»Aber... Euer Gnaden! Oh, Weiseste unter den Weisen! Die Hexe hat mich verflucht und mir den Körper genommen. Unter uns gesagt, war es kein wirklich schöner Körper, aber er war meiner! Zusätzlich nahm die Alte mir die Fähigkeit, mich zu materialisieren. Das bedeutet, ich werde bis zum Sankt Nimmerleinstag nie wieder auch nur einen Tropfen zu mir nehmen können! Zudem wird die Hexe Roxana weiterhin Jagd auf kleine Kinder machen - und sie verspeisen. Bitte, könnt Ihr nicht irgendetwas für mich tun?«, flehte er aufrichtig. Sogar seinen Dackelblick setzte er auf, zwar schrecklich schielend, aber immerhin hatte er in der Vergangenheit damit schon durchschlagende Erfolge erzielen können. Schließlich war er nicht nur der Gott des Suffs, sondern auch der der Fruchtbarkeit.
Ob es nun an seinem Blick lag, oder an seinem spröden Charme, konnte er nicht genau sagen. Dennoch schien die Lady am Schreibtisch vor ihm, ziemlich hellhörig zu werden. Sie zog eine Braue hoch: »Sagtest du Roxana?«
»Ja, Mächtigste des Nordens!«
»Hm, da fällt mir ein, es gäbe da doch noch eine Möglichkeit, an wen du dich wenden könntest. Sagt dir die Organisation Salomons Ring irgendetwas?«
»Ja schon, aber macht die nicht überwiegend Jagd auf uns?«, fragte der Barde erstaunt.
»Natürlich nur auf solche von uns, die den Menschen schaden. Wer sich an meine Dekrete hält, der hat vor ihnen nichts zu befürchten. Sehen wir das mal so: Egal, wer gegen meine Dekrete verstößt, landet entweder hier im Glas, oder wird von den Dämonenjägern beseitigt. Wenn du dir nichts zu Schulden kommen lässt, hast du von ihnen nichts zu befürchten. Wende dich an Ambrosius Pistillum. Er ist der Leiter dieser Organisation.«
Schüchtern hob der Barde die Hand. »Äh, wie soll ich dort hineinkommen? Ich hörte, der Bau sei so dämonensicher, dass dort nicht mal Enkidu, verwandelt als Mäuse-Dämon, hineinkommt. Wie soll ich also zu Pistillum gelangen? Könnt Ihr mir das mal verraten?«
Die Dämonenherrscherin schien zu schmunzeln. Das war insofern verdächtig, weil sie ansonsten stets ihr Pokerface wahrte.
»Oh, das dürfte kein Problem sein. Ich wüsste da jemanden, der dir weiterhilft. Rein zufällig kenne ich ihn sehr gut. Glaube mir, wenn du erwähnst, dass du in meinem Auftrag kommst, wird er sich ein Bein ausreißen.«
Sie erzählte ihm, um wen es sich bei der erwähnten Person handelte, und vor allem, wie der Barde vorzugehen habe.
Erleichtert verbeugte er sich vor der Dämonenherrscherin. »Vielen Dank, Lady Mala. Das werde ich Euch nie vergessen!«
»Das will ich doch hoffen. Vergiss nicht, eine Hand wäscht die andere!«, winkte sie ihn davon.
Enkidu stand bereit, um ihn vor die Tür zu begleiten. Er sah dem Barden nach, wie dieser wieder in die Dimension der Menschen zurückglitt. Er ging zurück zu seiner Herrin. »Glaubt Ihr, dass er Glück bei seiner Mission haben wird, Euer Gnaden?«, fragte er ungläubig.
Die Herrscherin beschäftigte sich wieder mit ihren Dekreten. »Glück? Das wird er dringend benötigen. Weißt du, worin das Geheimnis der hohen Diplomatie besteht? Andere glauben zu machen, sie seien als Sieger aus diesem Gespräch hervorgegangen. Wenn ich überlege, wohin ich den Barden schickte, könnte es sehr interessant für ihn werden - und für mich vielleicht auch ein wenig amüsant...«
*
Hüte dich vor allen Unternehmungen, die neue Kleidung erfordern.
(Henry David Thoreau)
Der grau-braun getigerter Kater, mit dem ziemlich auffällig abgeknickten Ohr, kannte sich im Gebäude bestens aus. Schließlich erblickte er damals im Heizungskeller der Psychiatrischen Klinik das Licht der Welt. Schon als kleines Kätzchen liebte er die Menschen mehr als seine eigenen Artgenossen. Insgeheim hielt er sich womöglich selbst für einen Menschen. Zumindest eroberte er zu dieser Zeit mit seiner tapsig-charmanten Art die Herzen der Patienten und des Personals im Sturm. Irgendwann taufte jemand den Kater auf den Namen Joey. Der Kater kam angelaufen wenn ihn jemand so rief, weil er sich Streicheleinheiten versprach. Schon bald darauf bekam er eine Festanstellung als Therapiekater. Selbst ungewöhnliche Therapiemethoden scheute er nicht. Wenn Patienten im Keller das Schwimmbad benutzten und einige Angst hatten, ins Wasser zu gehen, schreckte der Kater nicht davor zurück, ihnen zu demonstrieren, dass das Wasser nichts Schlimmes tat, was ihm den Respekt aller Anwesenden einbrachte. Es gab nicht viele freiwillig schwimmende Katzen. Viele Patienten vermuteten, dass der Kater noch viel verrückter sei als sie selbst. Eines Tages schloss die Klinik ihre Pforten. Eine Zeitlang musste er sich ganz allein durchschlagen, was ihm eigentlich gar nichts ausmachte. Mäuse gab es genug. Nur fehlten ihm die Hände, die ihn kraulten. Dann wurde das große Gebäude renoviert, was er sehr interessant fand. Nur der Lärm und Staub störte ihn. Da Katzen nicht dem Menschen folgen, sondern ihrem eigenen Revier treu bleiben, betrachtete der Kater, wie selbstverständlich, den leerstehenden Gebäudekomplex als sein Eigentum. Und so verhielt er sich auch. Als plötzlich wieder jemand ins Haus einzog, gab es zuerst ein paar kleine Revierkämpfe, doch als er stur für sein Eigentum plädierte, wurde akzeptiert, dass das Gebäude nicht ohne Kater zu haben war. Joey kannte jeden Winkel und jedes Schlupfloch, so war es quasi unmöglich, ihn aus diesem Haus auszusperren.
Wir folgen ihm einfach mal und finden heraus, was der Kater so im Schilde führt. Geschmeidig erklomm er die Treppe zum ersten Stock, schlich durch Zimmer und Flure, hielt Kurs auf einen ganz bestimmten Raum, sah nach oben, peilte, und sprang lautlos an die Türklinke. Diese gab nach, sodass der Riegel leise aus dem Schloss klickte. Die Tür stand nun einen Spalt weit offen. Mit der Pfote ergriff der Kater die Türkante und zog, um den Türspalt ein bisschen breiter zu machen. Nachdem er breit genug erschien, schlüpfte die Samtpfote mit dem Kopf hindurch, stellte den Schwanz auf, hakte ihn lässig um die Türkante und gab der Tür derart ein wenig Schwung, damit sie wieder beinahe lautlos ins Schloss zurückfallen konnte. Der Stubentiger sah sich im Zimmer um. Als wäre es das Natürlichste der Welt, schlich der Kater zum Bett, sprang hoch und rollt sich auf dem Bauch eines ziemlich großen Kerls zusammen, der in diesem XL-Bett schlief …
»Nein, das tut er nicht!«, richtete ich mich auf und setzte den Kater Joey wieder auf dem Fußboden ab. »Wie soll ich hier in Ruhe schlafen, wenn die ganze Zeit so eine beknackte Pfeife kommentiert, was mein Kater gerade für einen Unsinn verzapft?!«, beschwerte ich mich bitter. »Hey, was machst du hier eigentlich in meinem Schlafzimmer?«, fragte ich ziemlich angepisst. »Ja, du, genau! Dich habe ich doch schon mal hier rausgeworfen! Ständig schnatterst du so einen Müll! Ich brauche keine Erzählerin! Bisher habe ich meinen Scheiß ganz gut allein auf die Reihe bekommen! Also, mach gefälligst einen gepflegten Abgang! Pfeif durch die Socken! Mach einen Adler! Und Tschüss!«, verabschiedete ich die aufdringliche Dame.
»Arrrgh, schon wieder ein Tag, der meine Nerven auf die Probe zu stellen beabsichtigt! Wie heißt das Lied so schön? ›Guten Morgen, liebe Sorgen, seid ihr auch schon alle da? Habt ihr auch so gut geschlafen, na dann ist ja alles klar.‹«
Joey räusperte sich, holte plötzlich eine kleine Ukulele hervor, schlug die passenden Akkorde an und sang: »Wir schwingen unser linkes Bein behände aus dem Bett –
Der Bettvorleger gibt uns Schwung bis direkt vor's Klosett!
Und wo wir schon mal da sind, da bleib'n wir auch hier –
Uh, fertig – wo ist das Papier?«
»Äh...«, sagte ich wortgewandt, betrachtete meinen ansonsten schon leicht verrückten Kater, und musste dabei jedoch feststellen, dass er diesmal noch ein ganzes Stück verrückter erschien als sonst. Eigentlich war er schon immer über Gebühr gesprächig. Doch beschränkte er sich bisher auf katzentypische Laute - und das ohne musikalische Begleitung.
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