Peter und sein Helfer werden zur weiteren ärztlichen Behandlung in das Dillenburger Krankenhaus gebracht. Er erfährt, dass der Mann Gerhard Braun heißt, Handlungsreisender für Klimaanlagen ist und auf der Fahrt nach Hause, nach Dortmund, war. Peter bedankt sich für die Hilfeleistung, als sie auch schon die Klinik erreicht haben.
Später hört Peter von einer Krankenpflegerin, dass Gerhard Braun das Krankenhaus noch am selben Tag verlassen konnte. Er selbst wird stationär aufgenommen und wieder, wie schon vor einigen Jahren, lautet die Diagnose des behandelnden Arztes Kommotio, also Gehirnerschütterung.
Auf die Frage, wer benachrichtigt werden soll, gibt er die Telefonnummer seines Sohnes, Alexander Fabuschewski, an. Der verspricht, so wird Peter übermittelt, so schnell wie möglich zu kommen.
Peter schläft ein, träumt, kann sich später nur erinnern, dass Cornelia in seinem Traum eine Rolle spielte. Plötzlich ist es dann aber Renate, die diese Rolle übernimmt. Als er wach wird, erkennt er Alexander, der neben seinem Bett steht und auf ihn herabschaut. Der bemerkt, dass sein Vater wach geworden ist.
„Hallo Peter, was ist passiert?“
„Schuld war die Kaffeemaschine“, beginnt Peter seinen Bericht. Alexander ist erschrocken und zugleich erleichtert, als er den Bericht seines Vaters hört.
Danach, Peter ist eingeschlafen, überlegt er, ob er heute noch nach Siegen zurückfahren soll, wozu er eigentlich keine Lust verspürt. Wieder einmal, wie so oft in letzter Zeit, denkt er darüber nach, seinen Wohnort zu wechseln. Jetzt hätte er einen konkreten Anlass dazu.
Die Ursachen sind vielfältig: Die Landschaft, das Tal der Sieg, ist nicht sehr breit, Hauberge auf beiden Seiten. Viele dieser Birken- und Buchenwälder werden auch heute noch holzwirtschaftlich genutzt. Deshalb werden die meisten der Bäume nicht älter als etwa achtzehn Jahre. Dementsprechend wirken die Wälder etwas eintönig. Die Seitentäler der Sieg sind noch enger und dunkler und sind bewachsen mit Bäumen derselben Art.
Das Wetter besteht aus vielen Regentagen. Oft ziehen Tiefdruckgebiete von Westen her bis zur sogenannten Wetterscheide, einem Mittelgebirgszug mit seiner höchsten Erhebung von etwa fünfhundert Metern bei Kalteiche, bleiben hängen und regnen ab. Oft, wenn er mit seinem Vater in Wetzlar telefoniert, beschreibt dieser das Wetter in Wetzlar als sonnig und ergänzt ironisch: „Ich weiß, bei dir regnet es.“
Auch heute war es so gewesen, Dauerregen. Als er auf der A45 die Abfahrt Haiger-Burbach hinter sich gelassen hatte, klarte es auf, und die Sonne schaute durch die schon etwas helleren Wolken.
Die Menschen in Siegen waren geprägt durch die abseits der großen Verkehrswege gelegenen Städte und Ortschaften, oft konservativ in ihrer Weltanschauung und meist stolz auf ihre Heimat, das Siegerland.
Als die Gesamthochschule gegründet wurde, soll der Siegener Bürgermeister gesagt haben, dass man nun seine Söhne und Töchter vor dem Sumpf der großen Städte bewahren könne.
Während seines Studiums an dieser Hochschule hörte er oft von Siegener Studenten, wie ihm schien, eigentümliche Aussagen. So zum Beispiel in einem Seminar zum Thema Industrialisierung im Siegerland. Ein Student, bekannt als Linker, referierte zum Thema Marxismus. Als er den marxistischen Klassenbegriff definierte, meldete sich ein Student und protestierte. Klassenunterschiede, so erläuterte er, gebe es wohl im Ruhrgebiet, jedoch nicht im Siegerland. Hier hätten die Industriearbeiter meist eigenes Land besessen und seien demzufolge nicht arm gewesen und konnten somit nicht zur Arbeiterklasse gehört haben. Jetzt meldet sich Alexanders innere Stimme: „Achtung Alexander, alles nur Vorurteile.“ „Ich weiß“, entgegnet er, „trotzdem.“
Jetzt gäbe es einen Anlass zu gehen. Erika hat ihn verlassen. Sein Vater weiß noch nichts davon, der mag Erika. Heute wollte er erzählen. Nun war es anders gekommen.
Als Peter Fabuschewski wach wird, fragt er ihn, welche Dinge aus seiner Wohnung er ihm bringen solle. Sein Vater erklärt, dass er heute nichts mehr benötige. Alexander könne in Wetzlar übernachten und auf dem Rückweg nach Siegen mit den Sachen vorbeikommen. Alexander stimmt zu und verabschiedet sich.
Er fährt nach Wetzlar, vorbei an Peters Unglücksstelle. Auf dem Parkplatz Lahninsel stellt er sein Auto ab und geht zu Fuß in die Weißadlergasse. Bevor er die Wohnung seines Vaters erreicht, biegt er rechts ab, geht in Richtung Domplatz, will noch auf ein Bier ins Bistro. Er kennt die Kneipe, hat dort schon öfter mit seinem Vater gesessen.
In der Schwarzadlergasse, im Schaufenster eines Friseursalons, entdeckt er die Annonce:
Wohnung zu vermieten, hier im Haus. 115 Quadratmeter, drei Zimmer, Küche, Bad, Abstellraum, im dritten Obergeschoss. Miete: 560,– plus Nebenkosten.
Nicht schlecht, denkt Alexander Fabuschewski und nimmt sich vor, am folgenden Tag eine Besichtigung vorzunehmen.
Er findet einen Platz in der Fensterecke. Linker Hand schaut er in die Schwarzadlergasse, durch das Fenster ihm gegenüber sieht er den Dom. Vor ihm auf dem Tisch liegt die heutige Ausgabe der Regionalzeitung.
Gedankenlos greift er danach, würde sich viel lieber mit jemandem unterhalten, aber außer ihm sitzen noch fünf Personen an drei Tischen, die mit sich selbst oder ihrem Tischnachbarn beschäftigt sind.
Pressevielfalt, denkt er, als er dieselben Artikel erkennt, die er auch auf den ersten Seiten der Dillenburger Regionalzeitung gesehen hatte. Er ist sich ziemlich sicher, dass die Siegener Zeitung denselben Inhalt aufweist.
Dann fällt sein Blick auf einen Artikel im Regionalteil.
Drei Begebenheiten an einem Tag, die sein Leben verändern sollten.
Hallo, ich hoffe, es geht dir gut!? Du hast mich krankgemacht! Seit Dienstag habe ich wieder meine Kreislaufprobleme, die so schön weg waren. Schäm dich, ha! Geh in die Schämecke, los! Meine Haare reichen mir nur noch bis auf die Schulter. Ich lasse demnächst noch mal Passfotos von mir machen, dann siehst du ja, wie es aussieht. Mir gefällt es!
Apropos Bilder, hatte ich dir erzählt, dass ich dich manchmal zeichne? Zwei Zeichnungen von dir liegen dem Brief bei, die schenke ich dir.
Oh, heute habe ich wieder ausgiebig mit Kater Charly gekuschelt. Der arme Kerl musste als Ersatz für dich herhalten, ha!
Ich vermisse dich so! Und ich hoffe, dass du mir zurückschreibst.
Weißt du, was ich mir heute gekauft habe?
Eine Neue, wie du immer sagst, Schundzeitschrift. Von etwas muss der Mensch ja leben.
Hoffentlich gefällt dir die Kassette, die ich dem Brief beilege. Das eine Lied habe ich an dem Tag, an dem ich dir den ersten Brief geschrieben habe, von achtzehn bis nachts um drei Uhr gehört.
Es ist gar nicht so einfach, ohne den Menschen auszukommen, der mir am wichtigsten ist. Wenn du jetzt hier sein könntest, das wäre sooo toll!!!
Morgen wird mein Vater 44!
Ich mach jetzt lieber Schluss, sonst weine ich wieder. Ich hab dich immer noch über alles lieb!
Schon oft haben Zeitungsartikel den Kern für die Handlung eines Romans abgegeben.
Sexuelle Nötigung auf Klassenfahrt
Wetzlar (rk). Das Wetzlarer Jugendschöffengericht hat einen 16jährigen Schüler aus Braunfels der sexuellen Nötigung für schuldig befunden. Das Gericht sprach eine Verwarnung aus, außerdem muss der Jugendliche 120 Arbeitsstunden für eine gemeinnützige Einrichtung ableisten. Der Angeklagte bestritt die ihm zur Last gelegte Tat und legte gegen das Urteil Berufung ein.
Wie die Verhandlung ergab, hatte der Angeklagte im Mai dieses Jahres an einer Klassenfahrt teilgenommen. Laut Anklage war er dort zusammen mit allen anderen Schülerinnen und Schülern der Klasse in verschiedenen Zimmern, auf einem Flur der Jugendherberge untergebracht. Nachts soll er sich, laut Gericht, in das Bett einer Klassenkameradin begeben und sexuelle Handlungen vorgenommen haben.
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