Er bog in eine Seitengasse und atmete erleichtert auf, als er keine Gestalten erblicken konnte. Diese unscheinbare kleine Gasse führte ihn direkt ins Herz des Armenviertels und bald würde er sicher zu Hause sein.
Er huschte in die kleine Straße und einen kurzen Moment später sah er sie und eine Welle des Entsetzens brach in ihm ein.
Fünf in Roben gekleidete Gestalten betraten den Weg und blickten in seine Richtung. Mit einem Satz hechtete er in einen Hauseingang und betete, dass die Dunklen ihn nicht bemerken würden. Sein Herz schlug bis zum Hals, als er angestrengt lauschte. Er hörte ihre Schritte, welche immer lauter an sein Ohr drangen. Als sie an seinem Versteck angelangt waren, blieben alle fünf abrupt stehen und drehten sich langsam in seine Richtung. Darian presste sich mit ganzer Kraft gegen die Hauswand und war starr vor Angst. Jetzt war es vorbei mit ihm, dachte er verzweifelt, sie hatten ihn bemerkt und schleppten ihn mit.
Das letzte Fünkchen Hoffnung wurde in ihm zerstört, als er sich daran erinnerte, dass die Dunklen auch ohne Licht sehen konnten.
Zwar war auch das nicht bestätigt und er hoffte auf das Gegenteil, doch was sollte ihn jetzt noch retten? Er wusste, dass nun das Unvermeidliche kommen würde und schloss die Augen.
Doch ein Angriff blieb aus und statt sich auf ihn zu stürzen, deutete einer von der Gruppe auf etwas über Darian. Im nächsten Augenblick hörte er das typische Surren eines Bogens und ein Dunkler taumelte getroffen von einem Pfeil in der Schulter zurück. Sofort zogen die anderen Vier kampfbereit ihre gezackten Schwerter und stießen sich kraftvoll vom Boden ab, über den verblüfften Jungen hinweg auf das Dach und landeten gekonnt dort, von wo der Pfeil gekommen war.
Auch der Verbliebene am Boden zog sich unter einem Aufschrei den Pfeil aus seiner Schulter und eilte zurück in die Richtung, aus der er gekommen war.
Weitere Minuten verstrichen, ehe Darian sich wagte zu bewegen. Mit weichen Knien und immer noch pochendem Herzen wurde ihm bewusst, wie knapp er dem Tod entronnen war. Nur stellte sich ihm die Frage, ob es Zufall gewesen war, dass gerade jemand in diesem Moment einen Pfeil auf die Gruppe abgeschossen hatte. Er hoffte nur, dass es der Person gelang, den Häschern des Dämons zu entfliehen. Noch ein letztes Mal blickte er in die Richtung seines Retters, dann sah er zu, dass er schleunigst weiter kam, denn einen weiteren Zwischenfall wollte er möglichst vermeiden.
Kapitel 2 Nächtliche Ausflüge
Darian schlief diese Nach nicht gut. Immer wieder wälzte er sich von einer Seite auf die Andere, nur um darauf wieder in einen unruhigen kurzen Schlaf zu fallen. In seinen Träumen suchten ihn jedes Mal aufs Neue die fünf Dunklen heim und immer, wenn sie ihn entdecken und ermorden wollten, schreckte er schweißgebadet aus seinem Bett hoch. Zum sechsten Mal träumte er bereits den gleichen Traum und als er erneut erwachte, konnte er nicht mehr einschlafen.
Der Abend war wie üblich verlaufen, er hatte seiner Mutter und Xian nichts von seinem Zusammentreffen erzählt, vielleicht hatte Sabellas Liebhaber ebenfalls etwas mit der Sache zu tun. Seiner Mutter wollte er nicht noch mehr Sorgen machen, sie plagte sich bereits mit Anderem herum. Nach dem kargen Abendessen, welches sie zusammen zu sich nahmen, worauf seine Mutter jedes Mal aufs Neue bestand, waren sie alle zu Bett gegangen. Geschlafen hatte Darian kaum, obwohl morgen ein weiterer harter Tag bevorstand.
Behutsam und so leise wie möglich kroch er unter seiner löchrigen Decke hervor, darauf bedacht, weder Xian noch Sabella zu wecken. Auf Zehenspitzen schlich er zu einem klapprigen Schrank in der Küche, in der ebenfalls sein kleines Bett stand und öffnete die Schranktür, die ausnahmsweise nicht knarrte. Zufrieden kramte er einen Becher aus Holz hervor und schöpfte etwas Wasser zum Trinken aus einem Bottich. Es war die einzige Wasserquelle, mit der sie sich versorgen konnten. War diese einmal leer, war Darian gezwungen, zu dem Stadtbrunnen zu laufen, um neues Wasser daraus zu schöpfen.
Als er ausgetrunken hatte, stutzte er und lauschte angestrengt in den Raum hinein. Er hätte schwören können, dass er aus dem Nebenraum, in dem Xian und seine Mutter schliefen, ein leises Knarren hören konnte. Da war es wieder, diesmal sogar deutlicher und im nächsten Moment konnte er sogar Schritte vernehmen. Auf einmal hellwach, überlegte er fieberhaft, was er tun sollte. Vielleicht waren Einbrecher in die Hütte gelangt? Die Möglichkeit verwarf er jedoch wieder, was sollten Räuber denn schon bei ihnen klauen? Kurz entschlossen schlich er flink durch die Küche auf die morsche Tür zu, die in das angrenzende Zimmer führte. Angestrengt versuchte er, durch ein Loch in der Tür zu spähen, wurde jedoch enttäuscht, als er die Beiden schnarchend in ihren Betten vorfand. Befand sich also noch irgendein ungebetener Gast in ihrem kleinen Heim, oder spielte ihm seine Phantasie einen Streich?
Gerade, als er sich abwenden wollte, räkelte sich Xian, schlug verschlafen die Decke zurück und erhob sich von seinem Bett. Er warf einen kurzen Blick in seine Richtung, als ob er Darian hinter der verschlossenen Tür sehen konnte und ein ungutes Gefühl machte sich in dem Jungen breit. Kurz überlegte er, ob er weiter spähen sollte, hielt es aber für klüger, den Rückzug ins Bett anzutreten, falls Xian das Haus verlassen sollte.
Gespannt lauschte er in die Stille hinein und wenig später vernahm er wieder dieses merkwürdige, leise Knarren und seine Neugier packte ihn erneut. Abermals erhob er sich, verwarf die Vorsicht und schlich zur Tür, um einen weiteren Blick durch das Loch zu werfen. Verdutzt stellte er fest, dass Xian nicht mehr im Raum zu sehen war, doch einen weiteren Ausgang als diesen gab es nicht, oder täuschte er sich da? Er vergewisserte sich noch einmal, dann drückte er leise gegen die Türe und betrat das Zimmer seiner immer noch schlafenden Mutter.
Langsam tastete er sich an der Wand entlang und suchte den Raum nach einem weiteren versteckten Ausgang ab. Alles schien wie immer, die Möbelstücke standen unbewegt an ihren Orten und auch in den Wänden gab es keine Hohlräume. Doch wohin konnte Xian dann verschwunden sein? Fieberhaft überlegte Darian, bis er wieder Schritte hören konnte, aber nicht wusste, woher die Quelle des Geräusches kam. Aus Verzweiflung entdeckt zu werden, schlich er so schnell und leise wie möglich in den Kleiderschrank und versteckte sich zwischen den teuren Kleidern Xians und wartete gespannt darauf, wo dieser jetzt erscheinen würde.
Plötzlich mit einem Ruck, fiel die Tür des Schrankes zu und sein Versteck setzte sich in Bewegung, bis mit einem weiteren Ruck der ganze Spuk vorbei war. Darian wusste nicht was passiert war und hatte unbewusst seinen Atem angehalten, öffnete nach einigem Warten langsam die Türe und stellte mit Entsetzen fest, dass er sich nicht mehr im Schlafzimmer befand, sondern ein langer schmaler Gang auf ihn wartete, der in die Tiefe führte. Dahin war Xian also verschwunden. Unabsichtlich hatte er den anderen Ausgang gefunden und überlegte nun, wie er die Situation nutzen sollte. Vielleicht konnte er so endlich seiner Mutter zeigen, dass etwas faul an ihrem Liebhaber war.
Entschlossen trat er aus dem Schrank heraus in den Gang, der zu seinem Glück von mehreren Fackeln erleuchtet wurde. Das alles raubte ihm schon seine Nerven, aber im Dunkeln wäre es wohl noch unangenehmer geworden. Bedacht setzte er einen Schritt vor den Anderen, er wollte nicht, dass er in einer Falle landete, die Xian eventuell für ungebetene Gäste installiert hatte.
Nach ein paar weiteren Schritten beschrieb der Tunnel eine Kurve und schließlich gelangte Darian in einen seltsamen Raum.
Was er dort sah, verschlug ihm regelrecht die Sprache. Regale mit hunderten von Büchern zierten die Wände, in der Ecke brodelte irgendein Gebräu in einem riesigen Kessel über einer kleinen Feuerstelle und auf den vielen Tischen sah er wertvolle Gläser in allen erdenklichen Formen mit verschiedenen Aufschriften, die er nicht entziffern konnte. Unter der Decke prangte zudem ein gewaltiger Kronleuchter aus menschlichen Schädeln der mattes Licht spendete. Angewidert von diesem Anblick drehte Darian sich weg und sein Blick viel auf einen großen massiven Tisch, auf dem etliche Dokumente und Pergamente zerstreut lagen, die er ebenfalls nicht lesen konnte.
Читать дальше