Der Bund der Steuerzahler informiert auf seiner Internetseite, wo sich auch ein Ticker befindet, der die derzeitige Höhe der immer schneller ansteigenden Staatsverschuldung anzeigt, [56] seit mehreren Jahren über staatliche Verschwendung in Höhe von ca. 30 Milliarden jährlich und gibt jedes Jahr das Schwarzbuch der öffentlichen Verschwendung heraus, in dem die vielen unsinnigen Ausgaben aufgeführt werden. Sein Vorsitzender Karl Heinz Däke forderte daher die Einführung des Strafbestandes Amtsuntreue und die Verankerung einer Schuldenbremse im Grundgesetz. [57] Listen über diverse Verschwendung, beispielsweise bei ungenutzten Materialien bei der Bundeswehr, bei überflüssigen Dienststellen oder unbegründeten Steuerprivilegien in Millionenhöhe enthalten auch die Berichte des Bundesrechnungshofs. Sinnlose Verschwendung für immer weitere Beraterverträge, Expertenkommissionen und sonstige Dienstleistungen, die von den Bundesministerien in Auftrag gegeben wurden, fandet statt, ohne daß sich durch die unzähligen Gutachten und Beratungen irgend etwas wesentliches an der bisherigen Politik geändert hätte, zumindest nicht zum Besseren. [58] Auch der beschlossene Nachtragshaushalt angesichts der Finanzkrise und der damit verbundenen befürchteten verminderten Steuereinnahmen, nach dem die Nettokreditaufnahme um 10,7 Milliarden auf 47,6 Milliarden Euro und Deutschlands Gesamtschulden auf die damals noch beanstandeten zwei Billionen Euro steigen sollten, wurde von der FDP scharf kritisiert. Die Ursache für die Neuverschuldung sei nicht allein die Krise, sondern ebenso maßlose Ausgabensteigerungen der vergangenen Jahre. Das Problem des Staates seien nicht die Steuereinnahmen, meinte in seiner Kritik Joachim Stoltenberg, sondern dessen Ausgabenlust. [59]
Die Schuldenlast von zwei Billionen Euro ist inzwischen längst überschritten worden, hingegen dem geringen Rückgang in der letzten Zeit keine große Bedeutung beizumessen ist. Angesichts der Bankrottsituation anderer Staaten (insbesondere der sich regelmäßig wiederholenden Griechenland-Pleite) wird kaum noch darauf geachtet. Deutschland scheint es im Vergleich zu anderen Ländern noch relativ gut zu gehen, Erfolgsmeldungen und Wachstumsprognosen aufgrund hoher Umsätze deutscher Konzerne täuschen vor, als wäre die Krise längst überwunden, ja dieser zweifelhafte Erfolg sogar den umstrittenen Reformen der Agenda 2010 zuzuschreiben. Nun ist wieder von einer neuer Agenda 2030 die Rede, wobei nichtsdestoweniger nicht etwa an echte Strukturreformen (diese hat man während der langen Kanzlerschaft von Angela Merkel nicht mehr gewagt), auch nicht an Schadensbegrenzung (Beseitigung der Schäden, die die Pseudoreformen gebracht haben) gedacht ist, sondern nur Losungen mit nichtssagendem oder zweifelhaftem Inhalt vorgeschlagen werden, wie Energieeffizienz, Innovation, Bildung (ggf. auch mehr Privatvorsorge oder Gründungsmut). [60] Daß sich hinter diesen Schlagworten, ebenso wie zuvor den vorgenommenen Pseudoreformen kein Konzept zur Rettung des Sozialstaats verbirgt, ja daß sie im Gegenteil dazu beitragen, den brüchigen Wohlstand allmählich aufzulösen, wird trotz aller Kritik an Einzelheiten nicht verstanden.
1.2. Alterung und Verarmung der Wohlstandsgesellschaft
Der deutsche Sozialstaat beruht seit seiner Begründung durch Bismarck auf einem System von Pflichtversicherungen , die man zwar kritisch betrachten kann, die aber in ihrer Zeit die schlimmsten Auswüchse zu begrenzen vermochten und seine Aufgaben erfüllten, sofern der Sinn von Versicherung, nämlich die Vorsorge für Alter und Lebensrisiken, d.h. für Arbeitslosigkeit, Invalidität durch Unfall, Krankheit oder plötzlichen Tod, gegeben war. Der Zweck einer Versicherung, welcher Art auch immer, ist die Vorsorge für die Zukunft . Diese wird aber durch die staatlichen Zwangsversicherungen nicht mehr gewährleistet: Sie machen statt Rücklagen Schulden, und die heutigen Ausgaben werden aus der Substanz oder zu Lasten der Zukunft beglichen. Bei genauer Betrachtung der Entwicklung des Sozialstaats sowie der einzelnen sozialen Systeme hat man den Eindruck, daß es bei keinem von ihnen um den ursprünglichen Zweck geht, sondern nur noch um die Verwaltung und Organisation des Systems, das sich allmählich zum Selbstzweck entwickelt hat.
Alle Kritiker des wuchernden Sozialstaats stimmten – im Unterschied zu den andauernden Beteuerungen der Politiker – in der Nichtfinanzierbarkeit der heutigen Sozialsysteme überein, auf die die Politik nur mit aktivistischen Patentrezepten reagierte. Diese ist durch veränderte Bedingungen vorgegeben:
1. die Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur (Geburtenrückgang und verlängerte Lebenserwartung);
2. die institutionell und strukturell bedingte Arbeitslosigkeit;
3. die Lähmung der Handlungs- und Entwicklungsfähigkeit von Politik und Wirtschaft durch die selbstgeschaffenen Zwänge (die Verflechtungsfalle).
Diese Problematik ist inzwischen relativ gut bekannt. Über Wirtschaftskrise, Steuerdesaster und Staatsversagen berichtete in den ersten Jahren nach der Jahrhundertwende neben anderen auch der Spiegel unter dem Titel Die Stunde der Wahrheit im Land der Lügen. [61] Die desolate Situation Deutschlands und wie sie entstand war Thema des Buchs Ist Deutschland noch zu retten? von Hans-Werner Sinn [62]. Mit ähnlichen Argumenten beschrieb schließlich auch Gabor Steingart Deutschlands Zustand als Abstieg eines Superstars . [63] Die Ursachen dieser deutschen Dauerkrise reichen demnach bis in die Nachkriegszeit zurück: Der Sozialstaat sei von Adenauer falsch konstruiert worden, vor allem in bezug auf die Rentenpolitik, d.h. die Koppelung der Renten auf die Arbeitseinkommen (das Umlageverfahren), während das Risiko der Kindererziehung in diesem „Generationsvertrag“ nicht berücksichtigt wurde, da man einen Strukturwandel im Altersaufbau der Bevölkerung nicht voraussah. Adenauer lehnte die Einbeziehung der Kindererziehung in dieses System mit der Begründung ab, Kinder habe man sowieso. Nach der Darstellung von Metzler stellte diese als „Generationsvertrag“ bezeichnete Rentenreform eine Richtungsänderung trotz der weiterbestehenden Kontinuität mit dem bismarckschen Rentensystem dar. In anderen Zweigen der Sozialversicherungen dominierte die Kontinuität. [64]
Möglicherweise noch verhängnisvoller als die Umlagerente selbst, die man in der Nachkriegszeit als eine vorübergehende Lösung akzeptieren könnte, die jedoch mit dem steigenden Einkommen allmählich zum Aufbau eines Kapitalstocks übergehen sollte, war die 1957 eingeführte bruttobezogene dynamische Rente , nach der die Rentner an der allgemeinen Einkommenssteigerung verhältnismäßig teilhaben sollten. [65] Das Leichtfertige an der Rentenfinanzierung sowie an der Dynamisierung der Rente war wohl die Vorstellung, der wirtschaftliche Aufschwung sei ein dauerhafter, als wäre die Möglichkeit leerer Kassen und des wirtschaftlichen Niedergangs nicht vorhanden. Die dritte Ursache für den sich anbahnenden Zusammenbruch des Rentensystems sind sodann zweckfremde Leistungen , die seit Jahrzehnten von den Rentenkassen betrieben werden. Die ständig wiederholte Behauptung der Politiker „Die Rente ist sicher“ verdeckte nicht nur die Tatsache, daß die Renten immer wieder nach unten korrigiert wurden, so daß die tatsächliche Höhe der eigenen künftigen Rente von vielen Menschen überschätzt wurde, selbst wenn es den meisten heutigen Rentnern noch gut geht, sondern auch die Tatsache, daß der „Generationsvertrag“ zu den bestehenden Bedingungen nicht mehr bezahlbar ist: Die Rentenkasse wird mit immer höheren Anteilen durch Steuergelder bezuschußt, die Schwankungsreserve wurde dagegen abgebaut, um den Beitragssatz nicht erhöhen zu müssen, während die realen Renten sinken. [66] Die widersprüchlichen „Rentenreformen“ (neben der Einführung der „Riester-Rente“ als scheinbaren „zweiten Säule“ der Rentensicherung zunächst Verlängerung des Rentenalters auf 67 für bestimmte Jahrgänge, später wieder deren Verkürzung auf 63 Jahre nach 40 Jahre Arbeitsverhältnis, jetzt eine „flexible Rente“) zeugen nur von Ratlosigkeit der Politik in bezug auf dieses Problem.
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