Das blieb auch ungefähr so nach meiner Promotion. Mein Jahresverbrauch an Bier lag bei etwa einer halben Kiste. Andere Alkoholika trank ich gar nicht. In meinem Institut in dem ich als Postdoc arbeitete, gab es ein Labor, in dem vorwiegend Pharmazeuten forschten. Mit ihnen nutzte ich einige Geräte gemeinsam. Einige von ihnen verkürzten nächtliche Versuche mit Zubereitungen von alkoholischen Zaubertränken, die sie aus medizinischem Alkohol mischten. Wenn ich den Gaschromatographen in ihrem Labor benutzte, erlebte ich das öfter. In Versuchung mitzutrinken kam ich nie. Ich mochte einfach den Rahmen nicht. In Gesellschaft fühle ich mich immer etwas unsicher. Alkohol hätte dieses Gefühl verstärkt. Meist verschwand ich schnell, wenn meine Arbeit erledigt war und die Gespräche immer banaler wurden. Außerdem störte mich der Gedanke nachts noch zehn Kilometer mit dem Rad nach Hause fahren zu müssen. Das wäre mir unter Alkohol eine unakzeptable Qual gewesen. Da hätte man besser danach zu Hause trinken können, aber da wartete meine Freundin, und das war immer noch die mit dem fehlenden Leberenzym.
Die Jobsuche für eine Festanstellung war langwierig. Die Bewerbungszeit für eine Festanstellung nutzte ich für einige , die ich über eine Londoner Arbeitsagentur erhielt; das waren zeitlich sehr befristete Vollzeitjob. Ein solcher Job war auch eine Montagetätigkeit in Algerien. Die Fermentationsanlage für Hefen entstand in einem Industriepark. Dort war es sommerlich heiß. Obwohl die Baracken der Monteure nochmals abgedeckt waren durch eine darüber gespannte Plane, herrschte drinnen eine brüllende Hitze. Technisch lief viel schief, trotzdem brach die Stromversorgung durch einen Generator nie zusammen. So konnten die Ventilatoren und einige Klimaanlagen 24 Stunden am Tag laufen. Für fünf Tage ruhte die Arbeit wegen logistischer Probleme. Das waren endlose Tage in dieser Öde. Die meisten Arbeiter schlugen die Zeit tot mit Kartenspielen und Weintrinken. Es gab reichlich algerischen Rotwein. Ich hatte das nicht erwartet in einem muslimischen Land. Ich schlief die meiste Zeit und trank auch von dem algerischen Tropfen. Zum Mittag, wenn andere ihre zweite oder dritte Flasche öffneten, trank ich meine erste Flasche und machte Siesta bis zum Abendessen. Zum Abendessen genehmigte ich mir eine zweite Flasche. So konnte ich bequem weiterschlafen. Auf diese Weise konnte ich mit Schlaf die endlos gewordene Zeit vertun und musste nicht mit den anderen Monteuren abhängen, mit denen ich so schwer ein gemeinsames Gesprächsthema fand. Morgens lag ich dann bis zum Mittag im Bett und las und andere britische Yellow Press von der vergangenen Woche.
Nach dem Wüstenjob deponierte ich meine übersichtlichen Habseligkeiten bei meiner Freundin und setzte mich mit meinem Montagelohn für ein halbes Jahr nach Südamerika ab. Ich reiste bis runter nach Patagonien um Gletscher zu sehen, die direkt ins Meer kalben und durchquerte die Atacamawüste. In Vailparaiso übte ich Wellenreiten und gab Englischkurse an einer Universidad Popular (eine Art Volkshochschule). Als ausländischer hielt man mich für besonders geeignet. Hier lernte ich einige Amerikaner kennen, denen ich mich anschloss, um in einer Expedition ins Altiplano den Ojos del Salado zu besteigen. Der Berg ist mit 6880 Metern der höchste Kegelvulkan der Erde. Technisch war die Besteigung keine so große Sache. Die Steigungen sind nicht extrem. Eigentlich war es wie Bergwandern in großer Höhe. Körperliche Fitness war trotzdem sehr wichtig, um die langen, monotonen Märsche in eisiger Kälte zu bewältigen. Auch intensive Akklimatisation in verschiedenen Höhen, schützte mich nicht vor Symptomen der Höhenkrankheit. Der Vulkan ist nun mal mehr als doppelt so hoch, wie die Zugspitze. So wurde das Gipfelglück zum Stress. Ich wollte schnell wieder runter. Durchgehalten hatte ich nur wegen der Gruppe. Alleine wäre ich vorher umgekehrt. Ich war doch kein Masochist, der sich soviel Kopfschmerz und Übelkeit freiwillig antat. Natürlich verschwendete ich bei so großartigen Erlebnissen keinen Gedanken für Alkohol.
In meiner ersten Firma, in der ich danach neun Jahre arbeitete, war der Umgang mit Alkohol immer sehr offiziell. Ein oder zwei Biere, die ein Chef mit seinen Mitarbeitern z.B. auf Tagungen trank, galten als vertrauensbildende Maßnahme. Größere Mengen waren verpönt und bei Anlässen mit Geschäftskunden unerwünscht. Ich achtete sehr darauf, allein um schon bei meinen Chefs nicht leichtfertig Minuspunkte zu sammeln, schließlich konkurrierte ich mit den Kollegen um Projekte. Mehr als die Kollegen achtete ich bei meiner Arbeit auf Contenance. Ich war unsicher und ohne besondere Empathie im Umgang mit Menschen im Allgemeinen und mit Geschäftskunden im Besonderen. Öffentliche Auftritte waren mir harte Arbeit. Ich litt an meinen Mangel an sozialer Kompetenz. Deswegen wollte ich ja diesen Job in Vertrieb und Marketing. Mit dem täglichen Training durch diese Herausforderung, hoffte ich allmählich meinen Mangel zu eliminieren. Außerdem wollte ich mir ein neues Berufsfeld erschließen. Ich kam aus der Grundlagenforschung und wollte raus aus der Ecke des Spezialisten, der sich nur auf sein technisches- und chemisches Fachwissen verstand. Ich wollte nicht so sein, wie mein alter Mathelehrer, der als Fachidiot belächelt wurde. Er war absolut fit, bekam es aber überhaupt nicht gebacken, sein Wissen an die Schüler zu vermitteln. Ich wollte, dass Menschen erkannten, dass mein Know-How ihnen nützen konnte. So wurde mir der Kundennutzen an den Produkten meiner Firma zur Lebensaufgabe. Ich war dankbar, dass man mir diese Aufgabe gab. Ich fand es klasse, dass mein Chef neben meinen Fähigkeiten und Mängeln auch den Ehrgeiz sah, um das zu kämpfen, was mir in dem Job noch fehlte. Er war der Überzeugung, dass Mängel ein guter Grund sind für Fortschritt. Ich pflichtete ihm bei und wies daraufhin, dass das mit dem nötigen Ehrgeiz durchaus zu schaffen sei. Von meinem Erfolg war ich überzeugt solange ich mutig und gründlich plante. Größere Ziele brauchten nur mehr Durchhaltewillen und mehr Teilziele auf dem Weg zum Gipfelglück. Letztlich konnte ich mir mit dieser repräsentativen Aufgabe beweisen, dass auch nur rudimentär ausgebildete emotionale Eigenschaften trainierbar und entwicklungsfähig sind. Es brauchte nur meine Entschlossenheit und totale Aufmerksamkeit im Praxistest. Nebenbei zu trinken wäre mir unmöglich gewesen. Das wäre eine unzulässige Ablenkung, die alles kaputtgemacht hätte. Davor hatte ich Angst. Ich brauchte Kontrolle. Die macht mich sicherer. Selbst ein Geschäftsessen in einem Sterne-Restaurant konnte ich nicht wirklich genießen. Alle Aufmerksamkeit war beim Kunden. Ich strengte mich gerne so an, weil die Belohnung stimmte. Ich sah, wie ich an solchen Herausforderungen persönlich wuchs. Jeder Geschäftsabschluss war wie eine Goldmedaille für mich. Auch dann gab es keinen Alkohol. Erfolge musste ich pur genießen. Nur dann konnte ich einen Erfolg in seiner Größe und seinen Details schätzen. Nur dann wurde ich jedem vergossenen Molekül Adrenalin gerecht. Außerdem, was bedeuteten schon Erfolge. Erfolge sind Etappenziele. Hinter dem Horizont geht es weiter. Weder Abitur, Diplom noch Promotion hatte ich gefeiert. Das waren erfreuliche aber auch notwendige Erfolge. Sie waren das logische Ergebnis einer konsequenten, zielgerichteten Handlungsweise.
Bei Geschäftsessen konnte ich sehr gut zuhören, wenn über Wein gefachsimpelt wurde, um dann pflichtgemäß zu kosten. Danach aber trank ich mein Mineralwasser. Ich bin Purist beim Genießen von gutem Essen. Ich empfinde keine geschmackliche Verbesserung, wenn ich Wein zu einem Menü trinke. Ich habe eher den Eindruck Wein verfälscht, weil er eine nicht neutrale Note mit in das Geschmackserlebnis einbringt. Der Wein schafft eine Tendenz. Er betont viel zu sehr. Das richtige Mineralwasser hingegen, hebt den Eigengeschmack eines Menüs besser hervor durch Zurückhaltung. Mein wichtigstes Kriterium für die Getränkewahl ist der Kohlensäuregehalt der bereitgestellten Mineralwassersorten.
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