Als ich mich nach Einbruch der Dunkelheit frisch rasiert und geduscht in Richtung Marktplatz begab, geschah dies natürlich in der Hoffnung auf eine weitere Begegnung mit Kitty. Wenn sie mich aus einer spontanen Laune oder einem tiefen Bedürfnis heraus heute noch einmal sehen wollte, konnte sie davon ausgehen, mich dort zu finden. Ich würde mich also eine Weile dort herumtreiben, denn schließlich hatte ich ihr ja auch etwas mitzuteilen. Die Nachricht von Erik.
Ich hielt den verstaubten, mit einem Geflecht aus Rattan verzierten Schädel eines Schweins in den Händen, der, wie mir der Inhaber des Souvenirladens erklärte, früher ein Ifugaohaus schmückte. Ganz früher allerdings, zu Zeiten der Kopfjagd, verwendete man dafür die Schädel der getöteten Feinde, die dann leider gegen solche Ersatzteile ausgetauscht werden mussten. Wenn Interesse bestünde, könne er, der Inhaber, mir aber auch eine Original-Kopfjagdtrophäe besorgen. Verfügbar seien noch solche von japanischen Soldaten aus dem zweiten Weltkrieg, die in den Wäldern der Gegend aufgespürt wurden, wohin sie nach der Kapitulation von General Yamashitas Armee, hier im benachbarten Tal, geflohen waren. General Yamashita übrigens war im Besitz eines enormen Goldschatzes, den er nicht mehr außer Landes bringen konnte, sondern irgendwo hier in der Nähe ...
Ich bekam nicht mehr mit, was der Alte weiter erzählte, da ich aus dem Augenwinkel heraus Kittys Anwesenheit registriert hatte. Sie stand wenige Meter neben mir und beobachte mich amüsiert.
„Danke, das mit dem Schweineschädel werde ich mir überlegen“, sagte ich höflich, gab das Stück zurück und wandte mich Kitty zu, die mich mit ihrer typischen Art – den Kopf leicht zur Seite geneigt – anlächelte.
„So ein Zufall aber auch“, bemerkte ich schmunzelnd. Ich freute mich.
„Nicht wahr? Und das in einer so großen Stadt!“, erwiderte sie munter.
Ihre offenbar gute Laune ausnutzend, wagte ich es, sie kurz am nackten Arm zu tätscheln.
„Darf ich dich zum Essen einladen?“, fragte ich.
„Die Vielfalt der einheimischen Küche genießen. Gerne. Dort wo wir letztes Mal waren oder am Stand nebenan?“
„Beehren wir doch zur Abwechslung mal die andere Wirtin. Damit es keinen Neid gibt zwischen den beiden.“
„Tja, wenn das so einfach wäre. Wenn wir jetzt woanders hingehen, denkt unsere erste Köchin, dass es uns bei ihr nicht geschmeckt hat. Dann ist sie gekränkt und die andere schadenfroh.“
„Wenn das so ist, dann dürfen wir gar nichts essen. – Vielleicht sollten wir einfach nur an uns denken?“, meinte ich und hoffte, dass Kitty diese Bemerkung nicht allein auf das Essen bezog. Ich muss jetzt aufs Ganze gehen, nahm ich mir vor. Morgen steht dieser Erik auf der Matte und dann würde ich kaum noch mit Kitty allein sein können.
Auf unserem Weg zum Küchenstand fegte eine heftige Windböe über den Platz und wirbelte Staub und Abfälle auf. Donnergrollen und Wetterleuchten hinter den Bergen kündigten ein nahendes Gewitter an. Ich legte überflüssigerweise schützend den Arm um Kitty und zog sie an mich.
Nur wenige Sekunden nach den ersten dicken Tropfen, die uns noch während des Essens am Tisch trafen, kam es zum Wolkenbruch. Der wahre Sinn dieses Wortes offenbart sich einem nur in den Tropen. Gigantischen, schwebenden Wasserbehältern gleich, entladen die Gewitterwolken schlagartig ihren Inhalt. Dabei entstehen keine Tropfen, sondern dicke Wasserstränge, die sich wiederum zu wasserfallartigen Schleiern verbinden und mit einem gewaltigen Tosen herabstürzen. Mittendrin hat man das Gefühl der völligen Isolation, da selbst die unmittelbare Umgebung optisch und akustisch plötzlich verschwindet. Auf ebenem Gelände, wie jetzt auf dem Marktplatz, staut sich das Wasser binnen kürzester Zeit auf mehrere Zentimeter, da die auftreffende Menge weit größer ist als die, die irgendwo abfließen kann.
Wir sprangen auf und suchten Zuflucht hinter dem Wasserfall, der vom schmalen Dachvorsprung eines nahen Gebäudes herabschoss. Im trüben Licht der Neonleuchte, die unter dem Wellblech angebracht war, richtete sich mein Blick zunächst auf Kitty Brust, an der das durchnässte, weiße T-Shirt klebte. Darunter befand sich aber leider noch ein dunkles, eng anliegenden Oberteil aus einer Art Stretchstoff, für das es sicher auch einen Fachbegriff gab, den ich aber nicht kannte.
Dann schaute ich Kitty in die Augen und strich ihr zärtlich das nasse Haar aus dem Gesicht, während ich mit der anderen Hand an ihrem Rücken rieb. Kitty ließ beides einen Moment lang geschehen, bis sie meine Hände in ihre nahm und sie drückte, während sie mich mit ihren großen Augen ansah. Ein deutliches Zeichen. Ich erwiderte den Druck ihrer Hände und überlegte krampfhaft, was ich Kitty auf diese Geste hin bedeutsames sagen sollte. „Du hast wunderschöne Augen“, wollte ich schließlich romantisch flüstern, musste ihr diese Worte im tosenden Lärm aber beim dritten Versuch der Übermittlung ins Gesicht brüllen, damit sie bei ihr ankamen.
Daraufhin ging ich wieder zur nonverbalen Kommunikation über und streichelte Kitty an der Wange. Ihr scheu und verletzlich wirkender Blick verlangte nach Vertrauen. Ich verstand. Ich durfte nicht zu direkt vorgehen. Sie wollte spüren, dass ich es nicht nur auf Sex anlegte. Ich zog meine Hand, die langsam in Richtung ihrer Brust hinuntergleitete, wieder zurück und kraulte Kitty im Nacken. Dann drückte ich ihr den Mund auf die Stirn und ließ ihn einen Augenblick lang dort verweilen. Genießerisch schloss ich die Augen. Als ich sie wieder öffnete, dachte ich spontan an eine heimtückische, Blindheit verursachende Tropenkrankheit, weil ich plötzlich von völliger Finsternis umgeben war.
„Stromausfall“, schrie Kitty. Natürlich. Auch das gehörte zu den Begleiterscheinungen eines Unwetters auf den Philippinen, vor allem in abgelegenen Ortschaften mit einem maroden Kabel- und Verteilersystem. Aber ich war für eine solche Situation gewappnet. In meinem Rucksack befand sich neben zwei Kerzen und einer in Plastik eingeschweißten Streichholzschachtel, womit ich auch nach Katastrophen größeren Ausmaßes noch in der Lage war Licht zu machen, falls ich dann noch lebte, auch eine dieser kleinen, praktischen LED-Taschenlampen. Und Ersatzbatterien.
„Lass uns auf mein Zimmer gehen, du brauchst was Trockenes zum Anziehen“, bot ich brüllend an, als ich merkte, dass Kitty zu frösteln begann. „Sonst erkältest du dich noch.“ Mein Vorschlag beruhte zu etwa gleichen Anteilen auf Fürsorge und Hintergedanken. Um Kitty gar nicht erst die Gelegenheit zu geben, irgendwie darauf zu reagieren, nahm ich sie an die Hand, marschierte los und zog sie durch die Fluten hinter mir her. Das Unternehmen gestaltete sich schwieriger als gedacht. Das Licht der Taschenlampe drang nicht weit genug durch die Wasserwand, um eine Orientierung zu ermöglichen. Um Zusammenstöße mit Hausmauern und anderen Hindernissen zu vermeiden, tastete ich mich im knöcheltiefen Wasser langsam voran. Schließlich erreichten wir den Fluss, in den sich die leicht abschüssige Straße verwandelt hatte, und folgten der Fließrichtung, die den Weg zur Lodge wies.
Ohne jemandem begegnet zu sein, betraten wir mein Zimmer im ersten Stock. Durch die hohe Feuchtigkeit war der ständig im Raum stehende Schimmelgeruch noch intensiver geworden. Ich zündete eine Kerze an und befestigte sie mit flüssigem Wachs am Rand des Waschbeckens. Dann zog ich das frische Handtuch, das ich zum Glück noch hatte, aus meiner Reisetasche und reichte es Kitty. Um sie nicht in Verlegenheit zu bringen, schaute ich weg und wühlte in der Tasche unnötig lang nach einem sauberen T-Shirt. Als ich mich wieder umdrehte, hatte Kitty nichts mehr an und machte keinerlei Anstalten, ihre Nacktheit vor mir zu verbergen. Sie stand einfach da, mir zugewandt, und hielt das Handtuch in der herabhängenden Hand. Ihren Blick konnte ich im schwachen, flackernden Licht der Kerze nicht deuten, was mir jetzt aber auch egal war. Für mich bedurfte es jedenfalls keiner weiteren Aufforderung, mir meine nassen Kleidungsstücke vom Leib zu zerren und auf Kitty zuzugehen. Mein Vorhaben, sie an mich zu drücken, um ihren warmen Körper auf meiner Haut zu spüren, vereitelte Kitty mit ausgestrecktem Arm. Die Hand gegen meine Brust gedrückt, schob sie mich so weit rückwärts, bis ich mit den Waden an die Bettkante stieß und nach hinten fiel. Dann setzte sie sich auf mich.
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