Zu dritt hatten sie in Tinas Ankleidezimmer gestanden um die Kleidung für ihr neues Dasein auszusuchen. Es durfte nicht zu chic und teuer wirken. Aber das war gar nicht so einfach. Um sie davon zu überzeugen, sie sei eine einfache Hausmeistergattin, taugten viele der edlen Designerstücke keineswegs.
Aber zusammen mit Ellens und Glorias Hilfe war das am Ende doch noch gelungen. Immer wieder besuchte Peter Tina im Reha-Zentrum, aber er blieb nie zu lange. Nach und nach berichtete er ihr über ihr gemeinsames Leben. Dabei verband er Stück für Stück ihrer wahren Vergangenheit mit ihrer angeblich gelebten Gegenwart. Tina war verwundert darüber, wie wenig er doch mit einem Hausmeister gemein hatte. Sein ganzes Auftreten, die Art wie er sich kleidete und auch das Fahrzeug mit dem er sie hier her gefahren hatte, das alles sprach eher dafür, dass er ein Mensch in einer führenden Position wäre. Aber er hatte für jeden ihrer unausgesprochenen Zweifel sofort eine Erklärung parat, so dass sie keinen Grund hatte ihm nicht zu glauben. Er wusste sie geschickt zu manipulieren und das perfekte Lügengebilde aufzubauen, während Tina tagsüber zielstrebig ihr Ziel verfolgte, wieder völlig fit zu werden. In der ein- oder anderen Nacht allerdings wurde sie geplagt von Albträumen, die sie am nächsten Tag nicht mehr deuten konnte. Oft wachte sie schweißgebadet in zerwühlten Laken auf und wusste, dass ihr Traum wohl damit zu tun haben musste was ihr geschehen war. Nur erinnern konnte sie sich an kein einziges Detail. Ihr Aufenthalt in der Klinik wurde begleitet von einem netten Psychiater, der ihr half die Träume einigermaßen zu verarbeiten. Da sie sich aber nicht daran erinnern konnte was sie geträumt, oder erlebt hatte, war dies nicht einfach. Allein die Tatsache allerdings, dass sie nicht alleine mit ihrem Problem war und sich ihre Sorgen von der Seele reden konnte, wirkte beruhigend auf sie. Peter wollte sie auf keinen Fall damit belasten. Obwohl es dafür keinen Grund gab, wäre es ihr peinlich gewesen mit ihm über ihre Träume und Ängste zu reden.
Zwei Tage bevor ihre Rückkehr sein sollte, begab sich Peter in das Gästehaus. Er wollte es sich zur Gewohnheit machen hier nun zu leben. Die Küchenschränke waren gefüllt mit neuem Geschirr und Lebensmittelvorräten. Gloria hatte ganze Arbeit geleistet. Ellen sollte in nächster Zeit etwas kürzer treten. So konnte sie sich auch besser um ihre Zwillinge, die sich mittlerweile in der Pubertät befanden, kümmern. Er begann damit seine Arbeit als "Hausmeister" aufzunehmen. Nur noch zwei Tage, dann konnte er Tina endlich nach Hause holen.
In seine anfängliche Euphorie mischte sich auch die Angst darum, dass Tina herausfand, dass er sie eigentlich belog. Nun, da er sie endlich wieder so zurück hatte wie er es sich die letzten Jahre immer wieder gewünscht hatte, wollte er sie nicht wieder verlieren. Außerdem wusste man bisher nicht was ihr geschehen war und woher sie ihre Verletzungen hatte. Vielleicht lauerte irgendwo da draußen auch noch Gefahr für sie Beide. Bisher hatte man nicht herausgefunden wo sie sich in der Woche ihres Verschwindens aufgehalten hatte. Er wollte auf jeden Fall die Augen offen halten und sich noch einmal mit Kommissar Bruckner zusammensetzen. So fuhr er einen Tag vor Tinas Rückkehr zum Kommissariat.
Bruckner war nicht überrascht Peter zu sehen. Die Beiden unterhielten sich in seinem Büro bei einer Tasse Kaffee."Was führt sie zu uns Herr Mantari. Hat ihre Frau ihre Erinnerung zurückgewonnen?", fragte Bruckner sobald sie alleine waren. "Leider nicht. Das ist es ja was mir so Sorgen macht. Es muss ihr etwas derart Schlimmes passiert sein, dass dabei dieses Trauma ausgelöst wurde. Die Ungewissheit darüber, ob da draußen noch irgendjemand danach lungert ihr etwas anzutun bringt mich fast um den Verstand. Haben sie keine weiteren Hinweise darüber, was passiert sein könnte?" "Nein tut mir leid. Durch den Regen, direkt nachdem man ihre Frau aufgefunden hat, wurden sämtliche Spuren verwischt. Wir wissen nicht wo wir ansetzen sollen. Das Waldstück wurde in einem weitestgehend großen Radius abgesucht. Nichts. Das ist auch der Grund weshalb ich gehofft hatte mit ihrer Frau reden zu können. Aber so wie es aussieht kann sie uns am allerwenigsten Auskunft geben darüber, was passiert ist." Peter wirkte gedankenversunken. Er schüttelte leicht den Kopf. "Und ihr Auto? Ihr Handy? Die Tasche? Haben sie nichts davon auffinden können?" Nun war es Bruckner der den Kopf schüttelte. "Nichts. Das ist ja das Kuriose. Ein Auto verschwindet nicht einfach so. Es würde mich nicht wundern wenn man es plötzlich auf irgendeinem Großparkplatz oder in einer Tiefgarage finden würde. Aber wo wir auch nachgefragt haben. Niemandem ist ihr Mercedes aufgefallen." Die zwei Männer verabschiedeten sich mit dem Versprechen voneinander, sich gegenseitig von etwaigen Neuigkeiten zu berichten.
Bruckner blickte Peter lange nach. Er hatte es bisher nicht geschafft sein Versprechen an Tina einzuhalten. Alle Bemühungen waren bisher vergebens gewesen. Was hatte er übersehen? Es musste doch irgendwo einen Hinweis, eine Spur geben. Er würde nicht aufgeben, bis er wusste was ihr zugestoßen war und wer dafür verantwortlich war.
Es blieb ihnen keine Möglichkeit Tina zu schützen, außer der wachsam zu sein. Es war ganz gut, dass Tina von der möglichen Gefahr keine Ahnung hatte. Sie hatte genug durchgemacht. Er wollte dafür sorgen, dass ihr nicht noch einmal etwas Schlimmes passieren würde.
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Endlich war es soweit. Heute war der große Tag für Tinas Heimkehr gekommen. Beide sahen dem Ereignis aufgeregt entgegen. Peter, der „Hausmeister“, im neu hergerichteten Gästehaus, und auch Tina, die es kaum abwarten konnte ihr Zuhause kennenzulernen. Als Peter die Tür zu Tinas Zimmer öffnete sah sie ihm schon erwartungsvoll entgegen. Ein wenig schüchtern ging sie auf ihn zu. Sie hatte ihn im Verlauf der letzten zwei Wochen näher kennen- und seine beruhigende Art schätzen gelernt. Er kam auf sie zu und umarmte sie sachte bevor er ihre Taschen nahm. "Jetzt ist es endlich soweit", meinte sie. "Endlich lerne ich mein Zuhause kennen. Hast du mich denn ein wenig vermisst?", fragte sie durch seine Umarmung mutig geworden und er lächelte sie an: "Sehr sogar. Das kannst du mir glauben Liebes." Nachdem Tina sich offiziell abgemeldet und ihre Entlassungspapiere entgegengenommen hatte, fuhren sie los. Auf der Heimfahrt nahm Peter eine andere Strecke als beim Tag ihrer Ankunft. Nur zu gut konnte er sich an Tinas Reaktion am Tag der Anreise erinnern. Irgendetwas hatte ihr im Tunnel Angst gemacht. Das wollte er ihr ersparen und umfuhr diese Strecke. Einen Umweg dafür nahm er gerne in Kauf. Sie hatten nun alle Zeit der Welt.
"Wie kommt es eigentlich, dass wir so ein teures Auto fahren?", fragte sie ihn, während sie auf der Landstraße dahinfuhren. "Oh.", meinte Peter. "Das ist nicht unser Auto Liebling. Es gehört meinem Chef. Ich habe die Erlaubnis, ja sogar die Anweisung die Fahrzeuge während seiner Abwesenheit zu bewegen und zu pflegen." Das leuchtete Tina ein. Ansonsten redeten sie kaum auf der Fahrt, sondern genossen sie einfach.
Zu Hause angekommen zeigte Peter Tina erst einmal ihr neues Zuhause. Tina war begeistert. Klein aber fein dachte sie sich. Nachdem sie alle Räume inspiziert hatte, räumte sie erst einmal ihre saubere Kleidung in den Schrank. Beim Begehen der Räume war ihr sofort die Waschmaschine in der Küche aufgefallen. "Du musst doch jede Menge dreckiger Wäsche haben, nach all der Zeit?!" sagte sie zu Peter. "Darum mach dir mal keine Sorgen Schatz. Die Maschine wäscht auch wenn ein Mann sie bedient. Außerdem hatte ich viel Hilfe von Ellen. Sie ist die Haushälterin der Villa und hat momentan ohnehin nicht viel Arbeit. Da ist sie mir mehr als einmal zur Hand gegangen, während du nicht hier warst." Tina nickte. Sie konnte sich ja denken, dass ein Mann wie Peter kein Problem damit hatte Hilfe zu bekommen. Er musste bestimmt nicht lange darum bitten. Ellen. Schon wieder eine Frau aus ihrem Leben, die sie nicht kannte. Wie viele Menschen würde sie wohl vergessen haben. Kurzerhand steckte sie ihre dreckige Wäsche in die Maschine. Als sie in einem der Schränke auch Waschmittel gefunden hatte und sich kurz eine Übersicht verschafft hatte, schaltete sie sie ein. "Willst du dich nicht erst einmal ausruhen?", fragte Peter. "Wovon?", erwiderte Tina. "Ich habe die letzten paar Wochen fast nichts anderes gemacht als mich auszuruhen. Es wird Zeit, dass ich wieder in meinen Alltag zurückkehre."
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