie kannte Folke Atli gar nicht. „Sie tragen Kränze aus Zweigen von Eiche und Efeu und sie tanzen auf dem Wasser oder im Mondschein, nackt oder in Silber gekleidet. Sie singen bezaubernde Lieder, denen kein Sterblicher widerstehen kann. Sie singen und locken, aber es ist nicht ratsam, ihnen nachzugeben.” Er kicherte, und sein schütterer Bart zitterte. „Eure Schwänze werden abfaulen, wenn ihr es tut.”
Die Jungen grinsten unbehaglich.
„Manche Mondscheintänzerinnen verschwinden schon, wenn man sie küsst. Sie können die Wärme menschlicher Seelen nicht ertragen und zerfallen zu Staub. Denn das sind sie eigentlich, nur Staub, der vom kalten Mondlicht in eine Form gebacken wird.”
So und ähnlich lauteten die Geschichten. Alle kannten sie. Sie waren unheimlich, aber Folke verstand nicht, wie man Krieg gegen diese Aelfen führen konnte. Mondlichttänzer. Wandelnder Staub, der im Wind verwehte. Es konnte nicht alles sein. Es konnten nur die wundersamen Reste von Geschichten sein, die, nachdem sie von Dorf zu Dorf, von Mensch zu Mensch gewandert und immer märchenhafter geworden waren, bei jemandem wie dem alten Atli landeten. Spukgeschichten für Kinder, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun hatten. Wenn die Aelfen nicht mehr waren als in diesen Geschichten, warum zogen dann die Fürsten gegen sie, ließen Waffen schmieden, die töten sollten? Wie konnten Sänger und Tänzer die Siedlungen der Menschen im Norden angreifen und Schrecken verbreiten? Warum hatten die Männer Angst vor ihnen? Warum hatte sein Vater Angst vor ihnen? Folke spürte, dass etwas anderes hinter den Geschichten steckte, dass grausige Schatten dahinter lauerten, die alles verschlangen, was ihnen zu nahe kam. Als er sah, wie Farli Frekissohn, ohne ein einziges Mal zurückzublicken, mit den anderen Männern über die Waldstraße nach Norden davonzog, jenen fremdartigen, grausamen Schatten und den vielleicht seltsamen Narben entgegen, die sie schlagen konnten, wusste Folke plötzlich, dass alle diese Kindergeschichten gelogen waren.
Am Ende der Straße wartete der Tod auf sie, und wenn er auch eine schöne Gestalt hatte und wenn er auch im Mondlicht tanzte und sang, so war es doch der Tod.
Die Schmiede zogen in die leer stehenden Häuser am Rande des Dorfes. Folke und die anderen Jungen beobachteten von weitem, wie sie in eines der Häuser Gerät aus dem Wagen trugen und Steine herbeischleppten.
„Das wird die Schmiede”, sagte Egli.
Atli war bei ihnen und kommentierte alles.
„Verfluchtes Eisen”, sagte er. „Eisen verleiht Macht, daher verdirbt es die Menschen, die damit umgehen. Wozu brauchen wir Eisen? Wir haben Häuser aus Holz, Pflüge aus Holz, Becher und Krüge aus Ton. Und das, was unsere Väter aus Knochen, Steinen und Hirschgeweihen gemacht haben, ist auch noch besser als das, was diese Zauberer in ihren Öfen zusammenbrauen.”
„Waffen”, sagte Folke. „Wir können nicht mit Waffen aus Holz oder Knochen kämpfen.”
„Du willst kämpfen?”, fragte Biarki Gautissohn spöttisch, ein großer, kräftiger Bursche in Folkes Alter, mit hellem Haar. Er war immer der Anführer, bei allem, und alle hörten auf ihn. Manchmal hasste ihn Folke dafür, hasste ihn, weil er gerne so gewesen wäre wie er. Ein großer, kräftiger Anführer. Immer wenn er Biarki sah, fragte er sich unwillkürlich, wie Farli der Fels so ein Steinchen wie ihn, Folke, gezeugt haben konnte. Er hatte das Gefühl, betrogen worden zu sein. Folke Farlissohn hätte eigentlich sein sollen wie Biarki Gautissohn, denn Gauti war ein Mann wie Farli. Manchmal quälte ihn der Gedanke, dass es seine eigene Schuld war. Er hatte etwas versäumt, etwas ungetan gelassen, ohne zu wissen, was, und nun würde er niemals ein Mann wie sein Vater werden. Und noch schlimmer war die Vorstellung, dass alle es wussten und ihn heimlich dafür verachteten, auch Farli.
„Irgendwann werden wir alle kämpfen müssen”, antwortete er mürrisch auf Biarkis Frage.
Biarki grinste. „Vielleicht bist du der Richtige, um gegen die Aelfen zu kämpfen. Wenn der Wind sie fortträgt, wirst du hinterhergeweht, während alle anderen am Boden bleiben müssen.”
Die Jungen lachten. Folke biss die Zähne zusammen.
„Auf jeden Fall ist er schnell wie der Wind”, sagte Egli zu Folkes Verteidigung. „Er läuft einmal um das Dorf herum bevor du zwei Häuser hinter dir gelassen hast, Biarki.”
Einige Jungen nickten. Folke war nicht so kräftig wie die meisten, aber er war der Gewandteste. Bei den gelegentlichen Raufereien unter den Dorfjungen machte er fehlende Stärke durch Geschicklichkeit und Schnelligkeit wett. Er war kein Feigling, ging keinem Kampf aus dem Weg.
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