Die Straßen waren Großteils noch sehr schlecht, die Salzburger Autobahn war in Weyarn wegen der zerstörten Brücke noch unterbrochen, nächstes Jahr sollte sie fertig werden, in Unterhaching hatten die Amis ein Stück Autobahn beschlagnahmt und in das Flugplatzgelände Neubiberg mit einbezogen, deshalb musste man auf der Landstraße außen herumfahren, was damals schon lange Staus, vor allem bei der Rückfahrt am Sonntagabend verursachte. In die anderen Gebiete gingen sowieso nur Landstraßen. Mit 2 Stunden Anfahrt war immer zu rechnen, also starteten wir immer allerspätestens um 6.00Uhr früh, meistens aber noch um einiges früher.
Der Herbst verging, der Winter kam und damit die Skisaison. Eine neue Liebschaft oder gar Liebe war nicht in Sicht. Nach dem ereignisreichen Wochenende in Berlin war es auf einmal wie abgeschnitten. Ich lernte einfach kein Mädchen mehr kennen, das mir gefiel und dem ich gefiel. In manchen Nächten lag ich lange wach mit meiner Sehnsucht nach Liebe, nach Zärtlichkeit und auch, das will ich nicht verhehlen, nach richtiger sexueller Befriedigung. Mit 19 oder 20 Jahren quillt man ja direkt über vor Potenz, wohin mit all dem überflüssigen Sperma?
Der Entschluss ist gefasst, Tanzen wird gelernt.
Zurück zum Neujahr 1960. Nach diesem langen Wochenende beginnt der Fasching. Alle Freunde erzählen mir von tollen Bällen, auf denen sie viel getanzt und hübsche Mädchen kennengelernt haben. Da war es wieder, mein Problem: das Tanzen! Ich muss es lernen, aber wie und wann? Etliche Freunde der Gewerkschaftsjugendgruppe waren bereits früher in der Tanzschule Sämmer im Deutschen Theater und schwärmten mir vor, wie toll es da gewesen sei und an den Übungsabenden immer noch ist. So ein Tanzkurs ist nicht kostenlos, ich erkundige mich und erfahre, dass es erstens ganz schön teuer ist und zweitens vor Mai gar keine Termine für Anfänger mehr frei sind. Abgehakt. Es war auch noch ein anderer Gedanke dabei, ich wollte mir von den erfahrenen Tänzern und Tänzerinnen der Gruppe nicht beim Erlernen zuschauen lassen, wollte sie nach erfolgreich absolviertem Tanzkurs plötzlich als passabler Tänzer überraschen.
Am Faschingssamstag veranstaltet die Gewerkschaftsjugend München einen großen Ball, unsere Gruppe muss ihn ausrichten. Groß in Mode sind zurzeit die Mundharmonika-Solisten, -Duos, -Trios und sogar - Quartette mit Instrumenten in allen denkbaren Größen und Variationen. Über Bekannte und Bekannte von Bekannten wird ein hervorragendes Mundharmonika-Trio gefunden, das den ganzen Abend mit nur wenigen Pausen flotte Musik macht. Mit anderen zusammen kümmere ich mich um die Dekoration, die Tische und die Bewirtung. Die Musik ist gut, die Stimmung ist toll, alle sind bunt maskiert, ich als Clown natürlich auch, und alles tanzt - nur ich nicht. Das Fest ist vorbei. Wir räumen auf. Die Musiker haben ihre Sachen zusammengepackt, die Gäste machen sich alle auf den Heimweg oder nach Schwabing in die Nachtlokale. Manch einer geht erst ins Bett, wenn die Skifahrer schon auf dem Weg zum Zug oder zum Bus in die Berge sind.
Mein Nichttänzertum geht mir allmählich auf die Nerven, es plagt mich richtig. Am nächsten Gruppenabend spreche ich einige jüngere Kollegen an, von denen ich weiß, dass sie auch nicht tanzen können, es aber gerne können würden. Sechs Leute müssen wir sein, dann gibt es bei der Tanzschule Schmelzer in der Damenstiftstraße 20% Rabatt und diese Tanzschule ist auch noch ein Stück billiger als die Thea Sämmer. Das ist doch schon was. Trotzdem ist es schwierig, noch 5 Kurswillige zu finden. Es ist nicht nur das Geld, auch die Garderobe muss passen, dunkler Anzug oder Kombination mit weißem Hemd und möglichst passender Krawatte sind Pflicht. Mit viel Überzeugungsarbeit gelingt es mir, das "Sixpack" zusammenzubringen. Anfang März ist Anmeldetermin und die Woche drauf gleich erster Unterrichtsabend. Um 19.00 Uhr an einem Mittwoch soll es los gehen. Wie vereinbart treffen wir uns, Einer fehlt. Wir warten 10 Minuten, wir warten eine Viertelstunde, es wird Zeit hineinzugehen, er kommt nicht. Was tun? Ein junger Mann steuert auch auf die Tanzschule zu. Sofort spreche ich ihn an und frage, ober er auch, ja er auch, also dann bist Du unser 6. Mann. Der freut sich, wir freuen uns auch und ich melde die ganze Gruppe an. Die erste Hürde ist geschafft.
Der Tanzlehrer und seine Frau stellen sich vor. Jetzt geht es gleich los denke ich. Nein, erst wird uns Anstandsunterricht erteilt. Wie man eine Dame auffordert, wenn sie alleine ist, wenn sie in Begleitung eines Herren ist, wie man sich vorstellt und wie die korrekte Tanzhaltung aussieht. Die Herren müssen die Schritte auf Kommando des Tanzlehrers erst einmal alleine üben, zum Schutz der zarten Damenfüßchen. Vor, vor, schließen, rück, rück, schließen. Ohne Musik und ohne Damenbehinderung geht das ganz gut.
Dann wird die korrekte Tanzhaltung geübt. Die erste Trockenübung die Schritte der oder sagt man die Rumba? Es beginnt mit der Beinübung. Danach Mädchen auffordern, korrekte Tanzhaltung und Musik. Die Mädchen sitzen auf einer Stuhlreihe, wie die Spatzen auf dem Telegrafendraht, an der Längsseite des Tanzsaales. Wir Burschen stehen in gleichem Abstand auf der anderen Seite, jeder hat die gegenübersitzende Dame aufzufordern. Ein Mädchen ist zu wenig. Dafür springt die Tanzlehrerin ein, ausgerechnet die erwische ich. Er, der Tanzlehrer kontrolliert jedes Paar und korrigiert Armhaltung und Burschenhände. Die Mädchen machen von Anfang an alles gleich richtig. Das hat schon so seine Tücken. Danach müssen die Mädchen ihre Positionen wechseln, damit nicht immer dieselben miteinander die gleichen Fehler machen. Meine erste Dame ist nur in diesen Tanzkurs gekommen, weil ein chronischer Mädchenmangel herrscht und sie auf diese Weise an 10 Abenden der mütterlichen Fürsorge entgehen kann. Ich plage mich ganz schön ab und meine Dame mit mir auch. 21.00 Uhr, Feierabend.
Der Nächste Kurstag bringt zunächst wieder erst Benimmunterricht, dann Wiederholung der Rumba. Erst die Herren Solo aber gleich mit Musik, dann wieder mit Damen in den Armen, - die Armen. Meiner Dame gefalle ich anscheinend, denn immer öfter komme ich trotz allen Wechselns mit ihr zusammen. Mittlerweile haben wir uns ganz vorschriftsmäßig vorgestellt, auch das ist ein Teil des Unterrichtes. Am 3. Kursabend bietet sie mir das Du an, Ulla heiß ich! Jetzt sind wir schon beim Foxtrott angelangt. Welch seltsamer Name für einen Tanz, Fuchstrab. Zum Schluss des 3. Abends laden uns die Tanzlehrer für die Übungsabende am Samstag ein, um unsere geringen Kenntnisse und Fertigkeiten gleich unter Beweis stellen zu können und auch um den Umsatz der Tanzschule ein wenig zu heben. Es kostet Eintritt, aber nicht viel und es gibt Getränke, nicht zu teuer. Wir haben ja auch schon gelernt, eine Dame auf ein Getränk einzuladen, der Herr bezahlt selbstverständlich. Also muss er sich eine Dame suchen, von der er annimmt, dass sie keinen ausgefallenen Weingeschmack oder gar übermäßigen Champagnerdurst hat. Bier für Damen gilt als unschicklich, höchstens ein kleines Bier zum Essen ist ausnahmsweise genehmigt. Mit meiner Dame, der Ulla verabrede ich mich für diesen ersten Übungsabend, bin ganz schön aufgeregt. Sie wohnt in Ottobrunn und fährt mit dem Bundesbahn-Omnibus bis zum Isartor-Platz. Dort hole ich sie ab. Der Bus ist ein seltsames Gefährt, er hat zum Motorwagen noch einen großen Personenanhänger für vielleicht 40 Fahrgäste. Motorwagen und Hänger sind gut besetzt, und das an einem Samstagabend. Bis zur Tanzschule sind es gut 10 Minuten zu Fuß. Mein Auto lasse ich am Isartor-Platz stehen, da gibt es wenigstens noch genügend Parkplatz und außerdem wollte ich meine Tänzerin gerne ein wenig näher kennenlernen, ohne dass jemand in der Nähe ist und mithören kann. Ein paar Minuten an der frischen Luft, bevor die harte Arbeit in der Tanzschule beginnt, kommen mir nicht ungelegen.
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