1 ...6 7 8 10 11 12 ...31 »Wir wurden verfolgt! Auf dem Weg hierher.« Gwen sprach absichtlich leise, man konnte nicht wissen, ob die Wände Ohren besaßen.
»Verfolgt?« Uhra war sichtlich überrascht.
»Nicht so laut.«
»Wir wissen nicht, wer dahintersteckt, nur, dass es einer von denen war, die uns auch schon gestern begleitet haben.« »Woher weißt du das Gwen?« Uhra schaute erwartungsvoll zur Magierin hinüber.
»Ich habe sie im astralen Raum gesehen. Du weißt schon, astrale Signatur, man kann sehen, wie ihre Energie aussieht.« »Richtig, du hast mir davon erzählt. Kann man da nicht auch Magie sehen?«
»Ja, aber da war keine, sie waren nicht verzaubert oder magisch aktiv.«
»Wer sollte uns …«
Die Tür durch die Leschor gegangen war, wurde geöffnet, Kodasis grüßte sie. »Bitte kommt herein. Ich freue mich, euch zu sehen.« Seine Stimme klang belegt, seine Augen waren traurig.
Sie folgten der Aufforderung, betraten einen großen, hellen Raum, reich ausgestaltet, es gab erlesene Stühle und einen zentralen Tisch. Große Fenster ließen genügend Licht hinein, um das Silber auf dem Tisch zum Leuchten zu bringen. Am anderen Ende des Raumes stand ein Schreibtisch, auf dem diverse Briefe, Schriftrollen und Pergamente lagen. Ein Teller mit den Überresten eines Essens und ein Kelch mit dunkler Flüssigkeit waren ebenfalls zu sehen.
Rashid al Degarus, der Hohepriester, erhob sich, als er die Freunde erblickte. Mit einem Wink entließ er Kodasis, der überrascht den Raum verließ.
Der Hohepriester war ein Mann, der im sechsten oder siebten Jahrzehnt seines Lebens stand. Seine Bewegungen waren ruhig, aber nicht langsam. Er war kein gebrechlicher Mann, er war alt, aber nicht eingefallen oder senil. Seine blauen Augen musterten die fünf Neuankömmlinge eindringlich, während er auf sie zuschritt, in eine prächtige Robe gekleidet. Sie war, wie nicht anders zu erwarten, dunkelblau, mit Silber abgesetzt. Symbole der Göttin waren mit feinem Faden aufgestickt und über die gesamte Robe verteilt.
Er lächelte, das Lächeln aber erreichte nicht seine Augen, verstärke eher den Eindruck eines geistigen Führers. Die Absicht, Vertrauen bei seinen Gästen hervorzurufen, schlug fehl.
»Willkommen und Entschuldigung für die Art, euch hierher zu holen.« Rashid zeigte mit seiner Hand auf die Stühle. »Ich habe etwas zu essen für euch bestellt. Es sollte gleich hier sein.«
Der Tisch war groß genug für zwanzig oder mehr Personen. Am oberen Ende war für die Freunde gedeckt. Eine Karaffe mit Saft und ein Krug mit Milch standen auf dem Tisch.
»Bitte setzt euch. Ich möchte nicht lange um den heißen Brei herumreden. Uhra hat mir gestern zusammen mit den anderen von eurer Reise erzählt. Und obwohl es eine von uns geplante und getriebene Reise war, möchten wir gerne auch eure Version der Dinge erfahren, die auf so schreckliche Weise das Leben vier meiner jungen Priester gekostet hat.« Er machte eine kurze Pause, man konnte sehen, dass einige Sorgen ihm zu schaffen machten. »Bitte, erzählt mir, ich möchte speziell eure Eindrücke und Erfahrungen, die mit den Kämpfen und den Kreaturen verbunden sind hören. – Wollt ihr anfangen werte Dame?«
Er machte eine Geste in Gwens Richtung.
»Lasst das, alter Mann! Versucht es gar nicht erst.« Gwen hatte sich halb erhoben, schaute böse auf den Hohepriester. Ihre Finger zeichneten unbewusst komplizierte Muster in die Luft.
»Was ist?«, wollte Hagen wissen.
Uhra schaute erschrocken ob des ungebührlichen Tons, den die Magierin gegenüber seinem Hohepriester anschlug.
»Er hat versucht mir mit seiner Macht einen Bann aufzuerlegen.«
»Was?«
Spannung lag in der Luft.
»Ich entschuldige mich! Ich wollte nur sicher gehen, dass Ihr mir alle Einzelheiten berichtet.«
Uhra wollte etwas sagen, bekam aber kein Wort heraus.
»Wir sind als Freunde gekommen, nicht als Eure Feinde, die Ihr verhören müsst.« Adderlin hatte ruhig, aber deutlich zum Ausdruck gebracht, was alle dachten.
»Ich entschuldige mich, ich habe mich vergessen – bitte nehmt meine Entschuldigung an, es wird nicht wieder vorkommen.«
In dieser Minute wurde warmes Essen gebracht. Sie warteten, bis sie erneut unter sich waren. Gwen hob den Kopf, setzte sich gerade hin, erzählte trotz Unbehagen ihre Variante des Geschehens. Zwischendurch trank sie etwas Saft, aß ein paar Weintrauben. Raschid unterbrach sie ein paar Mal, stellte Fragen, die ihm halfen, die Aussage der Magierin richtig zu verstehen. Gwen war keine Geschichtenerzählerin und so war ihr Bericht kurz und knapp, sachlich und ohne Schnörkel. Sie berichtete von den Orks, den Ogern und der Beharrlichkeit, mit der sie verfolgt und immer wieder angegriffen wurden. Sie lobte den Einsatz von Kodasis und Geridion. Wie sie geholfen hatten, den Feind zu vertreiben, die Verwundeten zu heilen.
»So, so.« Eine Welle der Trauer rollte über das Gesicht des Hohepriesters. »Das ist gut zu hören, ich wusste, unsere Göttin würde ihre treuesten Anhänger nicht im Stich lassen. Bitte, ich wollte Euch nicht unterbrechen, erzählt weiter.«
»Ich war eigentlich fertig.« Gwen schaute Hagen an, zuckte mit den Schultern.
Hagen nickte, warf ihr einen liebevollen Blick zu und fragte: »Wo ist eigentlich euer Oberpriester – ich meine Geridion, warum ist er nicht hier?« Es entstand eine Pause, keiner sagte ein Wort. Sie warteten auf die Antwort des Hohepriesters.
Durch ein offenes Fenster konnte man die ersten Vögel zwitschern hören. Die Sonne schob sich über die Dächer, ein Sonnenstrahl fiel durch das mittlere Fenster, beleuchtete eine silberne Statue der Göttin bei der Jagd, die auf dem Tisch stand.
Uhra konnte, genau wie die anderen, das Zeichen sehen, verstand es, zog scharf die Luft ein. »Er ist tot, ist es nicht so? Artemesea hat ihn zu sich geholt – möge sie ihn wohlwollend empfangen und er durch ihre Hallen wandeln.« Seine Gesichtsfarbe war aschgrau, seine Augen füllten sich mit Tränen. Sie liefen ihm über die Wangen, er ließ es geschehen.
Raschid nickte. »Ja, Geridion ist heute Nacht zu Artemesea gegangen. Wir werden ihn lobpreisen und um ihn trauern.«
Niemand sagte ein Wort. War es nicht erst gestern, dass man sich von dem Oberpriester vor dem Tempel verabschiedete? Er war erschöpft, aber nicht verletzt oder krank. Alle hatten sie erwartet, ihn in den nächsten Tagen wieder zu sehen, gemeinsam etwas zu essen oder zu trinken.
»Was ist passiert?« Nyander stützte sich auf den Tisch, schaute Raschid fragend an.
»Wir wissen es nicht genau, es… wir werden es in den nächsten Stunden bestimmt erfahren. Sie untersuchen ihn gerade.« »Warum untersuchen sie ihn? Gab es einen Einfluss von außen?«
»Nein, wir glauben nicht, wir denken…. Ach es ist jetzt doch egal, ihr seid schon mitten drin. Ich werde euch jetzt einige Dinge erzählen, die diesen Raum nicht verlassen dürfen!«
Raschid stand auf, begann vor dem Tisch auf und ab zu gehen. Seine Hände waren ineinander verkrampft, die Knöchel traten weiß hervor. »Wir wissen tatsächlich nicht genau, was passiert ist. Klar ist aber, dass mein guter, alter Freund nicht eines normalen Todes gestorben ist.« Er hob abwehrend die Hand, als Nyander zu einer Frage ansetzten wollte. »Später könnt Ihr Fragen stellen, jetzt hört bitte erst zu.«
Eine Hand wischte über das Gesicht, ein erschöpftes Gesicht, um mindestens zwanzig Jahre gealtert, die Sorgen bildeten Falten auf seiner Stirn.
»Er starb unter Qualen. In der Nacht fanden ihn zwei Priester. Er war nicht bei Bewusstsein, redete unverständliche Dinge, wälzte sich in seinem Bett. Keine Hilfe, die wir aufzubieten hatten, konnte ihn erreichen. Keine Heilung zeigte Wirkung. Die Zuckungen wurden stärker und… und wenig später hörte sein Herz auf zu schlagen, einfach so. Von einer Sekunde auf die andere. Unsere besten Heiler sind immer noch bei ihm, um zu ergründen, wie es dazu kommen konnte. Es ist schlimm, wenn die Macht unserer Göttin uns nicht hilft. Eine traurige Tatsache, zeigt sie uns doch, wie klein wir sind. Jederzeit kann der Weg, der klar vor uns lag, sich verändert haben, ins Dunkle führen.« Raschid hatte sich sein Glas mit Saft genommen, trank einige Schlucke.
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