Rudi aber wird ab sofort Vierter Ingenieur auf dem Vorzeige-Schiff des Lloyd, der ‚BREMEN‘. „Nicht wahr, da habt Ihr gestaunt, als die Karte kam?“ So die rhetorische Frage an seine Eltern (Brief 2/38). Das ging dann ganz schnell wie immer nach dem bekannten Muster: „…Donnerstag, den 14. 4. musste ich plötzlich auf die Inspektion kommen, morgens früh schon; da hieß es sofort nach Bremerhaven auf die ‚BREMEN‘.“ (s. o.) Der Schnelldampfer, einer der modernsten Passagierdampfer der Zeit; auf der Jungfernreise 1929 gewinnt er auf Anhieb auf der Strecke Bremerhaven – New York das ‚Blaue Band‘. Das schnellste Schiff auf der entscheidenden Ost-West-Passage.
Bei 27,83 Knoten Durchschnittsgeschwindigkeit steht nun der Rekord. Durch modernste Turbinen- und Kesseltechnik ist sie der Konkurrenz überlegen. Vier Schrauben treiben sie an, und sie durchpflügt in 4 ½ Tagen den Atlantik.

Schnelldampfer ‚BREMEN‘
„Ich habe hier auf der ‚BREMEN‘ einen feinen Posten erwischt…“ schreibt er an seine Eltern.

Rudi ist zum Decksingenieur ernannt worden und verantwortlich für die 26 Rettungsboote des Schiffes. 2.300 Passagiere und 1.000 Mann Besatzung sollen im Notfall hier Rettung finden.

Viel frische Luft bekommt er und schmutzige Hände keine, denn acht Mann hören jetzt auf sein Kommando. Nicht schlecht für einen, der gerade mal 24 geworden ist. Entscheidend für seine Auswahl waren seine Erfahrungen, die er vor seiner Seefahrtszeit in der Spedition ‚Transitus‘ mit Benzinmotoren gesammelt hatte. Jetzt kann er das brauchen, denn die Boote werden durch solche angetrieben.

Er verbringt seine Tage auf See damit, die Motoren zu reparieren, Zündung und Ventile einzustellen. Das kann bei der Seefahrt längst nicht jeder: „Das kommt daher, weil außer mir von den Ingenieuren noch nie einer einen Benzinmotor von innen gesehen (hat).“ (s. o.) Diesel und Dampf, das ist eben die Norm.
Rudi lobt Dienst und das Bordleben allgemein über alle Maßen. Da gibt es „ein wunderbares Essen so was habe ich noch nicht gehabt…“ Er wird von Steaks zum Frühstück und panierten Schnitzeln, so groß wie Klodeckel, schwärmen. Als Vierter Ingenieur bewohnt er standesgemäß eine Kabine ganz allein. Welch eine Pracht und welch ein Luxus. Und die schmucke Uniform erst … und das viele Geld!
Da neigt denn Rudi zur Euphorie. Das lässt ihn die Pille schlucken, die er vor 1½ Jahren noch so beschrieben hatte: „…denn auf den Schnelldampfern fährt niemand gern. Es ist immer dasselbe Bremen – New York und zurück.“ (Brief 3/36) Korrekt, genau auf den Punkt gebracht! Innerhalb von vierzehn Tagen ist die Passage hin – zurück bewältigt. Landgänge nur in New York oder Bremerhaven. In Cherbourg oder Southampton gerade mal eine Stunde, während die Passagiere zu- oder aussteigen. Eher der Halt eines internationalen Fernzuges auf einem x-beliebigen Hauptbahnhof. Ähnlich sieht auch der Fahrplan des Transatlantik-Passagierdienstes aus. Noch hat Rudi nicht die Langeweile erfasst, die Ödnis des grauen Nordatlantiks ihn herabgezogen, auf welchem es rein gar nichts zu sehen gibt.
Aber auf New York, da freut er sich jedes Mal. Ein Sahnehäubchen für oben auf die feine neue Stellung. „Die Hilde wird ja auch Augen gemacht haben“ (Brief 2/38). Fortan fährt Rudi mit seinen Briefen um die Wette.

Die er in Deutschland schreibt, werden mit seiner ‚BREMEN‘ nach New York transportiert.
Da treffen sich Rudi und das ‚kleine Mädchen‘. Baltimore ist 3½ Zugstunden entfernt. Schmerzlich wird ihm bewusst, dass es immer nur Stunden in New York sein können. „Aber wenn man weiter kommen will im Leben, muss man Opfer bringen.“ An seinem großen Plan hält er auch jetzt bei allem Erfolg eisern fest. „Ich muss also sobald wie möglich auf Schule und zwar im Frühjahr 39.“ (Brief 2/38)

Verliebt, verlobt – verheiratet?
Alles eitler Sonnenschein zu Pfingsten. Seit 1½ Jahren hat Rudi seine Eltern nicht mehr gesehen. Auch der kleine Bruder ist richtig erwachsen. Das letzte Mal im Sommer 1936 in Bremerhaven trug er noch kurze Hose, jetzt tadellose dunkle Anzughose, weißes Hemd und gestreifte Krawatte. Ostern 1938 hat er Abitur gemacht. Schon kam der Arbeitsdienst um die Ecke und hielt ihn in der Eifel fest, aber er darf dann doch aus dem Lager in Tondorf-Stutz. Arbeitsmann auf Urlaub.
So gnädig verfahren die Inspektoren des Lloyd mit Rudi aber nicht. Seinen ursprünglich für Juni eingereichten Urlaub kann er vergessen. Mit der ‚BREMEN‘ hat er zwischen den USA und Europa zu pendeln. Bitter in zweierlei Hinsicht. Im Juni feiern seine Eltern Silberhochzeit. Hoch und heilig musste er seiner Mutter versprechen zu kommen – und was nun? Hingegen noch schwerer hängt an Rudi die Aussicht, dass er seine Freundin möglicherweise nicht sehen wird. Ausgerechnet in jenem Sommer hat Familie Than aus Baltimore einen längeren Europa-Trip geplant. Hilde in Köln, aber Rudi irgendwo auf See zwischen Bremerhaven und New York? Da kriegt er noch die Krise und wird ganz krank vor Sehnsucht.
Wenn er unabkömmlich auf der ‚BREMEN‘ festsitzt, so müssen die Eltern eben nach Bremerhaven kommen. 40 M überweist er ihnen als kleinen Beitrag für die „Reise an die Wasserkante.“ (Brief 3/38) So ganz genau auf die Stunde kann er die Ankunft in B’haven via Cherbourg und Southampton nun doch nicht angeben. Ein Schiff ist eben kein D-Zug und läuft auch nicht auf Gleisen. Es schwimmt im Wasser. Im Laufe des Vormittags, kündigt Rudi an, und es sind genau 12:30 Uhr, als sie an jenem Freitag vor Pfingsten (3. 6. 1938) anlegen. Da Feiertage bevorstehen, bleibt die ‚BREMEN‘ fünf Tage im Hafen.

Rudi holt seine Eltern und Karlheinz an der ‚Columbus-Pier‘ ab. Jetzt darf die ganze Familie an Bord.


Froh gelaunt sitzen sie zu viert auf der Persenning eines Rettungsfloßes: Rudi im schneeweißen Jackett in großer Paradeuniform als Vorzeigestück der Familie.

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