gossen Schnee, Regen und Hagel aus. Iwein
glaubte von den rings um ihn einschlagenden Blitzen
und von den splitternden Bäumen vergehen zu müssen.
Aber alsbald sandte Gott wieder schönes Wetter,
die Vögel kehrten auf die Tanne zurück und trieben
ihr lustiges Spiel über der Wunderquelle. Kaum hatte
sich der Sturm gelegt, so erschien, vor Zorn flammend
wie Kohlenglut, ein Ritter mit solchem Lärm, als jage
er einen Brunsthirsch: es war der Hüter der Quelle.
Beider Blick verkündete, daß sie einander auf den
Tod haßten. Mit mächtigen Lanzenstößen zersprengten
sie einander Schild und Harnisch, die Lanzen zersplitterten
und die Trümmer flogen in die Höhe. Dann
gingen sie einander mit den Schwertern an und es entbrannte
ein furchtbarer Kampf, doch keiner wich um
eines Fußes Breite von der Stelle. Schließlich zerhieb
Herr Iwein den Helm des Gegners, so daß das Blut
von dessen Haupte strömte und die Maschen seines
weißen Harnischs rötete. Auf den Tod verwundet floh
der Fremde; im Galopp sprengte er nach seiner Burg,
die Zugbrücke rasselte herunter und das Tor öffnete
sich, hinten nach aber jagte Herr Iwein, ungestüm wie
ein Falke, der einen Kranich verfolgt. So galoppierten
sie beide durch das Stadttor und durch die menschenleeren
Straßen und gelangten mit verhängten Zügeln
vor das Tor des Schlosses. Der Zugang war so eng,
daß zwei Ritter nicht nebeneinander eindringen konnten.
Wie bei einer Rattenfalle befanden sich unter dem
Tor zwei Schlagfallen, welche eine scharf geschliffene
eiserne Falltür hielten. Trat jemand auf diese Vorrichtung,
so sauste die Falltür herab und er war gefangen
oder gar zerhackt. Der Quellwächter sprengte geradeswegs
hindurch, Iwein aber, der hinter ihm herhastete,
packte ihn schon am Sattelbogen, da trat sein
Roß auf das Holzbrett, welches die Eisentüre hielt.
Wie die Teufel in die Hölle, so fuhr die Falltür herab,
durchschnitt den Sattel und trennte das Pferd mitten
auseinander, ohne indessen, Gott sei Dank, Herrn
Iwein zu berühren, dem nur die beiden Sporen von
den Fersen gerissen wurden. Da stürzte er und der
Todwunde entkam ihm. Eine ebensolche Tür, wie sie
am äußeren Eingang sich befand, war auch innen angebracht.
Der Schloßherr eilte hindurch und die Tür
fiel hinter ihm herab. So war Herr Iwein gefangen.
Auf einmal hörte er, wie sich das schmale Türchen
eines Seitenraumes öffnete; eine wunderschöne Jungfrau
trat heraus und schloß die Pforte hinter sich wie-
der zu. Als sie Herrn Iwein erblickte, erschrak sie:
»Wenn man Euch hier bemerkt, Herr Ritter,« rief sie,
»so seid Ihr verloren. Unser Herr ist auf den Tod verwundet,
und wohl weiß ich, daß Ihr sein Mörder seid.
Unsere Herrin und ihre Leute sind trostlos und werden
Euch gewißlich töten, wenn sie Euch hier erwischen.
« »Das steht bei Gott!« antwortete Iwein. »Sie
sollen Euch aber nicht erwischen,« hub Lunete, die
Jungfrau, wieder an, »denn ich will Euch helfen, wie
Ihr mir einst am Artushofe halfet, als ich als kleines
blödes Mädchen dorthin kam. Da, nehmt dies Ringlein
und stellt es mir zurück, wenn Ihr wieder frei
seid!« Sie fügte hinzu, daß es mit dem Ringe diese
Bewandtnis habe: wenn man ihn so anstecke, daß der
Stein in der Faust verborgen sei, so brauche der, welcher
den Ring am Finger trage, nichts mehr zu fürchten,
denn er sei für jedermann unsichtbar, ebenso wie
ein Baumstamm, den die Rinde verdeckt. Nach diesen
Worten führte sie den Ritter in den Nebenraum, hieß
ihn sich auf ein Ruhebett niederlassen und reichte ihm
Speise und Trank. Nun kamen die Ritter und Bürger,
die ihren Herrn rächen wollten, sie zogen die Falltüren
in die Höhe und fanden die beiden Teile des toten
Rosses, aber Iwein war nirgends zu sehen. Rasend
vor Wut stürzten sie in den Saal und schlugen blindlings
auf Wände, Betten und Bänke ein, aber das
Bett, auf dem Iwein lag, blieb unberührt.
Während sie noch in ihrer Blindheit rasend um sich
schlugen, trat eine Frau in den Saal, die war so schön,
wie sie kein Sterblicher je gesehen. Doch war sie so
gramgebeugt, daß sie dem Tode nahe schien. Das eine
Mal schrie sie laut auf, dann sank sie wieder ohnmächtig
zu Boden, darauf begann sie sich zu zerfleischen
und ihre Haare zu raufen. Und siehe, die Leiche
des Herrn wurde auf einer Bahre vorübergetragen,
Kerzenträger gingen ihr voraus und Klosterfrauen,
dann folgten Geistliche mit Meßbüchern und Weihrauchkesseln.
Herr Iwein hörte die Wehklagen, und
die Prozession zog vorüber, um die Bahre aber drängte
sich eine staunende Menge, denn das Blut floß klar
und purpurn aus den Wunden des Toten. Das war der
sichere Beweis, daß der, welcher den Tod des Schloßherrn
veranlaßt hatte, sich noch hier im Saale befinden
mußte. Von neuem begann das Suchen und Schlagen,
doch Herr Iwein rührte sich nicht. Die Frau aber
schrie wie eine Wahnsinnige: »Ach Gott! Soll man
den Mörder, den Schurken nicht finden, der meinen
guten Herrn umgebracht hat. Guten? Den Besten der
Guten! Hat sich ein Geist oder der leidige Feind unter
uns gemengt, bin ich behext, daß meine Augen ihn
nicht sehen? Ein Feigling ist er, wenn er mir nicht
steht, er, der gegen meinen Herrn so mutig war.
Wahrlich, er kann nicht von dieser Welt sein, wenn er
meinem unvergleichlichen Herrn standhielt.« Dann
trugen sie die Leiche hinaus und begruben sie. Die
Menge wurde schließlich des Suchens müde und zerstreute
sich. Nun trat die Jungfrau wieder zu Iwein.
»Herr«, sagte sie, »wie ein Jagdhund nach einem Rebhuhn
oder einer Wachtel spürt, so haben sie jeden
Winkel abgesucht. Das muß Euch in Furcht gesetzt
haben!« »Das ist richtig,« antwortete Iwein, »aber
nichtsdestoweniger möchte ich durch ein Fenster den
Leichenzug da draußen beobachten.« So sagte er, aber
in Wahrheit kümmerte er sich weder um die Leiche
noch um den Zug, sondern er sprach es, weil er die
Herrin der Stadt schauen wollte. Lunete führte ihn an
ein Fensterchen, durch welches er die schöne Frau erspähen
konnte, welche immer noch ihrem toten Gatten
nachtrauerte: »Euch, lieber Herr, kam nie ein Ritter
gleich an Ehren weder noch an feiner Sitte. Freigebigkeit
war Eure Freundin und Mut Euer Gefährte. Unter
der Schar der Heiligen möge, teurer Herr, Eure Seele
weilen.« Dabei zerriß sie immer wieder mit den Händen
ihr Gewand, dergestalt, daß Iwein sich nur mit
Mühe zurückhalten ließ, sie daran zu hindern. Lunete
mahnte ihn nochmals, ruhig und besonnen zu bleiben,
dann ging auch sie, um an der Leichenfeier teilzunehmen.
Inzwischen hatte aber die Frau, ohne es zu wissen,
einen Rächer für den Tod ihres Gatten gefunden, und
zwar einen stärkeren als sie selbst jemals hätte finden
können: Amor hatte nämlich für sie Rache genommen,
dadurch, daß er Iwein durch die Augen in das
Herz getroffen hatte. Hierdurch hatte Herr Iwein eine
Wunde erhalten, die nie wieder heilen sollte. Je länger
Iwein die Frau durch das Fenster beobachtete, desto
mehr verliebte er sich in sie und desto schöner erschien
sie ihm. Gewiß, er wußte, daß sie ihn wegen
der Tötung ihres Gatten hassen müsse, aber eine Frau
hat mehr als tausend Gefühle. Vielleicht wird sich das
Gefühl, daß sie zur Zeit hegt, noch einmal ändern?
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