1 ...7 8 9 11 12 13 ...22 Natürlich trafen sie sich alle bei der Beerdigung in Köln, allerdings war für einen unbedarften Beobachter die Verbindung untereinander nicht erkennbar. Sie hatten alle an unterschiedlicher Stelle an dem mit vielen hundert Trauergästen stattfindenden Trauerzug ihren Freund bei dem Gang zur letzten Ruhestätte begleitet.
Neben der Familie, den örtlichen Honoratioren, waren Vertreter aller politischen Parteien dabei, wollten damit zeigen, dass ein großer Sohn ihrer Stadt eine Lücke hinterlassen würde. Für die eintausendzweihundert Mitarbeiter der „Kant Eisen und Stahl AG“ hatte die Firmenleitung beschlossen diese freizustellen, damit diese dem Gründer und Hauptaktionär der „Kant Eisen und Stahl AG“, Alfred Kant ihre letzte Ehre erweisen konnten.
Da die Freundschaft zwischen ihnen immer im Verborgenen blühte, diese nie öffentlich gemacht wurde, hatte man sie nicht offiziell eingeladen. Sie waren nur inoffiziell zu der Beerdigung gefahren, wo sie jeden persönlichen Kontakt gemieden hatten. Sie wollten nicht, dass ihre Freundschaft öffentlich wurde, dass sie Anlass für Spekulationen zuließ. Nur wer tiefer in der Vergangenheit dieser Freunde gesucht hätte, wäre auf diese langjährige Freundschaft gestoßen.
Viele der angeblich besten Freunde von Alfred, die jetzt in der ersten Reihe standen, dabei ihre besondere Trauer vor der Allgemeinheit ausbreiteten, hatten ihn nie richtig gekannt. Dies schloss auch seine beiden Söhne Fritz und Werner ein, die seit ein paar Jahren in Personalunion das Kölner Stahlimperium leiteten. Bei dem letzten Treffen am Totensonntag des vergangenen Jahres hatte er sich noch abfällig über seine Söhne geäußert.
Meine Söhne sind Schwächlinge, alle beide, keiner von beiden ist in der Lage unserem Projekt weiterzuhelfen. Der einzigen Person in meiner Familie, der ich zutrauen würde, meinen Platz einzunehmen, ist meine Enkelin Nina. Noch ist sie zu jung, aber sie ist in dem Alter, in dem sie geformt werden kann, in dem sie vorbereitet werden kann, hier meine Nachfolge anzutreten. Es war, als hätte er seinen frühen Tod vorhergesehen, so prophetisch klang aus heutiger Sicht seine damalige Aussage.
Es war ihnen durchaus bewusst, dass die Zeit ihrer Jugend bereits vor Jahrzehnten ihr Ende gefunden hatte, trotzdem wollte noch keiner an den Tod denken. Mit dem Tod von Alfred wurde ihnen plötzlich die Endlichkeit ihres Daseins vor Augen geführt. Sie würden ihr Projekt vorantreiben müssen, wenn sie die Umsetzung noch erleben wollten.
Der Hausherr, Otto Held hatte seine Gäste persönlich begrüßt, als sie nach und nach in seiner Villa eintrafen. Einst der größte Berliner Lebensmitteldiscounter Berlins hatte er sich vor zehn Jahren ins Privatleben zurückgezogen, nachdem er seine Geschäfte an einen bundesweit agierenden Konzern verkauft hatte. Seit dem Tod seiner Frau lebte er nur noch mit seinen Hausangestellten in der viel zu großen Villa im Grunewald, da sie kinderlos geblieben waren. Seine Angestellten hatten sich daran gewöhnt, dass sie am Totensonntag von allen Tätigkeiten freigestellt wurden, darüber hinaus hatte er ihnen zu verstehen gegeben, dass er niemanden von ihnen an diesem Tag sehen wollte.
Einzig sein Hausfaktotum Wolfgang Wacker, befand sich noch im Haus, allerdings war von ihm nichts zu befürchten. Wolfgang, der früher als Chauffeur für ihn tätig war, übernahm heute nur noch einfache Gartenarbeiten, da er inzwischen fast so alt wie sein Arbeitgeber war. Er war einer der wenigen, der, neben seinen Freunden, seine Ansichten kannte und teilte.
Wie seit Jahren war Friedrich Kroeger der erste Gast, der am Totensonntag bei ihm eintraf. Friedrich war weniger massiv und korpulent wie Otto, dafür hatte sich sein Haupthaar schon vor mehr als vier Jahrzehnten von der Oberfläche seines Hauptes verabschiedet. Auch die Gesichtszüge wichen erheblich von den Zügen seines Gastgebers ab. Während er das feine Minenspiel des konservativen hanseatischen Kaufmanns beherrschte, war das von Otto einem Bullterrier nicht unähnlich.
»Friedrich wie immer übertriffst Du die anderen«, empfing Otto ihn an der Tür, dann schlug er ihm freundschaftlich auf die Schulter. Friedrich verzog leicht sein Gesicht, während er einen Schmerzenslaut unterdrückte. Vierzig Kilo Gewichtsunterschied hatten sich wieder einmal bemerkbar gemacht, auch wenn er wusste, dass Otto seine pure Kraft nicht bösartig einsetzte.
Otto führte den Reeder aus Hamburg in seinen Empfangsraum, in dem seine Angestellten ein reichhaltiges kaltes Büffet aufgebaut hatten, ehe sie das Haus verließen.
»Wie geht es Annika«, polterte Otto los, während er sich Bier in ein Glas füllte. Annika, die inzwischen zweiundvierzig Jahre alte Tochter führte das Familienunternehmen seit acht Jahren sehr erfolgreich, auch wenn ihr Vater dies nicht wahrhaben wollte.
»Man muss immer noch darauf achten, dass sie keinen Unsinn macht«, Friedrich Kroeger wackelte bedächtig mit seinem Kopf. »Es ist ganz gut, dass ich ab und an nach dem Rechten sehe«, lobte er sich, während Annika, wenn man sie gefragt hätte, zu Recht eine gegenteilige Ansicht vertreten hätte.
Die nächsten Gäste kamen erstmalig gemeinsam als Fahrgemeinschaft, im Jahr vorher waren sie gemeinsam mit Alfred Kant zu dem Treffen erschienen. Heinrich Schwarz, der als Bankier einer kleinen aber noblen Privatbank in Frankfurt vorstand, war der Längste in ihrem Kreis. Mit seinen einhundertfünfundneunzig Zentimetern sowie seiner akkurat sitzenden Frisur wirkte er so vertrauenswürdig, dass Kunden gerne ihr Geld zu seiner Bank trugen. Der Fahrer dieser Fahrgemeinschaft war jedoch Dieter Kunz, dessen Hauptsitz seiner Getriebe- und Bremsenfabrik sich in Düsseldorf befand. Er war genau das Gegenteil von Heinrich Schwarz, er war der kleinste unter den Teilnehmern. Zugleich war er noch der Aktivste unter ihnen, der die Zügel seiner Firma immer noch in den Händen hielt. Viele seiner Kontrahenten warfen ihm vor, dass sein Erfolg nur auf den persönlichen Beziehungen beruhte, die er in die Vorstände der Automobilindustrie hatte. Es war in der Tat ausschließlich sein Verdienst, der dafür gesorgt hatte, dass bei dem Großteil der auf Deutschlands Straßen fahrenden Autos, Getriebe und Bremsen aus seinem Unternehmen maßgeblich waren.
Der Letzte, der inzwischen zu einem Quintett zusammengeschrumpften Vereinigung kam aus München zu dem alljährlichen Treffen. Walter Mayer war der Einzige ihres ursprünglichen Sextetts, mit dem Otto Held, neben seiner Freundschaft in der Vergangenheit auch berufliche Verbindung verband. Vom Aussehen sehr ähnlich, kursierte während ihrer beruflichen Treffen die Vermutung, dass nur verwandtschaftliche Bande eine derartige Ähnlichkeit hervorrufen könne. Walter Mayer, der mit seinen vier Söhnen einen der führenden Fleischgroßhandel in München leitete, war zeitweilig Lieferant von Fleisch und Wurstwaren der Berliner Lebensmittelgeschäfte von Otto Held.
Es war besser, er ließ ihnen die Zeit sich darüber auszutauschen, was an Erzählenswertem im Laufe des Jahres bei jedem angefallen war. Nachdenklich blickte er zu seinen Freunden, dachte dabei an den fehlenden Freund Alfred Kant. Wer würde sich als Nächster aus ihrem Kreis verabschieden, Heinrich Schwarz war zwar der Älteste, allerdings wirkte er am gesündesten von allen. Würden Sie den Beginn ihres gemeinsamen Ziels noch miterleben, oder würde auch der erneute, der entscheidende Versuch scheitern.
Das Lächeln wirkte wehmütig, als er an ihr erstes Treffen zurückdachte, an die ersten Ferien, die sie zusammen an der Ostsee verbrachten. Es lag nun schon fünfundsechzig Jahre zurück, Heinrich feierte während der Ferien seinen zehnten Geburtstag, damals war er noch der Führer ihrer kleinen Gruppe. Seit jener Zeit hatten sie nie den Kontakt untereinander verloren, da erst zu einem späteren Zeitpunkt die räumliche Trennung diesen Kontakt erschwerte. Damals hatten ihre Familien alle in Berlin gelebt, sie hatten alle Führungspositionen inne, waren in leitender Funktion für das Deutsche Reich tätig.
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