Aber dann beruhigt er sich wieder. Insgesamt ist Marwinger nach wie vor überaus optimistisch. Aus seiner Sicht sind die Strukturen ihrer Macht überwiegend ungebrochen: Die GlobalPlayer-Konzerne, die Drogen-, Erdöl-, Waffen- und Pharmaindustrie, die Landwirtschaft, die Politik, die Medien, das Bildungssystem: alles hat sich ziemlich genau nach ihrem langfristigen Plan entwickelt. Nur ganz wenige Länder wagen den offenen Konflikt mit ihnen.
Die Basis von allem, das Finanzsystem, ist allerdings etwas ins Wanken geraten. Vor allem der Osten schickt sich an, ihr Monopol der zentralistischen Dachinstitutionen zu unterminieren. Hier muss gehandelt werden.
Marwinger glaubt an die geheimen technischen Möglichkeiten, die er und seine Mitstreiter zur Verfügung haben. Allen voran die fortgeschrittenen psychotronischen Methoden zur Mind-Kontrolle, mittels Fernsehen, Nahrung, Drogen, und nicht zu vergessen die gezielte Steuerung von Gedanken, Emotionen und Wahrnehmung mit niederfrequenten Wellen und Tachyonen-Energie: ELF-Wellen plus Teilchenfelder im Überlichtgeschwindigkeitsmodus. Wer soll dagegen was ausrichten?
Vor allem aber: Er ist von der Richtigkeit ihres langfristigen Plans, ihrer neuen Weltordnung, fest überzeugt. Die Ideale seiner Organisation geben ihm die Kraft und das Durchhaltevermögen, die es braucht, derart große Ziele zu verwirklichen. Über die Wälder blickend bestätigt er sich in seinem Sein.
Die Geschichte der letzten Jahrtausende hat gezeigt, dass die Menschheit, auf sich alleine gestellt, nicht zu einer globalen Ordnung finden kann. Vor allem religiöse Verblendungen und andere, archaische Glaubensvorstellungen verhindern den Sieg der Vernunft, um endlich zu stabilen Verhältnissen zu kommen: Die Überbevölkerung ist das größte Problem, 7,5 Milliarden sind einfach zu viel für diesen Planeten und seine natürlichen Ressourcen. Wenn wir erst mal das Zepter auf der Erde vollständig in die Hand genommen hat, wird Frieden, Harmonie und Ordnung einkehren. Dank vernünftiger politischer Führung. Zugegeben, die Maßnahmen, die zur Herstellung von globaler Harmonie ergriffen werden müssen, empfinden manche Menschen vielleicht als etwas drastisch. Aber... wie sonst? Es handelt sich, geschichtlich betrachtet, um ein Augenzwinkern in der Geschichte der Menschheit. Und man vergesse nicht, wie viel Blut bis heute im Namen der Religionen geflossen ist - vollkommen sinnlos. Dem bereiten wir ein Ende!
Bei diesen Gedanken kommt ihm in den Sinn, dass davon nicht alles für die Ohren seiner Herren bestimmt ist. Geduldig, geduldig, mein lieber Marwinger. Irgendwann kommt die Zeit, da komme ich auch ohne sie aus.
Ein Bediensteter in schwarzem Anzug und einer dunkelgrünen Krawatte betritt die Terrasse. Er wartet auf das Zeichen, dass er sprechen darf. Marwinger bewegt den Zeigefinger.
„Die Aktion in Beach Haven ist schief gegangen. Ebenso die südlich von San Francisco. Mit ET-Unterstützung haben sie unsere Agenten unschädlich gemacht.“
Marwinger hört sich an, was genau passierte. Emotionslos. Hochkonzentriert denkt er ein paar Minuten nach. Dann wendet er sich an seinen Untergebenen.
„Wir brauchen eine Generalversammlung in Area 51. Morgen 17 Uhr. Ich habe den Eindruck, dass sich was zusammenbraut. Lass ein Foto vom Präsidenten in den Leitmedien lancieren, auf dem er mit dem linken Zeigefinger nach unten weist. Untertitel: Der Präsident spricht morgen um 17 Uhr vor dem Senat über den Verteidigungshaushalt. --- Sag Jackson, dass ich in 30 Minuten startklar bin.“
Die Kommunikation über Bilder in den globalen Medien ist für das Netzwerk der Dunklen seit vielen Jahren das sicherste Mittel, um alle gewünschten Adressaten möglichst schnell, diskret und zuverlässig zu informieren. Je nach Einweihungsgrad sind bestimmte Gesten bekannt. Auf diese Art kann Marwinger bestimmen, ob 20, 200, 2000 oder 20.000 Brüder informiert werden.
Marwinger braucht die halbe Stunde nicht, um sich reisefertig zu machen. Seine Flugzeuge und Helikopter bieten jeglichen Komfort, um frisch und adrett auszusteigen. Aber er kann es sich nicht verkneifen, den Keller aufzusuchen. Dafür begibt er sich in den Fahrstuhl und drückt den Knopf für das 5. UG. Sicherheitshalber reagiert der Aufzug bei dieser Zieleingabe nur auf seinen Code und den der anderen zwei Logenführer. Denn jeder andere, der dort unabsichtlich oder aus Neugier aussteigen würde, riskiert den Tod.
Unten angekommen, öffnet die Fahrstuhltür den Blick auf einen schmalen, aber ungewöhnlich hohen Gang, der geradewegs zu einer glatten, amaturlosen Tür aus reinem Gold führt. Marwinger tritt vor die Tür und sammelt sich für einige Augenblicke. Dann tippt er 23 Zeichen in das Display an der rechten Wandseite. Lautlos öffnet sich die Tür nach innen und gibt den Weg frei in das zentrale Heiligtum seiner Organisation:
Die Bundeslade!
Unter diesem Namen ist sie jedenfalls allgemein bekannt. Die Eingeweihten nennen das Gerät, nicht ohne Humor, den Lucky Punch.
Der Lucky Punch ist außerirdische Hochtechnologie. Ursprünglich in der großen Pyramide in Gizeh gelegen, hat das Unikat eine verworrene Reise hinter sich. Diejenigen, die wissen, welch ungeheuerliche Möglichkeiten materieller Manipulation hierin stecken, den verwundert nicht, welch konfliktträchtige Begehrlichkeiten sich um die Bundeslade entfachten. Dem Versprechen der Macht konnten viele Menschen schon immer schlecht widerstehen. Doch seit knapp 900 Jahren ist der Lucky Punch in den Händen von Logenmeistern, deren Organisationen sich aufgrund kirchlicher oder hoheitlicher Anfeindungen zuweilen andere Namen zulegen oder ganz im Untergrund verschwinden mussten.
Die Bundeslade verleiht demjenigen, der sie zu handhaben weiß, die Macht, Materie mit Gedankenkraft zu erschaffen und vorhandene Materie zu transformieren. Die Technik nutzt hohe astrale, ätherische und elektrische Energie, derart, dass es sogar ein eigenständiges, intelligentes Wesen besitzt. Diese Schechina – nennen wir es einen Plasmawirbel – erscheint als strahlend helle, rotierende Lichtsäule. Sie kann sich unabhängig von ihrem physischen Körper, dem Stein in der Bundeslade, bewegen, Informationen überbringen, töten, Wasser beherrschen, sogar Landschaften verändern: der Lucky Punch ist seines Namens wirklich würdig.
Nur wer entsprechend geistig geschult und rein ist, kann sich unbeschadet dem Lucky Punch nähern. Sobald sich die goldene Tür öffnet, dringt glühendes weißes Licht durch den Ritz. Marwinger nutzt eine spezielle Brille, um die Helligkeit abzudämpfen. In der Mitte eines vollständig vergoldeten, runden Raumes von vielleicht 10 Metern Durchmesser steht die Lade. Ein rechteckiger, goldener Kasten mit Tragegriffen links und rechts. Auf seinem Deckel thronen zwei knieende Goldfiguren mit Flügeln. Der Plasma-Wirbel hat sich in dem geschlossenen Raum in eine gleichmäßige, schimmernde Lichtwolke ausgedehnt. Links und rechts der Lade sind zwei Steinquader platziert. Auf dem linken liegt ein Schaf mit durchtrennter Kehle, rechts ein Kalb mit aufgeschlitztem Bauch. Das Blut ist an allen Seiten des Quaders hinunter geflossen und mittlerweile getrocknet.
Wem die geistige Reinheit fehlt, um mit Lucky Punch unbeschadet in Verbindung treten zu können, der muss andere Methoden anwenden. Tier- oder Menschenopfer erzeugen hohe astrale und ätherische Energien, die Lucky Punch – sagen wir mal – besänftigen.
Marwinger weiß, dass es Zeit ist, frisches Blut nachzuliefern. Doch darum muss er sich nicht kümmern. Diesmal hat er keine weitere Absicht als die, sich mit vollendeter Energie aufzuladen und sein Ego mit der Aura des Allmächtigen zu tränken. Die regelmäßige Energiezufuhr der Lade lässt ihn bereits 148 Jahre leben. Wer ihm ohne Insiderwissen begegnet, schätzt ihn auf etwa 60 Jahre.
Marwinger verweilt aufrecht stehend vor der Lade, die Füße eine halbe Schrittlänge auseinander, die Arme seitlich ausgestreckt, die Hände nach vorne geöffnet. Kleine Lichtblitze zucken aus dem Plasma-Raum in alle Bereiche seines Körpers. Seine Physis scheint transparenter zu werden, bis nur noch ein leuchtendes Abbild seiner Konturen übrig ist. Regungslos verharrt er so einige Minuten.
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