Mit Felix hatte sie zwar innerlich abgeschlossen, aber es tat noch immer weh. Nicht, weil er ihr ein heimliches Verhältnis zugetraut hatte, schlimmer war, dass er sie verlassen hat, als alle Welt wusste, es handelte sich um einen krankhaft Verliebten.
In ihrem Dilemma kann sie nicht anders denken, als dass Männer, deren Namen mit einem F beginnen, ihr womöglich kein Glück bringen.
Ganz fest will sie glauben, bei Fabian sei es anders. Fabian hatte – wie jeder andere Mann es getan hätte – die Gelegenheit genutzt, die sie ihm geboten hatte.
Später war er noch einmal an den Empfangstresen gekommen, weil er gerade in der Nähe zu tun gehabt hat. Ihr war in diesem Moment, als würde sie etwas Wichtiges im Leben verpassen, wenn sie nicht tut, was sie normalerweise verabscheut.
»Wenn Sie in der Nähe sind, kommen Sie gerne mal auf einen Drink herein, Herr … «
Gerade rechtzeitig konnte sie »Doktor« unterdrücken. Zum Glück. Es wäre fatal gewesen, ihn glauben zu lassen, sie spricht ihn nur an, weil sie nach einem gutsituierten Mann sucht, was bei ihrem täglichen Umgang mit Menschen größter Anspruchshaltung verständlich wäre. Die Gäste ihres Hauses haben in der Regel eine große Anspruchshaltung.
Joana spürt, wie die Gedanken an das wirkliche Leben ihre Misere überdecken. Sie muss ein Weilchen an das Schöne im Leben denken, sonst wird sie verrückt.
Die Erinnerung an den ersten vorsichtigen Abend mit Fabian kommt wesentlich schleppender in ihr Gedächtnis zurück …
Sie saßen in der Piano-Bar. Das war unverfänglich. Hier gehörte sie hin, obwohl es das erste Mal war, dass sie in Begleitung das Haus ihres Dienstherrn zu ihrem Vergnügen besuchte. Kein Gedanke, sie hätte sich wegen Luisa für das eigene Haus entschieden. Immerhin hatte Luisa so viel Einsehen hier noch nie aufzukreuzen. Sogar ihr spätes Heimkommen hat sie vor Luisa gut begründen können. Nicht, dass sie es müsste. Es gehörte zu ihrer Freundschaft, sich viel vom Tage zu berichten. Luisa wusste, es gab mehrmals Abende, wo sie nicht vor Mitternacht zu Hause sein konnte.
»Was machen Sie außerdem so …? Model, wie ich vermute«, flüsterte Fabian lächelnd. Seine dunklen Augen strahlten kleine silberne Sternchen über den Tresen und sein schmal gefaltetes Einstecktuch passte im Ton genau zum Hemd unter dem dunkelblauen Sakko. Neidlos musste sie zugeben, dass die wenigsten Männer diese Kombination wählen. Die meisten kaufen Krawatte nebst Einstecktuch im gleichen Farbton, worüber sich Herr von Perl maßlos echauffiert. Herr von Perl ist der neue Empfangschef, der vom Mutterkonzern in den Osten geschickt wurde, um das Gesicht des Unternehmens zu formen, wie er es formuliert. Ein Teil des Gesichtes dieses Unternehmens antwortete dem faszinierendsten Gesicht, das sie je bei einem Mann gesehen hat, unter Herzklopfen: »Mit Schleimspuren hätte ich bei Ihnen nicht gerechnet.«
Kaum hatte sie die Worte gesagt, bereute sie. Er hatte seinen Kopf gesenkt und sein Mund nahm eine Traurigkeit an, die sie gottlob zwischen Zärtlichkeit und Nachsicht einzuordnen verstand.
»Womit hätten Sie eher gerechnet? «
»Das weiß ich nicht. Sie sind ja nicht irgendein Müllfahrer oder Bierkutscher …«
Joana müht sich ab, all die Erinnerungen in ihrem Kopf zu ordnen. Minutiös ist das unter diesen Umständen zwischen ängstlichem Lauschen nach oben und ihrem sturen Willen zum Widerstand nach innen kaum möglich. Warum sie solch seltene Schwierigkeiten hat, klar zu denken, liegt auf der Hand: Dieser Mistkerl hat sie willenlos gemacht mit irgendeiner Substanz! Sie hat dieser Substanz noch keine Chance gegeben, sich zu verdünnisieren. Seit dem Abend mit Fabian hat sie noch keinen Schluck getrunken und das, was sie hätte trinken können, fließt braun und eklig gerade hinter ihr über den rohen Beton.
An etwas erinnert sie sich, obwohl sie nicht weiß, warum Fabian sie das hat fragen können.
»Wie kommt es, dass eine wie Sie allein lebt?«
Dass sie allein lebt, hatte sie bestimmt nicht leichtfertig ausgeplaudert. Da war sie ein gebranntes Kind. Ganz gewiss hatte sie mindestens Luisa erwähnt. Die Angst vor dem Stalker war sicher einer der Gründe, warum sie Luisas große Nähe weder ablehnte noch verschwieg, obwohl es durchaus ein µ weniger Nähe sein könnte. Zugegeben, es gab Situationen, wo sie Luisa gerne vorschob, um sich vor einer klaren Ablehnung zu drücken. Bei Fabian war alles anders. Dennoch bluffte sie, ohne zu wissen, nur um zu erfahren:
»Das frage ich mich in Ihrem Fall auch – oder wollen wir Du sagen?«
Auf ihre versteckte Frage nach dem Du antwortete er nicht. Ihr war es, als nahm sein Mund – sein ganzes Gesicht – den Ausdruck von Beschämung an.
»Gilt ein Mann schon deshalb als verdächtig, nur weil er allein lebt. Muss man dafür Ausreden erfinden oder sich gar entschuldigen?«
Über das Alleinsein wollte sie mit ihm nicht reden, obwohl er darüber offenbar weniger beschämt sein würde. Ihm diesen Vorschlag zum Du zu machen, war schließlich allein ihre Sache, nicht seine.
Es war genau der Moment, in dem ihre wohltuende Empfindung einem ersten starken Bedürfnis gewichen war, dem Bedürfnis, er möge ihr Gesicht in seine zärtlichen Hände nehmen. Beim Du küsst man sich gewöhnlich …
Joana schaut sich um. Es gibt kein Fenster und keine Tür, nur die Luke über ihrem Kopf zeichnet ein kaum merkliches Viereck in die Decke. Insofern hatte dieser Dreckskerl Recht. Ohne ihn ist kein Entkommen, aber ohne weibliche List besteht nicht einmal die minimale Chance für eine Chance. Sie ist weggesperrt von ihrem Leben, von ihrem Beruf, von ihren Lieben. An ihre Eltern mag sie gar nicht denken. Sie kennt ihre Mutter. Sie war schon einigermaßen kopflos, als ihre einzige Tochter ausgezogen war. Später, als sie ausgerechnet in den »lausigen Osten« zog, wäre Mutter prompt in ihre Nähe gezogen. Zum Glück ist ihr Vater ein durch und durch rationaler Typ, ein Versteher, ein Erklärer. Auch wenn sie in diesem Moment beide sehr vermisst, am meisten vermisst sie inzwischen Fabian…
Zum Glück gibt es die Hoffnung, dass er Himmel und Hölle in Bewegung setzt, sie zu finden. Zum Glück hat sie ihm zu verstehen gegeben, dass mit ihnen beiden etwas werden kann …
Warum musste sie gleich darauf an diesen Mistkerl geraten – oder er an sie, wie auch immer. Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Die erste scheint plausibel: Als Fabian gegangen ist, hat er die Tür nicht gut genug zugezogen. Ganz sicher hat er gewartet, bis sie schläft oder er war bei ihr geblieben, musste aber sehr früh zum Dienst … Sie weiß es einfach nicht, das macht sie so kirre.
Die zweite ist so widerwärtig, dass sie daran einfach nicht glauben will: Luisa hat sich heimlich einen Schlüssel … Nein, wie kann sie nur so etwas denken? Falls Luisa sich diesen üblen Scherz erlaubt hat, sie würde niemals einem so miesen Kerl die Gewalt über ihre besten Freundin überlassen …
Seit Luisa in ihr Leben getreten war, bestand die Zeit nicht aus den Dingen zwischen morgens und abends, sondern aus den Dingen zwischen Luisas Kommen und Luisas Gehen. In all der Hartnäckigkeit, in der die neue Freundin an ihr klebte, fasste sie eine merkwürdige, beinahe herzliche Zuneigung zu dem blonden, zarten Mädchen … Sie hatte nicht wirklich wissen können, dass die Gewohnheit einmal so klebrige Blüten trägt. Vielleicht war es das hoffnungsvolle Lächeln in Luisas Gesicht, das ihr sagte: Es ist besser, eine nützliche Freundin zu haben, als tausend untaugliche Liebhaber.
»Was hast du für Träume, Luisa?«, hat sie an einem sehr sonnigen Tag gefragt, an dem sie beisammen saßen und jeder still seine Sehnsüchte über den Fluss auf die andere Seite der Stadt sendete. »Hast du eigentlich einen Freund?«
Den letzten Teil der Frage musste Luisa großzügig überhört haben. Immerhin zögerte sie lange, ehe sie erwiderte: »Mit dir hier zu sitzen und zu reden, übersteigt meine Träume.«
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