„ Wer ist dieser Wolferding?“
„ Ein Silberschmied und Büchsenmacher hier aus Magdeburg.“ Einen Augenblick sah er sie nachdenklich an, beugte sich dann leicht zu ihr herüber.
„ Seitdem Krieg herrscht, hat er sich auf die Beschaffung von Waffen spezialisiert und macht riesige Geschäfte. Zur Vorfinanzierung braucht er immer wieder Geld, große Mengen mit Risiko Zuschlägen und kurzen Laufzeiten. Für uns ist er wichtig!“
„ Das scheint er zu wissen.“
„ Natürlich! Deshalb kann er auch so auftreten, und deshalb werde ich morgen auch zu ihm müssen. So ist das eben!“ Er hielt inne, legte den Kopf schräg, um so besser in Richtung Tür hören zu können. Durch die geöffnete Tür drangen Geräusche herein, die sonst nicht da waren, Rufen, Johlen, Kindergeschrei, dazwischen das gleichmäßige, dumpfe Schlagen, mit dem Pflöcke in die Erde getrieben werden.
Therese kannte diese Geräusche nur zu genau, wusste, was sie bedeuteten und ging rasch zum Eingang, um hinaus zu sehen.
Oben auf dem breiten Absatz, von dem aus damals die Kanonen Schuss auf Schuss in die Stadt abfeuerten, entfaltete sich buntes Leben scheinbar aus dem Nichts, und das mit rasender Geschwindigkeit. Noch vor wenigen Minuten war der Absatz leer, war es dort still gewesen. Jetzt rollte es wie Wellen von der Seite heran. Planwagen auf Planwagen bezog seinen Platz auf dem Absatz, Kinder sprangen heraus, wuselten schreiend zwischen den Wagen herum, Pferde wurden angepflockt, Zeltplanen aufgespannt. Nur zu gut kannte sie diese Vorgänge, wusste, dass jeden Moment die ersten Rauchsäulen der unvermeidlichen Lagerfeuer aufsteigen würden.
„ Ihr solltet euer Pferd zu meinem in den Stall stellen. Ist zwar eng, aber es wird schon gehen.“ Sie hatte den Wirt nicht bemerkt, der, die kräftigen Arme vor der Brust verschränkt, jetzt neben ihr stand.
Sie sah ihn von der Seite an, wie er mit finsterer Miene das Treiben auf dem Absatz beobachtete. „Ihr habt eure Erfahrung mit den Leuten gemacht?“
„ Das sind keine Leute, das ist Gesindel! Wir werden Ärger mit denen bekommen!“ Er nahm die Arme herunter, wandte sich entschlossen ab.
„ Das ist wirklich schlecht!“ Ulrich stand hinter ihr, sah mit fest zusammengepressten Lippen und hochgezogenen Augenbrauen hinüber. „So lange die dort sind, wird kaum ein Händler zu uns herüber kommen.“
Sie drehte sich um, sah ihn kurz an, nachdenklich, sah wieder nach oben und suchte nach Worten, um Partei für „die da oben“ zu ergreifen und verstand plötzlich: Sie verspürte eine brennende Wehmut, wünschte sich, Zita, Margret und Mikola wiederzusehen. Aber das war es dann auch! Das Leben im Lager war schon damals nicht ihr Leben gewesen. Jetzt war dieses Leben so weit von ihr weg, wie es das gerade war, war Vergangenheit. Sie hatte noch einmal Glück gehabt!
Und dann wagte sich doch ein Händler zu ihnen herüber.
Sie saßen schon eine ganze Weile auf der schmalen Bank vor der Tür, lehnten in der warmen Sonne an der Hauswand, und beobachteten ohne besonderes Interesse das Treiben oben am Wald. Ulrich war gerade drauf und dran, den Arm unter dem warmen Wams loszubinden und ordnungsgemäß durch den Ärmel zu stecken, als er abrupt innehielt, „Ich denke, der will zu uns!“ Er ließ den Arm wie und wo er war, zupfte sein Wams wieder zurecht, setzte sich aufrecht und beobachtete aufmerksam einen dunklen Wagen, der in ruhigem Schritttempo herankam.
Der Wagen fuhr an ihnen vorbei und hielt dann neben dem Haus, wo er im Schatten einiger großer Erlen stehen konnte.
„ Ah, das kann lustig werden!“ Ulrich sah sie grinsend, mit hoch gezogenen Augenbrauen von der Seite an, während er sich erhob. „Das ist der Eberlein! Ein Energiebündel! Aber der wird uns nicht einfach abhauen, kommt aus Quedlinburg rüber.“
Der Händler Eberlein war ein kleiner Mann, gerade in der zweiten Lebenshälfte, klein und von konsequenter Rundheit. Sein Kopf, im Verhältnis zum Körper eher groß, zeigte die vollende Rundung eines Balles, die nur von einem dunklen, krausen Haarkranz am Hinterkopf unterbrochen wurde. Die Inkonsequenz eines Halses leistete sich Herr Eberlein nicht, dafür ruhte sein Kopf auf einem mächtigen Leib. Selbst die Beine ließen in ihrer Kürze eine logische Weiterführung der obigen Formen vermuten.
Ganz offensichtlich steckte aber in diesem Körper eine unverwüstliche Vitalität: Sie hatten mit wenigen Schritten die Hausecke erreicht, und der Wagen konnte nach stundenlanger, holperiger Fahrt gerade erst angehalten haben, er aber kam ihnen schon mit kurzen, raschen und energischen Schritten entgegen.
„ Ulrich, mein Lieber! Gut, dass es in diesen Zeiten noch Menschen gibt, auf die man sich verlassen kann! Schön dich zu sehen!“ Damit war er bei ihnen, hatte mit seinen kleinen Schweineaugen die Gesamtsituation schon erfasst. „Was ist mit deinem Arm?“ Er schob das Kinn weisend vor, warf dann einen schelmischen Blick zu ihr, „Hast es wohl zu toll getrieben!“
Ulrich wollte auf den Scherz eingehen, grinste, kam aber gar nicht erst zu Wort.
„ Deinem Vater geht es doch gut, oder? Ich war sicher, ihn hier zu treffen.“ Bei diesen Worten war er weiter gegangen, steuerte zielstrebig auf den Eingang zu. Und ehe Ulrich die Frage beantworten konnte, stand er schon im Haus, sah sich suchend um, „Wo sitzen wir?“
Ulrich ging wortlos an ihm vorbei, zog den Hocker hervor, der dem quirligen Menschen zugedacht war, ging dann um den Tisch herum zu seinem Platz, während Therese hinter ihren Papieren, hinter Feder und Tinte Platz nahm.
Eberlein sah sie, immer noch stehend, einen Augenblick an, nicht ablehnend, eher interessiert und mit einer Spur Hochmut, „Du übertreibst, Ulrich!“ Er sah Ulrich direkt an, „Alles zu seiner Zeit! An diesem Tisch hat eine Frau jedenfalls nichts zu suchen!“
Ulrich beugte sich vor, stützte sich auf den freien Arm ab, so als wolle er dem anderen etwas anvertrauen, „Würde es euch etwas ausmachen, wenn das Geld für den Kredit, den ihr benötigt, von einer Frau käme?“
Der andere verharrte eine winzigen Augenblick, warf ihr einen schnellen, aber hochkonzentrierten Blick aus den Augenwinkeln zu, „Woher das Geld kommt, ist mir egal! Wichtig sind die Bedingungen,“ und jetzt lehnte er sich, soweit es seine Rundungen zuließen, bedeutungsvoll über den Tisch, „ die wir beiden aushandeln! Mit einer Frau werde ich nicht verhandeln! “
„ So sei es!“ Verbindlich, aber ohne jede erkennbare Gefühlsregung ging Ulrich auf die humorvolle Art des anderen ein. Therese wusste um Ulrichs Triumph, hatte soeben die erste Lektion gelernt.
Ulrich sah kurz am Eberlein vorbei, nickte dem Wirt zu, bemerkte dabei, dass jemand den Raum betreten und sich auf der Bank direkt neben der Tür niedergelassen hatte. Sie würden leiser sprechen müssen.
Der weitere Verlauf entsprach deutlich einem eingefahrenen Ritual: Die beiden Männer saßen sich gegenüber, plauderten über dies und das, berichteten sich über Neuigkeiten aus unterschiedlichen Regionen des Reiches. Geschäftliches spielte offenbar keine Rolle. Und die Frau an ihrem Tisch auch nicht. Sie war einfach nicht da!
Das galt dann auch für das vom Wirt aufgetragene Mahl, Sauerfleisch und Brot! Mit wässrigem Mund und wachsender Wut musste sie den beiden beim Essen und Palavern zusehen. Ging es hier nicht um ihr Geld? Sie presste die Lippen zusammen, wandte sich ab, begegnete dem beobachtenden Blick des Fremden neben der Tür und stand auf. Sie musste raus aus diesem Raum.
Und während sie sich rasch vom Tisch entfernte, nahm sie das Innehalten der beiden durchaus wahr, das kurze Aussetzen des genüsslichen Kauens, Schmatzens und miteinander Redens. Sie war wieder aus der ihr zugedachten Rolle ausgebrochen, und die beiden hatten´s gemerkt. Gut so!
Читать дальше