„Kannst du dich vielleicht noch genau daran erinnern?“
Die rothaarige Frau nickte langsam.
„Ja … er hat noch etwas gesagt ...“, antwortete sie zögernd. „Allerdings gebe ich keine Garantie dafür ab, dass alles auch Wort für Wort noch so stimmt.“
„Denk nach, Mädchen, denk nach! Es könnte wirklich wichtig sein!“
Sheila Armstrong zog ihre Stirn in Falten und es war ihr anzusehen, dass sie angestrengt nachdachte.
„Nuuuun ...“, begann sie dann gedehnt, „Wenn ich mich richtig erinnere, erwähnte er irgend etwas von ‚Behüte das große Geheimnis‘ und ‚Niemals danach suchen‘. Außerdem sagte er etwas von einer ‚Gefahr im Nebel, in dem etwas Unbegreifliches verborgen sein soll‘.“
„Und dann?“ In Harris' Stimme schwang deutliche Erregung mit.
„Dann ist er leider gestorben“, meinte Sheila mit bedauerndem Schulterzucken. „Ich kann mir auf die paar Brocken leider keinen richtigen Reim drauf machen. Aber da war noch etwas, was mich persönlich tief beeindruckt hatte: die Aura! Der Alte strahlte eine Aura auf mich aus, die mir eine Gänsehaut über den Rücken laufen ließ. Ich konnte das ‚Geheimnis‘, von dem er sprach, richtiggehend fühlen.“
„Sensationell!“ Taylors Stimme zitterte ein wenig vor Aufregung.
„Ich muss unbedingt herausfinden, was hinter dieser ganzen Sache steckt. Ein Geheimnis ist da, um gelüftet zu werden. Und ich werde es lüften, da bin ich mir sicher!“
Er blickte seine Freunde der Reihe nach an.
„Dabei könnte ich noch ein paar verlässliche Partner brauchen, die mir helfen, der mysteriösen Geschichte auf die Spur zu kommen. Wie steht’s – habt ihr Lust ...?“
Mike Iron zögerte keine Sekunde. Bei derartigen Aktionen lachte auch sein Herz.
„Natürlich bin ich dabei, gar keine Frage!“, rief er begeistert aus.
Und auch Sheila nickte zustimmend, wenn auch nach anfänglichem Zögern. Ihr gingen noch die merkwürdigen, warnenden Worte des sterbenden Alten durch den Kopf.
„Ich werde auch mitkommen, ganz egal, wo es uns letztendlich hinführen wird. Die ganze Sache ist viel zu aufregend, um ‚Nein‘ zu sagen. Außerdem kann man euch beiden Männer nicht alleine auf die Geschichte loslassen. Jemand muss schließlich auf euch aufpassen.“
Taylor M. Harris III. nickte zufrieden. Er hatte keine anderen Entscheidungen erwartet, denn dafür kannte er seine Freunde schon viel zu lange und zu gut. Zudem hatte Mike im Moment sowieso keinen neuen Auftrag. Und zu arrangieren, das Sheila von ihrem Arbeitgeber beurlaubt wurde, sollte für den Präsidenten und Eigentümer der THAR Holding kein Problem sein.
„Dann sind wir uns ja einig“, stellte er deshalb mit Genugtuung fest. „Wir treffen uns dann hier in zwei Tagen wieder. Dann haben wir Wochenende und Zeit genug, um unser weiteres Vorgehen zu besprechen. Ich habe so ein Gefühl, als das da ein wirklich außergewöhnliches Abenteuer auf uns wartet!“
Seine Wangen glühten förmlich, und die Begeisterung für das Kommende stand ihm deutlich in sein Gesicht geschrieben. Sheila und Mike ließen sich nicht ungern davon anstecken. So saßen sie noch Stundenlang beieinander, berieten, diskutierten und beratschlagten.
Taylor und seine Freunde konnten in diesem Moment noch nicht ahnen, wie außergewöhnlich das bevorstehende Abenteuer tatsächlich werden sollte.
3. Suche nach dem Schlüssel
"Verdammt!"
Krachend ließ Taylor M. Harris III. seine Faust auf die schwere, blütenweiße Carrara-Marmorplatte seines Büroschreibtisches fallen.
"Verdammt!", wiederholte der Chef der THAR-Holding noch einmal im Brustton tiefster Frustration.
Er schaute seine beiden Freunde an, die vor ihm in bequemen, weißen Ledersesseln saßen. Die Enttäuschung stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Sheila Armstrong und Mike Iron empfanden dabei kaum anders. Die schlechte Stimmung hatte ihren Ursprung in dem rechteckigen Stück alten Pergamentes, das vor ihnen auf der Tischplatte lag. Es war jene geheimnisvolle Karte, die ihnen von dem sterbenden Asiaten nach dem brutalen Raubüberfall in den Straßen von New York anvertraut worden war.
Seit Tagen versuchten sie nun schon, die unbekannten Symbole und Schriftzeichen der Karte soweit zu entziffern, dass sie etwas damit anfangen konnten. Ein riesiger Stapel von Fach- und Wörterbüchern verschiedenster, vornehmlich asiatischer Sprachen lag dazu rechts und links des Pergaments bereit. Daneben ein Tablet-PC, um zusätzlich die Informationsquellen des Internets anzuzapfen. Aber sie kamen einfach nicht richtig voran.
Das einzige, was sie bisher mit relativer Sicherheit entschlüsseln konnten, war der Hinweis auf ein in den Bergen des Himmalaja verborgenes Tal, welches angefüllt sei sollte mit einem unwirklichen, ewigen Nebel. Und dann war da noch die Rede von einer nicht näher bestimmbaren Gefahr, die in der Unendlichkeit lauern würde. Diese Gefahr bedrohe jeden, der es wagen sollte, das Tal der Nebel zu betreten. Mike Iron kraulte sich nachdenklich den pechschwarzen Vollbart. Mit missmutigem Blick musterte er dabei den Berg von Büchern und Schriften, die sie seit Stunden wälzten und studierten.
"Es ist fast unglaublich, dass wir in all diesen Fachbüchern nichts gefunden haben, was uns bei der Entschlüsselung der Kartensymbole hätte helfen können!", gab er leicht genervt von sich.
"Wir werden wohl doch noch einen Fachmann aufsuchen müssen", meinte Sheila Armstrong mit müder, erschöpft klingender Stimme, und schickte ein herzhaftes Gähnen hinterher. Wie die beiden Männer hatte sie in den letzten Tagen kaum Schlaf bekommen. Sie alle drei hatten Stunde um Stunde an der Entschlüsselung der geheimnisvollen Karte gearbeitet.
Taylor schüttelte als Reaktion auf den Vorschlag der rothaarigen jungen Frau heftig seinen Kopf.
"Das können wir vergessen", gab er in ablehnendem Ton von sich. "Wenn ich mich mit so einer Karte an irgendein Institut wende, dann pfeifen in wenigen Stunden sämtliche Boulevardblätter vom Dach, dass der "Herrscher der THAR-Holding" wieder einmal eine seiner Extratouren plant. Nein, es sollen so wenig wie möglich von der Geschichte erfahren!“
"Aber Sheila hat im Prinzip recht. Ohne einen Experten können wir die Expedition gleich abschreiben", gab Mike zu bedenken. "Das Himalaja-Gebiet ist riesengroß. Wir würden Monate, ach was sag ich, Jahre umsonst suchen, wenn wir nicht wissen, wo wir anfangen sollen mit unserer Suche".
"Dazu brauchen wir einen verschwiegenen Experten. Woher nehmen und nicht stehlen?".
Taylor Harris hatte damit begonnen, nachdenklich hinter seinem Schreibtisch auf- und abzugehen. Seine beiden Freunde beobachteten schweigend seine 'Wanderung'.
"Sheila!"
Der Ruf von Taylor kam so unvermittelt, dass Sie und Mike heftig zusammenzuckten.
„Mein Gott Taylor!“, beschwerte sich Sheila bei ihrem langjährigen Freund. „Musst du uns so erschrecken?"
"Entschuldige, war keine Absicht!“, antwortete dieser. „Aber mir ist da gerade etwas eingefallen. Du hattest doch einmal einen Freund, der Professor am hiesigen Naturkundemuseum ist?"
"Ja", antwortete die New Yorkerin etwas einsilbig. Man konnte ihr ansehen, dass sie nicht recht wusste, was Taylor Harris mit seiner Frage bezweckte.
"Aber das ist schon ein paar Jahre her", fügte sie noch erklärend hinzu.
"War der Typ nicht ein selbst ernannter Asienexperte?"
"Stimmt, das war er. Du konntest ihn fragen, was du wolltest, er gab dir immer eine Antwort. Ahhh, jetzt fällt der Groschen bei mir: ich soll ihn kontaktieren!"
"Du hast es erfasst, teure Freundin!", bestätigte Taylor ihre Vermutung.
"Steven hat mich bestimmt schon vergessen", entgegnete Sheila und machte ein mehr als skeptisches Gesicht zu dem Vorschlag.
Doch Taylor Harris schenkte ihr sein breitestes Lächeln.
Читать дальше