Ihre zarten Worte passten nicht zur Urform Luisa Maritha, dennoch fielen sie wie Maiengrün auf Joanas wohlgeformte Schulter und ergossen sich bis in ihr mitleidiges Herz.
Das Bild des anhänglichen Mädchens, das vorzugsweise weiße Kleidung trägt, steht trotz der Düsternis dicht neben ihr. Sie kann sie überall sehen. An den grauen Wänden, auf dem rauen Boden. Sogar in ihren zerrissenen Gedanken tauchen jene zwei Silben wiederholt auf: Lui – sa. (Sie hatten sich gestritten. Luisa meinte, es seien drei Silben und Joana hat es großzügig hingenommen.) Im Moment kommt ihr Luisas Antwort viel eindringlicher vor als an jenem Tag: »Es ist sonst keiner da, der gut zu mir ist.«
Sie hat den Sinn dieses Satzes nicht sofort verstanden. Erst jetzt fällt ihr dazu etwas ein: Luisa hat Angst, eines Tages abermals alleine dazustehen, ohne eine Freundin. Ohne einen Freund.
Hat sie deshalb so vehement gegen Fabian gewettert?
Joana strafft ihren müden Körper. Ohnmächtige Wut ergreift ihr tolerantes Wesen. Mit all ihrer Kraft schreit sie das Vakuum zwischen ihren Ohren heraus: »Luisa! Lass endlich diesen Blödsinn. Es reicht …!«
Sie lauscht in die Dunkelheit. Nichts tut sich. Von der Anspannung schmerzen alle Muskeln und die Augen brennen wie Feuer. Sie sammelt den Restbestand ihrer verbliebenen Zuversicht ein, um die letzten Tage minutiös durchzugehen. Irgendetwas muss sie übersehen haben. Eine Kränkung wäre nicht ihre Art. Hat sie irgendetwas unterdrückt …? Unterdrückt! Sehr wohl hat sie etwas unterdrückt. Beinahe ihre eigenen Bedürfnisse. Beinahe wäre sie nicht mit Fabian zusammengekommen. Etwas gegen Luisa Gerichtetes kann sie bei all der Erkenntnis nicht ausmachen …
Luisa Maritha ist ihre einzige Freundin, seit sie in diese Stadt im tiefsten Osten geflüchtet ist. Nicht einmal zu Hause in Hamburg, wo sie verdammt viele Menschen kennt, hat sie einen wie Luisa gefunden, der so bedingungslos an ihrer Seite stand.
Es war kurz nachdem sie sich kennen lernten. Luisa wunderte sich, dass Joana sich wunderte.
»Hallo!«, hatte sie nur getönt. »Betone meinen Namen anders und sprich deutlich, dann weißt du, warum ich das für dich mache. Lui – Samaritha! Noch Fragen?«
Keine Fragen mehr, aber viele maßgeschneiderte Ratschläge von Luisa bekommt sie mit auf den Weg ….
Nach diesem kurzen Exkurs in ihr helleres Leben schaltet sich der Verstand wieder ein und sendet
einen Gedankenblitz: Bedingungslose Freundschaft ist das gar nicht. Hatte nicht Luisa eine Bedingung aufgemacht? Wenn du dich Hals über Kopf in ein Abenteuer stürzt, ohne mich! Und sage später nicht, ich hätte dich nicht gewarnt …
Luisa kann sehr stur sein, wenn sie ein Ziel verfolgt.
Hat Luisa mit diesem Kerl einen Deal…? Warum sollte sie …? Immerhin. Dieses kleine Biest kann den Gedanken nicht ertragen, mich mit einem Mann teilen zu müssen.
Joana hatte sich beizeiten auf einiges gefasst gemacht – auf was genau, weiß sie gar nicht. Luisa konnte sie Tag für Tag aufs Neue verblüffen. Eines Abends türmte sie sich vor ihr auf und fragte, ob sie der Eindruck nicht täusche, dass sie – Joana – krankhaft introvertiert sei. Das war natürlich Unsinn, wenngleich das Gegenteil – das Extrovertierte - auf niemanden so zutraf wie auf Luisa. Besonders, wenn sie gerade eines ihrer Mantras bediente. Der Unsinn tat sein Übriges. Nach Sekunden atemlosen Schweigens, nach untauglichen Versuchen, sich die Lippen zu zerbeißen, hatte sie schließlich dieses Mädchen Luisa, das womöglich gar kein Zufall in ihre Hände gespielt hat, in den Arm genommen, versöhnlich. Das war der Beginn ihrer gar nicht so einseitigen Unzertrennlichkeit, die Luisa nun wegen Fabian verloren glaubt.
Zu jeder anderen Zeit würde sie Luisas absurde Idee als krank bezeichnen. In dieser totalen Abgeschiedenheit ist der erste Gedanke nicht der übelste: Das alles ist nur ein eifersüchtiger Mädchen-Streich.
Andererseits: Wenn es so wäre, hätte Luisa ganz bestimmt einen sympathischeren Kerl ausgesucht.
Was wird er da oben ausbrüten? Er kann sie wegsperren, er kann sie entmutigen, er kann ihr alles nehmen, nur nicht die Hoffnung.
Bevor sie endgültig der Schlaf übermannt, weiß Joana Marley tief in ihrem Herzen, dass es etwas gibt, was er ihr nicht nehmen kann und totsicher nicht nehmen will: Die Angst vor monatelanger Finsternis und Einsamkeit …
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