„Du hast wieder mal gut lachen, Robert! Aber warte nur, eines Tage kriege ich dich!“
Noch immer schnaufend nahm auch er den Helm ab. Sein sandfarbenes Haar war ebenfalls feucht vor Schweiß. Trotz der kalten Witterung an diesem Frühlingstag war ihm ordentlich warm geworden und er genoss den leichten, kühlenden Wind, der über den Platz zog. Es wurmte ihn gewaltig, dass er schon wieder eine Niederlage erlitten hatte. Aber eigentlich hatte er ja damit rechnen müssen. Sein Partner war, obwohl nur wenig älter als er selbst, einer der besten Kämpfer Englands und kaum zu schlagen.
„Du hast gut gekämpft, Duncan“, tröstete Robert seinen Freund. „Und du machst gute Fortschritte. Ich fürchte, ich bin dir nicht mehr lange überlegen.“
Die beiden jungen Männer lehnten sich erschöpft gegen die Mauer und gönnten sich ein wenig Erholung. Aufmerksam beobachteten sie von dort aus die anderen Kämpfer auf dem Platz, die, wie sie eben noch selbst, ihre Kampftechniken übten.
„Hast du gesehen, wie geschickt Sir Gilbert dort drüben den Schlag pariert hat?“ Der dunkelhaarige Ritter machte seinen Partner auf zwei der Streiter in der Mitte des Platzes aufmerksam.
„Ja, das war genial! Den Trick hätte ich eben gut gebrauchen können. Aber das ging mir zu schnell. Weißt du, wie er das gemacht hat?“
Sein Gegenüber nickte. „Ja, diese Technik kenne ich. Wollen wir ein wenig üben?“
„Aber sicher, jetzt will ich es wissen!“
Sie zogen die schützenden Helme wieder über und spielten die Bewegungsabläufe einige Male langsam durch.
„Gut so. Mal sehen, ob du mich jetzt abwehren kannst. Pass auf, ich greife an!“
Mit erhobenem Schwert drang Robert, noch ein wenig zurückhaltend, auf Duncan ein, der mit der noch ungewohnten Abwehrtechnik antwortete.
„Ja, nicht schlecht. Aber du darfst mich gar nicht erst so nahe an dich herankommen lassen. Versuch es noch einmal.“
Konzentriert trainierten sie die neuen Bewegungen, bis sie durch den Ruf eines Dieners unterbrochen wurden, der sich den Kämpfern jetzt näherte.
„Sir Duncan Belwood und Sir Robert de Tourneau! Seine Majestät, der König verlangt nach Euch!“
Es war der erste März des Jahres 1173 und Henry II Plantagenet, König von England, hielt sich gerade mit seinem gesamten Hof in Frankreich auf, in der Grafschaft Poitou. Er befand sich in seinen gut geheizten Privatgemächern und stritt sich wieder einmal mit seiner Frau, Königin Eleanor.
„Ich habe dieses ewige Herumgereise satt!“, fuhr die Königin ihren Gemahl an. „Du bist der König von England, nicht von Frankreich! Was sollen wir hier in Vigeois? Warum können wir nicht endlich nach England zurückkehren und dort bleiben? Die Festung von Westminster wäre ein durchaus angemessener fester Wohnsitz für den Hof.“
„Als ob du nicht ganz genau wüsstest, warum“, gab Henry II genervt zurück. Er verdrehte die Augen. Schon wieder diese nutzlose Diskussion! „Also zum hundertsten Male: Ich bin König von England, ja, aber außerdem Herzog von Aquitaine und der Normandie und Graf von Anjou und Maine. Zugegeben, mir gehören nur diese wenigen Gebiete und der Hauptteil des Landes untersteht König Louis von Frankreich, aber gerade deshalb muss ich mich hier in Frankreich um mein Herrschaftsgebiet kümmern! In meinem Hauptsitz in England wäre ich viel zu weit von meinen französischen Besitzungen entfernt und das könnte leicht gefährlich werden. Ich kann die vielen Feinde und Neider, und nicht zuletzt König Louis, nicht über eine längere Zeit ohne meine Anwesenheit nach Gutdünken handeln lassen! Ich muss ständig auf der Hut sein, Gelegenheiten für Intrigen gegen mich gibt es mehr als genug.“
„Blödsinn! Das ist doch nur eine Ausrede, weil du keine Kompetenzen abgeben kannst! Du hast genug fähige Beamte, außerdem kannst du deinen Söhnen hier die Oberaufsicht überlassen. Und wenn du dann wirklich mal persönlich in Frankreich nach dem Rechten sehen musst, kann ich dich solange in England vertreten.“
Der König schnaubte unwillig. „Sicher, das hättet ihr wohl gerne!“
Seine Frau hatte schon recht, Henry würde nie freiwillig seine Macht aus den Händen geben, auch nicht einen Teil davon. Gab er seinen Söhnen eigene Regierungsbezirke, dann würden die nach ihren eigenen Ansichten handeln und sich kaum mehr von ihrem Vater dreinreden lassen und das konnte und wollte Henry nicht zulassen. Aber so gerne Henry alle Regierungsbelange in die eigene Hand nahm, er konnte in seinem weiten Reich beim besten Willen unmöglich überall zugleich sein. Also musste er gezwungenermaßen Beamte einsetzen, aber da kamen nur von ihm persönlich ausgesuchte und bewiesenermaßen loyale Leute infrage, die sich streng an seine Befehle halten mussten. Doch auch denen traute der König nur bedingt, solange er sie unter seiner Kontrolle wusste, und deshalb überprüfte er deren Tätigkeiten ständig.
„Das hätten wir allerdings gerne. Du bist doch krank! Dass du dich nicht auf deine Beamten verlassen willst, kann ich ja noch verstehen, aber du vertraust nicht mal deiner eigenen Familie! Treib es nicht auf die Spitze! Unser Ältester ist nach dieser Hochzeitsgeschichte sehr aufgebracht und er könnte sich mit Gewalt holen, was ihm zusteht.“
Henry funkelte die Königin wütend an. „Du wagst es, mir zu drohen? Und dann erwartest du tatsächlich, dass ich dir traue?“
Sie stand hoch aufgerichtet vor ihm und erwiderte seinen Blick genauso aufgebracht. „Das war keine Drohung, ich will dich nur warnen. Du kannst deine Augen schließlich nicht überall haben.“
„Eben! Und genau deswegen reisen wir durch das Land. Nur durch diese hohe Mobilität kann ich meine Beamten und Lords, und meine Familienangehörigen, immer wieder einer Kontrolle unterziehen. Und darauf lege ich nun mal großen Wert, ob dir das gefällt oder nicht! Nur so kann ich auf die Dauer verhindern, dass einer meiner Leute seine Machtposition für eigene Zwecke missbraucht oder sogar so ausbaut, dass er mir letztlich gefährlich werden kann.“
Deshalb hatte Henry auch gleich in den Anfängen seiner Regierungszeit die zu Zeiten seines Vorgängers selbstständig ausgeweiteten Befugnisse einiger Lords wieder zurechtgestutzt und Sheriffs zu deren Kontrolle eingesetzt. Er ging sogar soweit, ohne königliche Genehmigung erbaute Burgen wieder abreißen zu lassen, wobei er sich natürlich ein paar unversöhnliche Feinde geschaffen hatte. Diese Männer durfte der König in der Tat nie ohne Gefahr aus den Augen lassen.
„Es gibt nur wenige Menschen, auf deren Loyalität ich mich wirklich verlasse, und zu denen gehören weder unsere Söhne noch du. Mein Wille zählt hier und ihr würdet euch doch nie an meine Anweisungen halten.“
„Wieso auch, wir sind durchaus in der Lage, selbst zu denken! Überleg doch bloß, was für ein Aufwand es ist, ständig mit dem ganzen Hofstaat durch die Gegend zu ziehen.“
Das war es zweifellos, denn selbstverständlich wurde der König immer von seinem gesamten Hofstaat begleitet, bestehend aus Rittern, Beamten, Beratern, Priestern, Hofdamen, Edelmännern, Soldaten, unzähligen Bediensteten, außerdem Pferden, Hunden, Jagdfalken und sämtlichem Inventar, bis hin zu den Einrichtungsgegenständen seiner eigenen Kapelle. Entsprechend groß war der Zug an Menschen, Tieren und Wagen, der ihm jedes Mal folgte.
Unterwegs residierte Henry, wie gerade hier in Vigeois, samt Hofstaat in einer seiner vielen eigenen Burgen oder auch als Gast bei einem seiner Lords, wobei er teilweise nur wenige Tage an einem Ort blieb. Für die mehr oder weniger hocherfreuten Gastgeber, denen diese hohe Ehre ungefragt und unabänderlich zuteilwurde, war es eine Selbstverständlichkeit, der vornehmen Gesellschaft die besten Quartiere und erlesensten Speisen zur Verfügung zu stellen. Ohne Entschädigung natürlich, denn die Auszeichnung des Gastgebers durch die Anwesenheit des Königs in seinem geehrten Hause war Gegenleistung genug. Schließlich residierte der König ja nicht bei jedem! Deshalb traten die Auserwählten auch gerne ihre privaten Räumlichkeiten an die hohen Gäste ab. Und natürlich bedauerten sie es sehr, wenn der Hof schließlich weiterzog, nachdem sämtliche Vorräte an Essbarem und an Brennholz, die eigentlich für ein Jahr hätten reichen sollen, komplett aufgebraucht waren.
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