1 ...6 7 8 10 11 12 ...19 Mein Hundertachtzig-Grad-Blick verhieß: Es würde eine wilde Party werden. Vor den Toiletten bildeten sich lange Schlangen. Nicht ausgelöst durch eine plötzlich ausgebrochene globale Inkontinenz, sondern durch Kokainkonsum. Viele rieben sich in den Gesprächen nach Besuch des stillen Örtchens auffällig oft an den Nasenflügeln herum.
Ein Diskjockey blieb anfangs mit cooler Loungemusik unauffällig, sorgte danach mit Techno und Rave für Stimmung, bot im weiteren nur noch Schlager. Mit erhöhtem Alkoholpegel sanken die Hemmschwellen in jeder Hinsicht. Viertelstündlich. Die Gästeschar grölte und tanzte. Man mochte es kaum glauben, aber viele der weiblichen Anwesenden ließen ihre Hüllen fallen. Sie tanzten oben ohne oder knoteten die Blusen über dem Bauchnabel zusammen, nachdem sie sich ihres Büstenhalters entledigt und diesen wirbelnd ins Meer geworfen hatten. Wir waren Port Andratx nah, da schmusten einige gierend auf den gepolsterten Bänken miteinander oder knutschten, andere machten sich, je nach dem, wer dominant war, ungeniert am Hosenschlitz oder unter dem Rock zu schaffen und es kam mir vor, als ob zumindest die Rückfahrt unweigerlich in eine ekstatische Orgie ausarten würde.
In welche Katastrophen konnte so etwas münden? Manche strangulierten sich in der Toilette mit einem Gürtel und wurden dann bewusstlos aufgefunden, andere stürzten einfach von Bord und ertranken jämmerlich, da ihre Sinne von Sex, Drogen und Alkohol wie vernebelt waren.
Auch hierzu gab es Notizen in meinem Heftchen unglaublicher Zufälle.
Es ist wohl nur zu gut verständlich, angesichts dessen ich nach der Trennung von Anita schmerzlich unter der fehlenden Zuneigung litt und mir keineswegs eine schnelle Nummer mit einem der anwesenden Partyluder darüber hinweghelfen konnte (ich hatte im letzten Jahr gar nicht erst versucht, eine Frau kennenzulernen), dass ich es kaum noch auf dem Boot aushielt. Ich musste mir etwas einfallen lassen, um in Port Andratx, wieder zurück an Land, das Weite zu suchen.
Ich kämpfte mich durch das Gedränge der Feierwütigen hindurch und suchte nach Mandy Conchita. Das Boot wurde gerade am Poller der Anlegestelle vertäut und die aufgeheizten Pärchen machten sich bereit für den Landgang, ordneten ihre Kleider, zumindest die, die das Gala Dinner nicht einfach ausließen.
Ich begegnete Mandy Conchita zufällig, als sie aus der Damentoilette kam. Sie war in Begleitung einer blonden Schönheit, die ihr – ich sah es noch in einer winzigen Bewegung der Hand –, unter das Minikleid gefasst und in den knackigen Hintern gekniffen hatte. Mandy Conchita überspielte die schlüpfrige Angelegenheit einfach mit einem Lächeln und warf ihrer Begleiterin einen verliebten Blick zu. Ich redete nicht lange drum herum. „Mandy“, sagte ich, „gut, dass ich Sie treffe. Entschuldigen Sie, aber ich muss mich leider vorzeitig verabschieden.“
Sie blickte mich fragend an. „Albert, es ist doch alles okay mit Ihnen?“
„Ja, natürlich“, versicherte ich. „Tolle Party! Es ist nur so, ich habe einen Anruf erhalten, von einer Freundin, sie ist momentan auf der Insel, ihr Boot liegt hier im Hafen. Und ich möchte meine Freundin gern heute Abend noch besuchen, weil sie morgen Früh schon weiterschippert.“
Mandy Conchita durchschaute meine Ausrede sofort. Zuerst sah sie mich belustigt an, dann aber wurde ihr Blick hart und abweisend. „Sie haben viel erlebt, Herr Wallmann, ich weiß. Aber, dass Sie neben Ihrer Flugangst auch noch eine soziale Phobie haben, das hätte ich nicht erwartet. Trotzdem, das ist kein Problem. Ich sage der Bordmannschaft, dass wir ohne Sie zurückreisen. Weiterhin noch einen angenehmen Aufenthalt auf Mallorca und ich wünsche Ihnen für morgen eine gute Heimreise.“ Sie gab mir förmlich die Hand, dann stöckelte sie auf ihren hohen Hacken an mir vorbei, während die Blondine kaum die Finger von ihr lassen konnte und an Mandy Conchitas Hüfte herumtatschte.
Ich war froh, als die Partygesellschaft in den Gassen von Port Andratx verschwunden war. Am Pier zurückgeblieben, sog ich die frische Abendluft in meine Lungen und dachte darüber nach, was ich wohl jetzt anstellen sollte. Mit dem Taxi nach Peguera zurückfahren konnte ich noch immer. Ich machte mich also auf, ein wenig die Hafenmeile zu erkunden. Die Schönen und Reichen saßen auf den Terrassen der vielen schmucken Gaststätten, aßen zumeist gegrillten oder gebratenen Fisch, tranken Wein und amüsierten sich dabei prächtig, so machte es den Eindruck. Man war unter sich, man war wer, das illustre Urlauber-Völkchen fühlte sich in der Avinguda Mateo Bosch, wie ich auf einem Straßenschild ablesen konnte, sichtlich wohl, egal ob man aß, ein Schwätzchen hielt oder nur flanierte.
Da ich keinen Hunger verspürte, hielt ich nach Kneipen Ausschau und wurde im Übergang zur Avingunda Almirante auf eine Bar namens Peggys Stars On 45 aufmerksam. Es herrschte reger Betrieb.
Bei Peggy handelt es sich um eine vierundfünfzigjährige Deutsche, die ihr Lokal mit viel Herzblut führte und hinter dem Tresen mit flinken Fingern die Bechergläser nur so fliegen ließ. Sie hatte direkt am Eingang eine Jukebox platziert. Die Oldies dudelten. Es roch nach Duftstäbchen und Weihrauch, America sang A Horse With No Name und ich fühlte mich gleich pudelwohl. Nach zwei Bieren und drei Bourbon fühlte ich mich noch viel besser. Bei Joe Cockers Unchain My Heart zuckte ich sogar rhythmisch auf der kleinen Tanzfläche neben dem Billardtisch hin und her.
Die Gäste hatten sich auf ihre Hotelzimmer zurückgezogen, oder lagen bereits schlafend in den Kajüten ihrer Boote, es war so gegen halb drei, da waren Peggy und ich beim Du angelangt. Bei einem Du, das nichts Manipulatives hatte. Peggy hatte die Bar geschlossen, ich hatte ihr meine Geschichte erzählt und davon, dass es mir zuwider war in dieses Five-White-Stripes-Deluxe-Hotel zurückzukehren. Ich wollte nicht mehr eingeladen werden, nicht bestochen, nicht benutzt. Ich wollte nicht Teil einer ausgeklügelten Marketingkampagne sein, denn, ließ ich den Kongress Revue passieren, so gab es doch wohl für niemanden aus der Gruppe ein entrinnen. Hatte man auch nur einige der wichtigsten Personen heimlich bei diesem Boots-Gelage mit dem Fotoapparat abgelichtet, so waren sie erpressbar, denn, wer findet sich gern als verheirateter erfolgreicher Geschäftsmann auf dem Titelblatt einer Illustrierten wieder, das zeigt, wie man gerade mit einer Hostess herummacht. Mitgefangen, mitgehangen. Aber all das war ja nur so ein Gefühl. Es könnte so sein. Es könnte auch alles anders sein.
Peggy hatte mich in meiner Haltung bestärkt. Sie fand es gut und richtig, dass ich meinem Instinkt gefolgt war und mich aus der Situation herausgezogen hatte. Sie stand in ihrem Leben mal vor einer ganz ähnlichen Situation, hatte sie erzählt, als ihr Ex-Mann in große Geldschwierigkeiten gekommen war und ihr einen Versicherungsbetrug vorgeschlagen hatte. Sie hatte abgelehnt, was gleichzeitig das Ende der Beziehung bedeutete. Der Ex-Mann zog die Masche trotzdem mit seiner neuen Geliebten durch, wurde geschnappt und saß – wahrscheinlich noch immer – in irgendeinem Knast seine Gefängnisstrafe ab. Peggy machte dagegen vermutlich alles richtig. Sie hatte ihr Fischrestaurant in Sankt Peter Ording aufgegeben und war nach Mallorca gezogen. Das lag schon einige Zeit zurück; Peggy gehörte inzwischen in Andratx zum Establishment. – Ich mochte sie, ich mochte einfach alles an ihr. Ihre schwarzlackierten kurzen Nägel, ihr kräftiges braunes langes Haar, ihr schwarzes Rippenshirt, ihre Perlenketten, ihre Armreife aus Perlmutt und die braune, schon etwas speckig gewordene Wildlederhose, die sie trug. Sie konnte einigen Alkohol vertragen. Und nachdem ihre Thekenbedienung Maria längst gegangen war, nachdem sie die Spülmaschine angestellt und den Tresen aufgeräumt hatte, da sagte Peggy zu mir, ich könne auf dem Sofa schlafen, ihre Wohnung befinde sich eine Etage höher. Ich könne dann morgen Mittag mit dem Taxi rüberfahren oder im Hotel anrufen und mir meinen Trolley einfach bringen lassen. Ich wusste, dass dies ein großer Vertrauensbeweis war, denn sie war keine, die irgendwelche Urlauber, die ihr gefielen, mit ins Bett nahm (so glaubte und hoffte ich es zumindest). Erst recht keine Lebowski-Lookalikes. Sie musste mich irgendwie mögen und wenn ich ganz ehrlich zu mir war, dann mochte ich Peggy ein bisschen mehr, als ich mir eingestehen wollte. Ich bedankte mich höflich. Kaum hatte ich mich auf der Couch ausgestreckt, da war ich auch schon eingeschlafen. Mich umzuschauen in ihrer kleinen Wohnung, dafür fehlte mir einfach die Kraft.
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