Er findet den Wandschrank und auch ein passendes Gefäß. „Wer ist denn diese hübsche Krankenschwester?“
„Hübsch ist untertrieben, wenn du Tamara meinst?“
„Wenn sie tiefschwarzes Haar hat, dann meine ich Tamara.“
Alexander stellt die Blumen in die Vase und diese auf den Tisch, der sich unter dem in einem Wandregal aufgestellten Fernsehgerät befindet. Er nimmt einen Stuhl und setzt sich neben das Bett. „Erinnere mich daran, dass ich die Sachen auspacke, bevor ich gehe. Aber bitte berichte, wie es dir geht.“
„Schon besser, aber ich werde wohl noch ein paar Tage hierbleiben müssen. Ist alles in Ordnung mit meiner Wohnung?“ wechselt er das Thema. Alexander weiß, dass sein Vater kein wehleidiger Mensch ist. Anders als Männer allgemein lässt er es sich nicht gerne anmerken, wenn mit seiner Gesundheit etwas nicht in Ordnung ist. Seltsam findet er es schon, dass Männer, die sich sonst gern als hartgesotten darstellen, gegenüber ihren Partnern zimperlich erscheinen. Vielleicht brauchen sie diese Nische als Ausgleich für den Stress des beruflichen Konkurrenzkampfes. Das wäre eine Untersuchung wert, im Vergleich dazu natürlich auch eine bei berufstätigen Frauen.
Alexander bestätigt, dass mit der Wohnung seines Vaters alles in Ordnung sei, will nun seinerseits das Thema wechseln, weiß aber nicht, wie er anfangen soll. Deshalb beginnt er am Schluss. „Ich habe eine Wohnung gefunden, ganz in der Nähe deiner Behausung.“
Sein Vater schaut ihn verdutzt an. „Ich wusste gar nicht, dass du eine Wohnung suchst.“
„So genau wusste ich das bisher auch nicht, aber als ich gestern Abend noch auf ein Bier ins Bistro gegangen bin, sah ich im Schaufenster des Friseursalons, in der Schwarzadlergasse, eine Anzeige. Heute Morgen habe ich mir die Wohnung angesehen.“
„Wo, sagst du, ist die Wohnung?“
„Im dritten Obergeschoss des Hauses, das früher das Rathaus und das Reichskammergericht beherbergte.“
„Dann kenne ich diese Wohnung und den Vormieter ebenfalls. Du hast mir aber immer noch nicht gesagt, warum du nach Wetzlar umziehen willst.“
Alexander überlegt, möchte aber im Moment keine umfassende Erklärung abgeben. „Ich habe mich von Erika getrennt oder besser, sie sich von mir, wie auch immer. Das Siegerland, und jetzt übertreibe ich ein wenig, dieses große Freilichtmuseum im Verbund mit dem Sauerland, ist mir nicht zur Heimat geworden. Mehr möchte ich im Augenblick zu den Ursachen nicht sagen. Über den Anlass, nach Wetzlar zu ziehen, ist schnell berichtet. Es gab gestern drei Begebenheiten, die mich zu dem Entschluss kommen ließen, nach Wetzlar zu wechseln. Du weißt, ich glaube nicht an Zufälle.
Zuerst sah ich die Wohnungsanzeige. Später im Bistro, las ich in der Regionalzeitung einen Nachrichtenartikel, der den Erzählkern für einen Roman bilden könnte. Du weißt, dass ich beruflich nicht gebunden bin. Ich habe so viel Geld gespart, dass ich ein Jahr davon leben kann, und ich denke, dass ich ein Jahr brauchen werde, um dieses Buch zu schreiben, mein schon lange gehegter Wunsch.“
Peter schaut seinen Sohn an, will nicht weiter in ihn dringen, weiß, dass Alexander irgendwann mehr erzählen wird. „Wie hoch ist die Miete?“
„Der Vermieter wollte 560,– Euro. Ich konnte ihn auf 500,– herunterhandeln. Bei der Gelegenheit habe ich auch gleich einen Friseur gefunden.“
„Wann willst du umziehen?“
„Ich denke, dass ich heute noch nach Siegen fahren werde, um mit den Vorbereitungen zu beginnen.“
„Nun, Alexander, dann mach dich mal auf den Weg.“
Schon sehr bald wird Alexander Fabuschewski erfahren, dass nicht nur das Siegerland ein großes Freilichtmuseum sein kann.
Der Vorteil einer kleinen Wohnung besteht darin, dass sich dort auch über einen längeren Zeitraum nicht so viel ansammelt, sodass ihm ein kleiner LKW ausreicht, sein gesamtes Umzugsgut aufzunehmen. Den Wagen hat er in Wetzlar ausgeliehen. Die Fahrt nach Siegen reicht ihm aus, sich mit dem Fahrverhalten des Wagens vertraut zu machen.
In einem Supermarkt hat er Bananenkisten zum Verpacken des Kleinkrams gefunden. Ein Mitbewohner hilft ihm beim Verladen der schweren und sperrigen Stücke.
Der Abschied von Siegen wird ihm erst bewusst, als er die Wetterscheide bei Kalteiche überquert. Dieses Mal ist es anders als sonst, wenn er seinen Vater besucht hatte: Es regnet auf der hessischen Seite.
Am späten Nachmittag kommt er in Wetzlar an, parkt vor dem Haus am Fischmarkt. Er klappt die hintere Ladeklappe herunter, schaut unschlüssig auf das Umzugsgut. Der Laderaum ist so beladen, dass zuerst die schweren und sperrigen Sachen ausgeladen und in den dritten Stock transportiert werden müssen. „Das scheint nicht einfach zu sein.“
Erschrocken dreht sich Alexander Fabuschewski um. Hinter ihm steht Michelle Carladis, die Bedienung aus dem Bistro.
„Sie haben recht, ich habe vergessen, dass alles in den dritten Stock getragen werden muss.“
„Da haben Sie aber Glück, ich bin frei und kann Ihnen helfen. Einen Moment, Klaus wird sicher mithelfen“, sie dreht sich um und läuft ins Bistro.
„Klaus Wagner“, stellt sie ihn vor, „ein Freund von mir.“
Er registriert, dass sie nicht sagt, „mein Freund“.
Alexander stellt sich nun ebenfalls vor, gibt jetzt auch Michelle die Hand. Er spürt einen kräftigen Händedruck und denkt an seinen Vater, der immer zu ihm gesagt hatte: „Fest zudrücken, Alexander.“
Klaus greift sogleich nach der Waschmaschine. Gemeinsam heben sie diese auf die Straße herunter. Alexander öffnet die Haustür und oben die Wohnungstür. Knapp zwei Stunden später steht alles in der Wohnung, noch nicht auf seinem endgültigen Platz, aber das, so sagt er, würde er alleine schaffen. Unschlüssig stehen sie in der Küche.
„Falls Sie überlegen, wie Sie uns danken können, schlage ich eine Pizza vor, drüben beim Wirt am Dom.“
Tatsächlich hatte Alexander gerade darüber nachgedacht, wie er fragen sollte. Nacheinander waschen sie sich im Badezimmer die Hände, verlassen gemeinsam die Wohnung und gehen hinüber in die Pizzeria. Wie es sich herausstellt, handelt es sich bei diesem Lokal nicht um eine Pizzeria im üblichen Sinne, sondern um ein, wie man oft sagt, gutbürgerliches Restaurant unter italienischer Leitung. Alle drei bestellen sie Pizza und Bier.
„Ich weiß nicht, ob ich Ihnen genug danke, wenn ich das hier bezahle?“
„Ich denke schon“, sagt Klaus, „zumal das heute unser letzter Arbeitstag vor dem Urlaub ist. Morgen werden wir abreisen, zwei Wochen Korsika. Jetzt, im September, ist das Wetter dort noch sehr angenehm, nicht zu warm und nicht zu kalt.“
Im Stillen bedauert Alexander nicht nur ihre Abreise. Er ist also doch ihr Freund, denkt er. Zudem muss er nun noch vierzehn Tage warten, bis er Michelles Hilfe in Anspruch nehmen kann.
„Sicher wird es später noch eine Gelegenheit geben, dass ich mich für Ihre Hilfe erkenntlich zeigen kann“, und an Michelle gewandt, „darf ich dann auch noch auf Ihre Unterstützung rechnen bei meiner Recherche in Sachen Klassenfahrt?“ „Ja, sicher“, sie klärt nun Klaus darüber auf, um was es dabei geht.
Der ist ein wenig erstaunt. „Davon hast du mir ja gar nichts erzählt.“
Michelle erscheint ein wenig verlegen. „Habe ich nicht? Seltsam.“ Kurz darauf verabschieden sie sich mit der Aussage, sie hätten noch einiges vorzubereiten.
Alexander bleibt sitzen, bestellt sich noch ein Bier. Er will sich Zeit lassen, beabsichtigt, erst am kommenden Tag die Wohnung weiter einzuräumen.
Am Morgen, denkt er, wird er im Bistro frühstücken und danach seinen neuen Friseur aufsuchen. Noch einmal überdenkt er die Ereignisse der letzten Tage. Der Unfall seines Vaters, die Besuche im Krankenhaus, der Artikel in der Zeitung, die Wohnung, Michelles Angebot und deren Hilfe beim Umzug.
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