Also, ich meine, beerdigt.
Nein, mir ist nichts aufgefallen. Wissen Sie, im Alter lässt es nach. Das Erinnern. Ist auch nicht immer schön. Ich erinnere mich lieber an die alten Zeiten. Als wir noch mit der Straßenbahn von der Schützenstraße bis an den Plan fahren konnten. Wissen Sie, nach dem Krieg. Da haben wir gemeinsam die Altstadt wieder aufgebaut. Alles lag in Trümmern. Damals hätte sich keiner getraut, einen Polizisten zu erschießen und erst recht keine Frau. Manchmal denke ich, dass wir noch mal eine starke Hand brauchen. Ein kleiner Adolf würde uns ganz guttun.
Was meinen Sie, Fräuleinchen? Es reicht jetzt? Ja, das wollt ihr jungen Dinger nicht hören. Früher war nicht alles schlecht. Und es gab weniger Arbeitslose.
Josef Schmückler (53), Polizeihauptkommissar
Entschuldigen Sie, aber ich musste mich zunächst um meine Schicht kümmern. Die Kolleginnen und Kollegen wurden bereits von den alarmierten Kräften abgelöst und werden jetzt vom Kriseninterventionsteam psychologisch betreut. Es ist schrecklich. Die jungen Leute erleben in einem Schichtrhythmus mehr als andere in ihrem ganzen Leben. Und das in diesem Alter, die meisten Mitte zwanzig, manche jünger, so alt wie meine Kinder. Manchmal nenne ich sie liebevoll »bewaffnete Schülerlotsen«.
Ach, den Begriff kennen Sie? Das meine ich nicht negativ. Da kommt der Vaterinstinkt durch. Der Schock steckt allen in den Gliedern, und ich selbst habe das auch noch nicht verkraftet. Da ruft man einem Menschen »Bis gleich!« zu und kann nicht ahnen, dass es ein Abschied für immer ist. Wir sind alle noch in Schockstarre!
Das habe ich schon kontrolliert. Der letzte Funkkontakt war um 2 1:1 5 Uhr. Sabine überprüfte zwei Drogenkonsumenten. Alte Bekannte. Haben die ganze Palette der Beschaffungskriminalität. Aber die würden noch nicht einmal wagen, »Scheißbulle!« zu sagen.
Nein, ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die beiden was damit zu tun haben.
Ja, die Namen drucke ich Ihnen aus. Wie bitte?
Ja, da bin ich mir ganz sicher. Dafür würde ich meine Hand ins Feuer legen.
Nein, ich glaube nicht, dass ich sie mir verbrennen würde. Die reißen Omas Taschen aus der Hand, klauen Touristen die Camcorder, in den Geschäften Turnschuhe und andere Gegenstände auf Bestellung, brechen Autos auf, entwenden mobile Navis und tauschen das alles bei einem Hehler gegen den Stoff ein, aber sie würden sich niemals trauen, einen Polizisten zu ermorden. Nein, die zwei haben damit nichts zu tun. Das halte ich für absolut ausgeschlossen.
Andrea Bühler (24), Polizeikommissarin
Als wir beide zu unseren Streifenwagen gingen habe ich Sabine gefragt, ob wir morgen Abend in den Hexenkessel gehen wollen. Und Sabine hat gerufen: Klar, du alte Hexe!
Ja, ich bin mir sicher, dass Sabine auf dem Fahrersitz saß.
Warum sie die Plätze getauscht haben? Das kann ich Ihnen nicht sagen. Manchmal geschieht das einfach so. Ohne Grund.
Nein, ich glaube nicht, dass sie ihn erschossen und sich selbst getötet hat. Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Entschuldigen Sie, ich kann das noch nicht glauben. Sorry, ich muss zur Toilette ...
Christoph Lang (23), Polizeikommissar
Bernd war mein Bärenführer, als ich in den Einzeldienst versetzt wurde. Den kann so schnell nichts aus der Ruhe bringen. Auch in kritischen Situationen hat er immer den Überblick gehabt und umsichtig gehandelt. Die Täter müssen ohne Vorwarnung geschossen haben. Bernd hatte einen siebten Sinn, ein besonderes Gespür, wenn es bei einem Einsatz eng wurde. Er ahnte gefährliche Situationen früher als andere. Eigensicherung stand für ihn immer an erster Stelle. Verdammt. Jetzt rede ich schon so, als sei er tot. Wir sind oft so leichtsinnig. Und wenn mal wieder ein Kollege im Dienst ermordet wird, denken wir nur kurze Zeit an die Grundsätze der Eigensicherung. In meinem ersten Nachtdienst wurde ein Kollege erschossen. Er und sein Kollege hatten den Täter nach einem Tankstellenüberfall gestellt und ihm auch schon die Tatwaffe abgenommen. Als der ältere Kollege sich vor den Täter kniete und die Beine abtastete, schoss der Typ ihm mit einer zweiten Pistole in den Kopf. Nach diesem Vorfall waren wir alle sehr vorsichtig. Aber nur für kurze Zeit. Ganz schnell schleicht sich wieder Routine ein. Man glaubt ohnehin, dass es einen selbst nicht trifft. Wie bei so vielen Dingen im Leben. Bernd sicher auch. Wie sind seine Chancen?
Nicht gut? Ich bin zwar kein gläubiger Mensch, aber ich werde für ihn beten. Und unterlassen Sie die Unterstellungen, die beiden könnten was miteinander gehabt haben. Das ist absurd.
Gerd Mang (58), Dienststellenleiter der Polizeiinspektion 1
Ich kenne die Kollegin nur vom Begrüßungsgespräch. Aber Bernd schon sehr lange ein erfahrener Polizist, Er ist immer auf Nummer sicher gegangen. Besonders, wenn er mit jungen Kollegen auf Streife war. Er hat ein starkes Verantwortungsgefühl. Bernd hat immer sehr früh gerochen, wenn an einer Sache was faul war. Er hat einen Sensor für gefährliche Situationen, aber der hat ihn heute Abend wohl verlassen.
Nein! Ich halte es für absolut unwahrscheinlich, dass die beiden eine über den Dienst hinausgehende private Beziehung hatten.
Auch wenn der erste Anschein die Vermutung zulässt, dass es sich um einen erweiterten Suizid handeln könnte. Das glaube ich nicht. Frau Laube war für Bernd eher so was wie eine kleine Schwester. Und er war für sie der große Bruder, den sie nie hatte. Der Vater ist früh verstorben. Ihr Onkel ist Stadtrat Dr. Laube, der für den Landtag kandidiert. Dr. Laube hat dafür gesorgt, dass seine Nichte früher als üblich in den Einzel-dienst versetzt wurde. Das ist ziemlich geräuschlos gelaufen. Davon weiß kaum einer was. Würde für böses Blut sorgen, denn die meisten von Sabines Studiengang verrichten noch bei der Bepo Dienst. Alle wollen so schnell wie möglich raus. So ist das nun mal. Vielleicht jetzt nicht mehr.
Endlich. Geschafft. Fertig. Lena druckt ihren Vermerk aus. Das war eine »schwere Geburt«, über den Tod eines Menschen zu schreiben, den man kennt und in sein Herz geschlossen hat. Lena atmet tief durch, heftet den Vermerk zusammen und geht zum Fahrstuhl. Drückt auf den runden Knopf. Etage 4. Der Flur der Mordkommission ist beleuchtet, und in allen Zimmern brennt Licht. Rechts und links herrscht hektische Betriebsamkeit. Das halbe Präsidium ist auf den Beinen. In ihrem Zimmer sitzt ein Kollege, den sie noch nie gesehen hat. Lena geht bis zum Ende des Flurs. Letzte Tür rechts. Haralds Büro mit Blick auf die von zahlreichen Scheinwerfern angestrahlte Festung Ehrenbreitstein. Harald Sauer sitzt am Schreibtisch und stützt mit beiden Händen den Kopf ab. Ist verdammt alt geworden, denkt Lena. Harald blickt nur kurz auf.
Früher hatte Lena immer einen frechen Spruch auf den Lippen: »Gab es die Jacke auch noch in deiner Größe?«, »Wann wird dein Pullover denn wieder modern?«, »Du hast auch schon mal besser ausgesehen, Augen wie ein beschissener Taubenschlag«.
Und ähnliche Nettigkeiten zwischen Kollegen. Diese Sprüche verkneift sie sich seit Haralds Operation. Sie legt ihm wortlos den Vermerk auf den Tisch. »Die Schüsse wurden vermutlich aus Sabines Dienstwaffe abgefeuert. Zwei Patronenhülsen haben wir im Auto gefunden. Die Waffe nicht«, sagt Harald, ohne seinen Blick zu erheben.
»Also kein Suizid. Die einzig gute Nachricht«, flüstert Lena. Harald nickt zustimmend. »Du siehst nicht gut aus, Lena. Fahr doch nach Hause. Es sind genug Leute hier. Was kann denn heute Nacht noch Schlimmeres passieren?«, flüstert er mit belegter Stimme. Lena umarmt ihn, verlässt das Zimmer, fährt mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoss und meldet sich auf der K-Wache ab.
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