Alexander nimmt seinen Koffer, geht in das Kinderzimmer und räumt seine Sachen in den Kleiderschrank ein.
„Hast du etwas dagegen, wenn ich die Klimaanlage einschalte?“, fragt ihn Renate aus dem Wohnzimmer heraus.
„Nein, im Gegenteil“, Alexander geht ins Wohnzimmer, wie er den großen Raum inzwischen nennt, setzt sich in einen der Sessel und schaut Renate zu, wie sie die kleine Küche in Augenschein nimmt.
„Heute Abend können wir essen gehen, es gibt ein Restaurant unten in der Nähe des kleinen Hafens. Danach können wir einen Plan machen, wie wir die Mahlzeiten und das Einkaufen organisieren. Ich schlage vor, wir legen eine gemeinsame Einkaufs- und Restaurantkasse an, einhundert Euro pro Person werden fürs Erste genügen.“
Alexander ist einverstanden, froh darüber, dass Renate diese Fragen anspricht. Sogleich holt er zwei Fünfzigeuroscheine und legt sie in eine Obstschale, die auf dem kleinen Tisch steht.
„Ich würde gerne noch etwas an Planungsarbeit leisten, ich meine die Grobgliederung für den Roman.“
„In Ordnung, es reicht, wenn wir gegen acht Uhr losgehen. Ich will noch duschen und ein wenig relaxen, lass dich durch mich nicht stören“, sagt sie und beginnt, sich auszuziehen.
Alexander steht auf, geht in sein Zimmer und danach, mit Schreibzeug ausgerüstet, auf die Terrasse. Auch dort steht ein Tisch und vier Stühle. Er setzt sich so, dass er aufs Meer hinaus schauen kann. Bevor er anfängt zu arbeiten, blickt er zurück ins Wohnzimmer und sieht gerade noch, wie Renate im Bad verschwindet, nackt. Schauen verpflichtet zu nichts, denkt er und beginnt mit der Arbeit an einer möglichen Gliederung.
Später ruft Renate: „Ich bin fertig, du kannst ins Bad.“ Renate kommt heraus. Sie hat ein kurzes, leicht gemustertes Sommerkleid angezogen. Alexander gefällt es. Er geht in sein Zimmer, zieht sich aus und geht ins Bad.
Als er danach auf die Terrasse tritt, sieht er die südlich gelegene Bergkette auf der anderen Seite der Bucht in rotes Licht getaucht. Auch Renate hat sich so gesetzt, dass sie dieses Naturschauspiel beobachten kann. Sie dreht sich zu ihm hin. „Schön, nicht wahr?“
Alexander nickt zustimmend.
„Dann lass uns gehen.“
Über den schmalen Weg durch die Macchia gelangen sie auf einen breiten, bereits beleuchteten Weg. Diesem folgen sie entlang der Küste. Nach circa dreihundert Metern erreichen sie den Restaurantkomplex. Auf einer Terrasse finden sie einen freien Tisch unter Pinien. Beide entschließen sich für Pizza. „Typisch Touristen“, sagt Renate.
Nach dem Essen, sie trinken Rotwein aus Dorgali, schaut ihn Renate länger an, als wolle sie etwas Wichtiges sagen.
„Nur zu, Renate, was gibt es, das dich so nachdenklich schauen lässt?“
Sie zögert zunächst. „Ich glaube, wir müssen da etwas regeln.“
„Ja?“
„Es ist mir vorhin bewusst geworden, als ich ins Bad ging. Wir leben hier auf ziemlich engem Raum zusammen, und da bleibt es nicht aus, dass wir uns wenig bekleidet oder gar unbekleidet sehen, weißt du, was ich meine?“
„Renate, du bist die Freundin meines Vaters, ich gebe zu, dass ich dich gesehen habe, denke aber, dass ich Grenzen setzen kann.“
„Gut, Alexander, warum sollen wir uns einengen oder demonstrativ wegschauen, auch ich kann Grenzen setzen.“
Na ja, denken beide.
„Buon Giorno, Alexander, ai dormito bene?“
„Si, e tu?“
„Grazie, anche io.“
Beide sprechen:
„Guten Tag, Alexander, hast du gut geschlafen?“
„Ja, und du?“
„Danke, ich auch.“
„Wenn es aber stimmen sollte“, sagt Alexander, „dass der Traum, den man in der ersten Nacht in einer neuen Umgebung träumt, eine reale Bedeutung hat, dann bin ich besser nicht abergläubisch.“
Er geht in sein Zimmer, nimmt seinen Rucksack und schaut nach der Geldbörse. „Ich erzähle ihn dir später, beim Frühstück. Ich habe gelesen, dass der Lebensmittelladen ab acht Uhr geöffnet hat. Dann gehe ich jetzt einkaufen, aber nur für das Frühstück, den Großeinkauf können wir dann später gemeinsam machen. Was isst du gerne zum Frühstück?“
Renate rekelt sich unter der Bettdecke, sieht noch etwas verschlafen aus und schaut ihn nachdenklich an. „Ich hätte gerne Ciabatta, Butter, Marmelade, Schinken und ein Ei.“
Alexander lacht. „Dann muss ich den Einkauf nicht trennen, mit Ausnahme der Marmelade mag ich dasselbe“, schnappt sich Geld aus der Gemeinschaftskasse und den Rucksack und geht.
„Vergiss den Kaffee und die Milch nicht“, ruft sie ihm nach.
Als er zurückkommt, ist sie noch im Bad. Er packt die Sachen aus. In dem Wandschrank findet er die italienische Kaffeemaschine, füllt Kaffee und Wasser auf und stellt sie auf den Gasherd. Dann deckt er den Tisch und schneidet Brot auf.
Wie auf ein Signal hin erscheint Renate. Sie hat nur eine Unterhose an, zieht aber schnell das Sommerkleid, das er schon kennt, an und setzt sich ihm gegenüber an den Tisch.
„Ein seltsamer Traum“, beginnt er, „ich war mit zwei Männern, von denen ich nicht wusste, woher ich sie kannte, in Berlin. Wir müssen uns aber gekannt haben, denn im Traum waren sie meine Kumpel. Zusammen bewohnten wir ein Zimmer im Erdgeschoss eines für den Stadtteil Kreuzberg üblichen Mietshauses. Die beiden Männer kamen plötzlich herein und berichteten, dass man sie soeben eine Etage weiter oben, zusammengeschlagen und ihnen das gesamte Bargeld gestohlen hätte. Die Banditen hätten den Diebstahl damit begründet, dass meine Kumpel ihr Geld sowieso nur für sinnlose Dinge und Prostituierte ausgäben. Die Verbrecher deuteten an, dass sie auch mich noch ausrauben würden. Ich versuchte sofort, meine Sachen zu packen, um schnell verschwinden zu können. Das gelang mir aber nicht, weil meine Sachen nicht alle in den Seesack hineinpassten. Ohne meine Sachen wollte ich jedoch nicht weggehen. Dann hörte ich Schritte auf dem Flur, wollte sofort durch das Fenster flüchten, konnte mich aber nicht von der Stelle rühren. Ich wurde wach und war froh, dass alles nur ein Traum gewesen war. Meine Gedanken aber waren immer noch damit beschäftigt, den Seesack so zu packen, dass alles hineinpasste. Dann schlief ich wohl wieder ein. Dann hatte ich denselben Traum noch einmal. Dieses Mal allerdings ohne Angst, da ich nun wusste, dass alles nur ein Traum war.“
Renate schaut ihn lächelnd an, während sie eine weitere Ciabatta-Hälfte mit Butter und Marmelade bestreicht. „Zumindest hat dein Traum mit einer Reise zu tun. Interessant ist dabei schon, dass es sich da um eine für dich unsichtbare Bedrohung gehandelt hat, der du dich nicht entziehen konntest. Aber keine Angst, Alexander“, und jetzt lacht sie ihn an, „ich würde dir im Notfall beim Packen behilflich sein, denn was vorher in einem Seesack war, passt auch hinterher wieder hinein. So, jetzt aber einmal zu den positiven Dingen unseres Urlaubs. Was hältst du von einem Bad im Meer und einem sich daran anschließenden Rundgang durch die Anlage?“
Alexander muss nicht lange überlegen, zumal ihm ein Blick durch die Öffnung der Terrassentür zeigt, dass draußen strahlender Sonnenschein herrscht. Er geht in sein Zimmer und zieht seine Badehose unter. Als er zurückkommt, ist Renate noch dabei, sich umzuziehen. Er räumt die Reste des Frühstücks weg, wäscht das wenige Geschirr ab und stellt es zum Trocknen in ein dafür vorgesehenes Gestell.
Sie laufen vom Haus aus ein Stück den Hügel hinunter und betreten einen schmalen Pfad, der an der felsigen Küste entlangführt. Bald entdecken sie linker Hand eine große Bucht, mit weißem Strandsand, das Wasser schimmert blaugrün. Am Strand angekommen, werfen sie ihre Sachen in den Sand und gehen ins Wasser. Man kann recht weit hinausgehen.
Erst am Nachmittag kehren sie zum Bungalow zurück. Nach dem Großeinkauf schlägt Renate vor, heute Abend zu Hause zu essen, sie könne Spaghetti Carbonara zubereiten. Er ist damit einverstanden und sagt, dass er sich darüber wundere, wie schnell man doch eine Unterkunft als sein Zuhause bezeichne. Die folgende Nacht schläft er gut, scheinbar traumlos.
Читать дальше