Zusammen mit elf weiteren aufgestiegenen Meistern sitzt er im Meditationsraum eines abgelegenen Berg-Klosters, das in über 4500 Metern in eine fast senkrechte Felswand gehauen wurde. Sie sitzen im Kreis auf einer alten, runden Holzbank, außer der sich nichts weiter in dem Raum befindet, der mit seinen weiß angemalten Natursteinmauern Ruhe und Klarheit unterstützt. Lediglich unzählige flüssige Kerzen, die mit Yak-Fett wieder aufgefüllt werden und somit schon seit Jahren brennen, erleuchten und erwärmen den kargen und fensterlosen Raum.
Die Ottawa-Sitzung lief gut, sie hat ihn in eine gehobene Stimmung versetzt. Alle Militärs waren zutiefst motiviert und professionell. Alle haben sich, das weiß er, mit Haut und Haaren dem Erfolg des Plans verschrieben.
Auch die anderen anwesenden Meister sind ausgesprochen guter Laune. Alle freuen sich sehr über das Dekret, das gestern vom Galaxie-Zentrum eintraf. Es wird herzlich gelacht. Dass sie in den letzten Jahren anlässlich der anhaltenden Macht der Dunklen ungeduldig geworden wären, trifft es nicht wirklich. Aber das anhaltende, unnötige Leid so vieler Menschen lastet schwer auf ihnen. So sind sie doch sehr froh, dass nun hoffentlich lichtvollere Zeiten auf Erden anbrechen. Ihre Aufgabenfelder werden sich dadurch teilweise gravierend verändern. Viele werden erstmals in der Öffentlichkeit tätig werden und der Menschheit beratend zur Seite stehen.
Grund ihrer Zusammenkunft ist, eben genau diese Freude und Zuversicht, die in dem Klosterraum herrscht, zu potenzieren und sodann über die Erdkugel zu verströmen. Der Leiter der Gruppe bittet um Ruhe und gibt Anweisungen für die Energiearbeit. Taamo Lumen versenkt sich mit seinen Brüdern und Schwestern in tiefe Kontemplation. Die Energie, die direkt vom Zentrum der Galaxie über die Sonne auf die Erde einstrahlt, wird von den Meistern in irdische Schwingungsmuster herunter transformiert, damit sie von den Menschen genutzt werden können. Mit dem Verströmen der Energien über die Erde ist das Werk vollbracht. Nach genau einer Stunde bricht der Leiter die Stille: „Es gibt frischen Kräutertee und heiße Momos. Zur Feier des Tages!“
Heiteres Gelächter erfüllt den Raum.
5. 9:20 Uhr, Beach Haven, New Jersey, USA
Inua erwacht als erste aus einem tiefen, erholsamen Schlaf. Sich an ihren Geliebten kuschelnd, antwortet dieser mit einem friedlichen, unverständlichen Murmeln.
Der gestrige Tag verlief nach dem frühmorgendlichen Vorfall ruhig. Sie verbrachten den ganzen Tag am Strand, liegend, schwimmend, lesend, spielend. Abends gönnten sie sich Pizza und Rotwein bei einem nahe gelegenen Italiener. Bereits gegen 22:00 Uhr ergaben sich beide ihrer Müdigkeit.
Inua: „Wann müssen wir eigentlich abreisen?“
Arnim räkelt sich nur ungern aus dem angenehmen Urraum seines Halbbewusstseins. Seine Stimme sucht sich noch:
„Gegen 14 Uhr. Um 17 Uhr treffen wir uns in der Einsatzzentrale.“
„Na, das reicht für ein ausgiebiges Frühstück und einen letzten Strandspaziergang, würde ich sagen.“
„So sehe ich das auch“, stimmt Arnim freudig zu. Er schlägt die Augen auf und betrachtet das Antlitz seiner Geliebten, die sich neben ihm aufgesetzt hat. Sie schaut zu ihm hinunter.
„Weißt du eigentlich, was dich heute und in den nächsten Tagen erwartet?“
„Nein. Aus zwei Gründen: Zum einen aus Sicherheitsgründen. Je weniger Leute von dem Plan wissen, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand davon erfährt. Und du weißt ja, was unsere nationale Sicherheitsagentur NSA für Möglichkeiten hat. Das andere Argument ist, dass wir den Kopf frei haben sollen für das, was jeweils im Jetzt tun ist. Wenn wir wüssten, was da auf uns zukommt, würden wir uns automatisch damit beschäftigen, emotional und mental. Das will unser Mentor nicht.“
Schon ist Arnim hellwach. Mit der linken Hand streicht er unter ihrem Nachthemd über ihren Rücken.
„Wieso haben sie dich eigentlich genommen für den Plan, wie du es nennst? Wozu brauchen sie einen investigativen Journalisten für Kampfeinsätze? Oder wird es etwa kein Kampfeinsatz? War die Szene gestern am Strand die große Ausnahme?“
„Ich weiß es nicht. Ich kann nur mutmaßen, warum sie mich wollten. Meine langjährige Erfahrung an der Front...“.
Inua fällt ihm ins Wort: „Moment, du warst Soldat?“
„Entschuldige, mein Schatz. Ich vergesse immer wieder, wie kurz wir uns erst kennen. Du weißt ja praktisch gar nichts von meiner Vergangenheit.“
Und während sie sich ankleiden, zur Strandpromenade runter gehen und ein Frühstückslokal aufsuchen, erzählt Arnim von sich. Mit 20 ging er zur Army – trotz gutem Highschool-Abschluss – geprägt vom 11. September, um der amerikanischen Idee zu dienen. Seine Abenteuerlust entschied sicher mit, die er von seinem Vater geerbt zu haben glaubt. Offizier Gregor O`Healy wurde ein hochdekorierter Kriegsheld in der Operation Wüstensturm in Kuwait. Seine militärische Karriere ging nur deshalb nicht weiter steil nach oben, weil ihm ein privater Unfall ein Monat nach dem Einsatz in Kuwait das Augenlicht nahm. Aus seinen Erfahrungen heraus begrüßte er den Entschluss seines Sohnes, den amerikanischen Streitkräften zu dienen.
So verbrachte Arnim O`Healy mehrere Jahre in Afghanistan und im Irak. Auch er zeichnete sich durch besonderen Mut und Geschicklichkeit aus und wurde dafür geehrt und befördert. 2010 quittierte er seinen Dienst und verließ, ohne Angabe von Gründen, das Militär. Sehr zum Unverständnis seiner Vorgesetzten, denn ihm winkte bereits die Berufung zum General. Auch seinen Eltern gegenüber öffnete er sich nicht. Zu schwer und zu tief lasteten die Kriegserfahrungen auf ihm. Er wollte und konnte mit niemandem darüber reden. Stattdessen verschwand er für zwei Jahre nach Nepal und zog sich dort in einem buddhistischen Kloster zurück.
Als er dann Mitte 2012 wieder bei seinen Eltern in New York anklopfte, erkannten sie ihn kaum wieder. Jetzt war er in der Lage, von sich zu sprechen, und ganz ähnlich spricht er auch jetzt zu Inua: „Weißt du, es ist eine Sache, wenn man meint, aus einem triftigen Grund in den Krieg zu ziehen. Als ich aber die wahren Gründe für die Kriege im Irak und in Afghanistan erkannte, zerbrach in mir eine Welt.“
Arnim ist innerlich distanziert. Tatsächlich erkennt er den Arnim, von dem er gerade erzählt, kaum mehr wieder.
„Weißt du, was an 9/11 wirklich geschah?“
Ein kurzes Nicken.
„Ich halte es für einen Inside-Job.“
Arnim erwidert bestätigend mit einem Nicken.
„In den Kriegen ging es nur um nationale Interessen unseres Landes, in Irak vor allem um Öl, in Afghanistan um Drogen. Und als wäre das nicht genug, brechen auch noch alle moralischen Kriegsstandards weg. Ich will dir nicht erzählen, was für Greueltaten an Zivilisten ich mit ansehen musste. Mindestens 30 Menschenleben habe ich auf dem Gewissen, vollkommen sinnlos. Das hat mich umgeworfen.“
Inzwischen sind Kaffee und Croissants serviert. Inua macht eine Geste der Umarmung. Doch Arnim fährt fort, ihren Arm sanft umleitend: „Ich habe das verarbeitet, in Nepal. Ich hatte das Glück, einen wahrlich weisen Lehrer zu finden. Er lehrte mich die Kunst der Selbsterkenntnis. Mit seiner Hilfe konnte ich die Erfahrungen der Kriege loslassen, mir sozusagen selber vergeben und ein neues Leben beginnen. Er lehrte mich auch die Kunst der Meditation, der Beherrschung des Geistes. Ich wäre gerne noch länger bei ihm geblieben. Er schlug mir ein weiteres Jahr vor, um es zu einer gewissen Meisterschaft zu bringen. Aber es zog mich zurück. Ich wollte mich dafür einsetzen, dass Amerika das Grab, das es sich und der Welt schaufelt, wieder zukippt und sich um Wiedergutmachung bemüht. Wissen zu verbreiten hielt ich für entscheidend wichtig, denn die Welt strotzt vor Falschinformationen und Lügen. Deshalb habe ich mich entschlossen, journalistisch tätig zu werden. Ich wollte unseren Bürgern die Lügen um den 11. September und all die militärischen Sauereien satt auftischen.“
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