Ein wütendes Fauchen begrüßte mich, welches mir trotz der weißglühenden Pein in allen Nervenenden, ein aufrichtiges Lächeln entlockte und mich erfolgreich vom Trübsal blasen ablenkte.
Ich warf einen Blick zu der Transportbox auf der Rückbank, in der mein Kater Balou - offenbar sehr erbost über seine Lage - die Krallen an der Gittertür wetzte.
„Sorry, Kumpel. Aber ich hatte keine Wahl.“
Ein erneutes Zischen antwortete mir und ich lachte heiter. Sogleich fühlte ich mich um Längen besser, der Schmerz und meine vermaledeite Schwäche traten in den Hintergrund. Diese Wirkung hatte nur mein Stubentiger auf mich. Es stimmte schon, dass Tiere einen positiven Einfluss auf Kranke und Verletzte ausübten. Oder Krüppel.
Stopp! Ich war kein Behinderter und musste aufhören, mich selbst in eine verfluchte Schublade zu stecken. Ja, ich konnte momentan kaum laufen, würde vermutlich für den Rest meines Lebens hinken, doch ich war KEIN Krüppel!
Rasch konzentrierte ich auf meinen Kater. Er war ein Fundstück bei einer ziemlich skurrilen Ermittlung gewesen, das ich geduldig aufgepäppelt hatte und mein einziger Lichtblick in den letzten Monaten. Zum Glück hatte sich eine Nachbarin um ihn gekümmert, während ich im Krankenhaus ums Überleben kämpfte. Ich fragte mich nur, wofür ich so gekämpft hatte. Job weg, Leo weg ... Knall auf Fall hatte ich alles verloren, was mir im Leben etwas bedeutete.
‚Knall auf Fall? ‘, höhnte meine innere Stimme. ‚Du hast dich blind und taub gestellt, die Anzeichen absichtlich ignoriert. Du allein bist schuld an deiner Misere!‘
Das stimmte leider. Über jedes auftauchende Alarmzeichen hatte ich gekonnt hinweggesehen, nicht wahrhaben wollen, was direkt vor meiner Nase abging, dass ich nur ein Spielball gewesen war. Und heute zahlte ich den Preis für meine fatale Schwäche namens Leo.
Entschlossen wandte ich meine ganze Aufmerksamkeit dem schnaufenden Kater zu, ehe mich die Finsternis der Erinnerungen erstickte.
„Okay Kumpel. Ich weiß, du bist sauer, aber es gab nur diese Möglichkeit. Glaub mir, hätte ich dich rausgeholt, als die Maklerin noch da war, wären wir die nie wieder losgeworden. Ich musste sie ja praktisch gewaltsam durch die Tür hinausschieben. Doch jetzt hast du freie Bahn. Bereit, dein neues Zuhause zu erobern?“, fragte ich und quälte mich aus dem Sitz.
Ich öffnete die hintere Tür, befreite die Box aus dem Sicherheitsgurt. Mochten die anderen mich belächeln, ich liebte das Fellbündel einfach abgöttisch. Ich war mitten in einer Überwachung während der Ermittlungen in einem Fall von Leichendiebstahl, als ich ein klägliches Miauen aus einer nahestehenden Mülltonne gehört hatte. Das arme Ding war halb tot gewesen, ein erbärmlicher Anblick.
Mein Partner hatte damals gemeint, dass die Mühe nicht lohnte, das Vieh würde sowieso abkratzen. Die Kaltschnäuzigkeit hatte mich verblüfft, war jedoch leider rasch wieder vergessen, als die Zeit voranschritt.
Der winzige Kater erholte sich schleichend, doch stetig und ich taufte ihn auf den Namen Balou. Kitschig, aber ich mochte das ‚Dschungelbuch‘ und den gutmütigen Bären darin eben.
Und jetzt war die Samtpfote das Einzige aus meinem alten Leben, das es wert war, zu behalten. Das Einzige, das mich zum Weitermachen zwang. Nie könnte ich meinen Stubentiger in ein Tierheim abschieben.
Nun stand mir jedoch die monumentale Aufgabe bevor, die Transportbox ins Haus zu bringen. Mir entwich ein gequältes Keuchen, als das eigentlich unerhebliche Gewicht von Box und Katze meiner heilenden Schulter einen heftigen Protest entlockte.
Einem Feuersturm gleich raste der Schmerz durch jede Nervenbahn und mein Arm wackelte. Fast hätte ich das verdammte Teil fallen gelassen. Hölle noch mal! Wenn ich es nicht einmal schaffte, eine blöde Katzentransportbox die paar Schritte zu tragen, wie sollte ich da alles andere schaffen ... Vornehmlich die Sanierung dieser Bruchbude, die ich dummerweise gekauft hatte.
‚Okay Lukas. Du wuppst das doch mit links. Seit wann gibst du denn so schnell auf? Los, streng dich an!‘
Na dann.
Balou miaute kläglich, als er unsanft durchgeschüttelt wurde. Ich zwang mich, die schreienden Synapsen meines lädierten Körpers zu ignorieren, und konzentrierte mich darauf, den Weg bis zur Haustür unfallfrei zurückzulegen. Es dauerte länger, als mir lieb war und ich blieb völlig erledigt im offenen Türrahmen stehen, stützte mich mit der freien Hand ab. Schnaufend wie eine Dampflok überlegte ich, ob ich die restlichen Kartons für heute im Auto lassen sollte.
Schweiß tropfte von meiner Stirn, floss mir das Rückgrat hinab, sammelte sich im Hosenbund. Entschlossen griff ich die Box fester und humpelte mit angehaltenem Atem in den Flur. Wohltuende Wärme umfing mich. Zumindest musste ich mich nicht auch noch mit einer defekten Heizung herumschlagen. Es war zwar schon Mitte März, doch es würde mich nicht wundern, wenn Ostern hier im Sauerland dieses Jahr im Schnee versank.
Mir war das so oder so egal. Energisch drückte ich die schwere Haustür zu, stellte die Box auf den Boden und öffnete das Gitter. Aufmerksam beobachtete ich, wie der Kater vorsichtig eine Pfote aus dem Schutz seines kurzfristigen Heims steckte, um das neue Zuhause zu erkunden. Balou machte sich gar nicht erst die Mühe, die Entdeckungstour zu beginnen. Er drehte sich einmal um die eigene Achse, strich dann um meine Beine und schien verächtlich zu schnauben.
Ich lachte trotz meiner Schmerzen.
„Ich weiß, es ist kein Palast und deiner nicht würdig, aber das wird es sein, sobald ich damit fertig bin. Du wirst schon sehen.“
Mein Kater sah mich an, als hätte ich ein paar Schrauben locker und ich musste gestehen, der Gedanke war mir ebenfalls ein- oder zweimal gekommen. Und da ich bezweifelte, dass das Haus noch irgendwann in diesem Jahrhundert bewohnbar war, wenn ich weiter nur jammerte und mich nicht zusammenriss, holte ich jetzt mal die restlichen Kartons. Es wurde nichts mehr aufgeschoben.
Zähneknirschend öffnete ich die Haustür wieder, humpelte die drei Meter zum Auto und begann die Kisten auszuräumen.
Zwei Stunden später musste ich allerdings grollend meine Niederlage eingestehen. Ein gesunder Mann in meinem Alter - verdammt, ich war gerade zweiunddreißig! - hätte für diese läppische Aufgabe vermutlich dreißig Minuten gebraucht.
Tja, das durfte ich knicken. Ich würde nie mehr so fit sein wie vorher. Bevor zwei Kugeln nicht nur meine Nerven zerschossen, sondern meine gesamte Existenz.
Zumindest stapelten sich nun alle Umzugskisten in der riesigen Diele am Treppenabsatz. Einige davon in den ersten Stock zu wuchten, überstieg meine lächerlich geringe Kraft jedoch um ein Tausendfaches.
Die Schulter brannte wie Feuer und das Knie war so steif, dass ich froh sein konnte, überhaupt noch laufen zu können. Humpeln. Oder kriechen. Fuck. Anfang dreißig und ich war ein Invalide.
Mich überrollte das brennende Gefühl, erneut angeschossen worden zu sein, der reißende Schmerz so allgegenwärtig, dass mir kurz die Sinne schwanden. Der Schweiß rann mittlerweile sturzbachartig an mir hinunter und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als keinen Muskel mehr rühren zu müssen.
Hm. Morgen kam der Umzugswagen. Ich würde einfach den Möbelpackern ein großzügiges Trinkgeld überlassen, damit sie mir die für oben gedachten Kisten raufschleppten. Okay, das klang nach einem vernünftigen Plan.
Jetzt musste ich mich aber noch um das leibliche Wohl meines Katers kümmern. Danach die Luftmatratze im Wohnzimmer aufpumpen und mich endlich aufs Ohr hauen, denn eine Tour hinauf ins Obergeschoss war heute definitiv nicht mehr drin.
Zuerst deponierte ich das Katzenklo in einer Nische zwischen Wand und dem Treppengeländer - ein Platz, den Balou hoffentlich rasch akzeptierte. Dann schlurfte ich in die Küche, den Karton mit den Katzenutensilien unter den Arm geklemmt. Ich ließ ihn auf den großen Eichentisch fallen, öffnete ihn und stellte Balous Futter- und Wassernapf auf den Fußboden.
Читать дальше