«Bei den Göttern. Was hast du getan?», fragte Katharina entsetzt.
«Ich ... ich weiß es nicht. Ich habe ...», Tamira stotterte. Sie schaute zum Balkon und Panik ergriff sie: «Bei den Göttern. Ich habe den Priester getötet!»
«Nicht irgendeinen Priester! Den Obersten Priester aller Mani!», die Prinzessin lief aufgeregt hin und her.
«Sie werden mich töten. Sie werden mich hängen!», jammerte Tamira: «Prinzessin, verzeiht mir.»
«Sei still!», sagte Katharina: «Hast du ihn Schreien gehört?»
«Ihr glaubt, er lebt noch?»
«Unsinn. Aber die Wachen stehen auf der anderen Seite. Vielleicht haben sie es nicht mitbekommen!»
«Ich verstehe nicht ganz ...»
«Du musst hinuntergehen. Und den Leichnam wegschaffen!»
«Was?», Tamira schaute die Prinzessin mit großen Augen an: «Das meint Ihr doch nicht ernst, oder?»
«Willst du hängen?»
«Nein!»
«Dann tu was ich sage. Bring den Leichnam weg.»
«Aber ... ich schaff das nicht!»
«Du brauchst Hilfe. Um ihn ganz weg zu schaffen benötigst du Hilfe. Aber erst einmal musst du den Leichnam verstecken. Irgendwo hier in der Nähe!»
Tamira schüttelte den Kopf: «Ich bin euch zutiefst zu Dank verpflichtet, dass Ihr mich decken wollt. Aber ich habe gerade den Oberen Priester getötet. Die Götter werden mir das nie verzeihen!»
«Vielleicht war es der Wille der Götter ...»
«Ja, das war es!», meinte plötzlich eine Stimme an der Treppe.
Die beiden jungen Frauen drehten sich überrascht um und erblickten die Magd des Priesters.
«Du hast alles mitbekommen?», fragte die Prinzessin.
Die Magd nickte: «Ja, das habe ich!»
Tamira seufzte: «Jetzt ist alles aus!»
«Wieso?», fragte die Magd und ging dann vor Prinzessin Katharina auf die Knie: «Verzeiht. Es war respektlos von mir Euch nicht angemessen zu begrüßen!»
«Steh auf!», meinte Katharina.
«Erlaubt mir, dass ich Eurer Hofdame helfe, den Priester fortzuschaffen!»
«Warum tust du das?», fragte Tamira: «Ich verstehe das nicht!»
«Er hat mich vergewaltigt!», meinte die Magd: «Nachdem Ihr, Prinzessin ,im Tempel wart. Ich habe Euch dafür gehasst, Prinzessin. Vergebt mir dafür! Er hatte Euch gewollt und mich genommen. Und dafür habe ich Euch gehasst. Aber Ihr könnt nichts dafür. Und nun hat er seine gerechte Strafe bekommen!»
«Er hat Euch ...», Katharina schloss für einen Augenblick die Augen: «Er ist unser Oberster Priester ... war unser Oberster Priester. Wieso hat er das getan?»
«Die Welt ist nicht so, wie Ihr es euch vorstellt!», murmelte die Magd des Priesters: «Und ich glaube nicht, dass die Götter das gewollt haben!»
«Ich weiß es nicht!», sagte Prinzessin Katharina. Sie glaubte sehr wohl, dass die Götter Entscheidungen trafen, die nicht unbedingt jedem gefielen. Aber der Priester war tot. Ob das nun Sünde war oder nicht, es würde nichts an der Tat ändern, wenn Tamira dafür hängen würde. Ihr graute bei dem Gedanken. Gut, vielleicht würde damit die Schuld bereinigt. Ihre Schuld. Weil ein Leben für ein Leben gegeben wurde. Das war das Ziel der Todesstrafe. Nicht die Buße für die Delinquenten, sondern für diejenigen die zurückblieben. Aber würde sie wirklich Tamira opfern, um ihre eigene Seele zu retten? Nein, das war keine Entscheidung, die sie mit dem Kopf treffen konnte. Und ihr Herz sagte, dass sie Tamira schützen musste. Auch wenn das die Götter erzürnen würde.
Katharina ging zum Balkon und starrte hinunter. Dort unten waren Felsen. Sie versuchte über die Brüstung zu schauen um besser sehen zu können. Aber den Priester konnte sie nicht sehen.
«Geht da weg!», bat Tamira: «Bitte!»
«Keine Angst!», meinte die Prinzessin: «Ich falle schon nicht!»
«Trotzdem!», die Hofdame zitterte vor Angst.
«Geht!», meinte Katharina: «Geht und tut, was ihr tun müsst!»
«Es gibt nur ein Problem!», meinte Tamira: «Die Wachen werden merken, dass der Priester nicht aus dem Turm kommt!»
«Wir sagen, dass der Priester noch oben bleibt. Irgendwann ist Wachwechsel. Und dann müssen wir hoffen, dass die Wache der Wachablösung nicht sagt, dass der Priester noch oben sein müsste.»
«Trotzdem. Irgendwann wird man den Priester vermissen und suchen!», murmelte Tamira.
Die Magd des Priesters nickte: «Ja. Das mag wohl sein. Aber ich werde mir eine Ausrede überlegen. Sagen, dass er abgereist ist. Er reist oft spontan irgendwohin. Und dann hat ihn eben eine Diebesbande ausgeraubt und getötet ...»
«Wohin bringen wir den ... Priester!», fragte Tamira.
«Was weiß ich. Zum Meer.»
«Er wird immer wieder zurück gespült.»
«Dann vergraben wir ihn!»
Tamira schüttelte den Kopf: «Dafür brauchen wir Tage!»
«Bringt ihn in den Wald!», sagte die Prinzessin.
«Nein, königliche Hoheit!», meinte die Magd: «Ich habe eine Idee ...»
Katharina blieb zurück. Die Magd des Priesters ging mit Tamira die steilen Treppen des Turmes hinunter.
«Der Priester möchte nicht gestört werden!», sagte die Magd zu den beiden Wachen.
Sie nickten. Einer von ihnen grinste. Ihre Fantasie spielten ihnen Streiche. Aber das war gut.
«Was grinst Ihr so?», fragte sie zornig.
Der Soldat schüttelte schnell den Kopf: «Verzeih! So war das nicht gemeint!»
«Wir werden einen Spaziergang machen!», erwiderte die Magd leise: «Und Ihr werdet ihn auch nicht stören!»
«Nein, werden wir nicht!», versprach der Soldat.
Die beiden jungen Frauen gingen auf die andere Seite des Turmes. Dort sahen sie ihn. Etwas weiter unten auf einer Felsspalte.
«Wir müssen dort hinunter!», sagte die Magd.
Tamira schluckte: «Vielleicht ist es besser, wenn ich die Wahrheit sage und ...»
«... dich hängen lässt? Rede keinen Unsinn! Und jetzt komm mit runter!»
Sie kletterten hinab ...
«Bei den Göttern ...», rief Tamira aus und schaute auf den Priester, der einfach nur grauenhaft entstellt aussah. Seine Glieder waren teilweise gebrochen und standen völlig willkürlich von ihm ab. Er sah aus wie eine Marionette, der man die Fäden abgeschnitten hatte.
«Reiß dich zusammen!», sagte die Magd: «Und hilf mir!» Sie packte den Priester an den Füßen: «Wir müssen ihn hier hinunter Richtung Strand ziehen!»
«Wenn uns jemand sieht, dann sind wir beide tot!», sagte Tamira und ging zu seinem Oberköper. Sie musste einen Würgereiz unterdrücken.
«Denk nicht daran. Nicht jetzt!»
Tamira starrte in das blutüberströmte Gesicht. Ihr Herz bekam fast einen Aussetzer, als der Priester plötzlich die Augen öffnete: «Heilige Monde der sieben Götter. Er lebt ...» Panik erfüllte die Hofdame der Prinzessin und sie machte einen Schritt zur Seite.
«Helft mir ...», stöhnte der Priester. Seine Lippen bewegten sich dabei nur ganz wenig. Er hatte vermutlich höllische Schmerzen. Aber er lebte.
«Verflucht!», sagte die Magd: «Wir müssen ihn erlösen!»
«Ihn erlösen?», Tamira wurde fast schon ein wenig zu laut. Noch einmal wiederholte sie ihre Worte etwas leiser: «Ihn erlösen ... oh verdammt. Das meinst du doch nicht ernst!»
«Natürlich meine ich das ernst!»
«Du meinst ermorden!»
«Du hast ihn schon ermordet!», sagte die Magd: «Du hast ihn vom Balkon gestürzt.»
«Aber er lebt!»
«Nennst du das Leben? Schau ihn dir an. Er ist so gut wie tot!»
«Helft mir!», stöhnte der Priester. Man sah ihm an, dass er versuchte aufzustehen. Aber die vielen gebrochenen Knochen machten das unmöglich: «Was ... was ist geschehen?»
«Ihr seid gefallen!», sagte die Magd.
«Nein!», meinte er: «Ich wurde ... ich wurde gestoßen.» Er versuchte die Hand zu heben, aber es gelang ihm nicht.
«Nein. Ihr seid gefallen!», wiederholte die Magd.
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