Erschöpft, aber nicht minder erleichtert, ließ er sich ins weiche Moos plumpsen und sah dem Inferno zu - teils mit Abscheu, teils mit Faszination. Durch die Hitze bekamen die Fensterscheiben knackend Risse, und wenig später ertönte ein Fauchen, welches immer lauter wurde und in einer Rauchgasexplosion kulminierte. Der Backdraft katapultierte alles Mögliche nach draußen - und der Barde glaubte, seine Augen spielten ihm einen Streich - als die alte Hexe durch das Reetdach geflogen kam… Obwohl, vom Fliegen zu reden, wäre womöglich ein Irrtum, denn sie flog weniger, sondern blieb die ganze Zeit über in der Schwebe, hielt ihren leicht angebrannten Raben in Händen und blickte sich zornfunkelnd um, bis sie den Barden erspähte.
Dieser versuchte natürlich mit dem Moos so gut wie eins zu werden, doch zu spät. Erstens wollte es nicht so recht funktionieren, und zweitens hatte ihn die Hexe bereits entdeckt. Die Flammen, die von ihrem Haar ausgingen, verliehen ihr eine schreckliche Korona, die flammende Kleidung umflatterte sie wie ein Umhang aus Feuertentakeln. Seltsamerweise schien sie keinerlei Schmerzen zu empfinden. Drohend zeigte sie mit dem Finger auf den Barden.
»Du törichter Narr! Du weißt ja gar nicht, mit wem du dich anlegst!«, fauchte sie wütend.
»Das habe ich in der Tat auch schon befürchtet. Warum tust du mir nicht einfach den Gefallen und stirbst, dann wäre die Welt ein bisschen besser«, sprach er eigentlich mit sich selbst, doch die Hexe hörte ihn anscheinend, trotz des Lärms, sehr gut.
»Dir wird der Spott sogleich vergehen! Ich weiß, wer du bist. Ich verfluche dich!«, hob sie die Stimme bedrohlich an. »Du nahmst mir den Körper des kleinen Mädchens, der für mich wichtig war. Gleiches soll mit Gleichem vergolten werden! Dafür nehme ich dir den deinen! Niemals mehr sollst du in Zukunft einen eigenen Körper besitzen! Dies ist mein Schwur, er soll gültig sein bis zum letzten Tag aller Tage!«
»Nimmermehr!«, keifte der Rabe Edgar zustimmend.
Und wie es sich für eine echte Hexe gehört, lachte sie gackernd, hüllte sich in eine Rauchwolke und verpuffte.
»Okay… Heftiger Abgang, aber ich dachte, sie wollte mir den Körper nehmen?«, fragte der Barde erstaunt und besah sich. Vorsichtig tastete er an sich herum. »Offenbar noch alles da! Tja, das war wohl nichts!«, triumphierte er.
In der Tat war alles noch dran, nur bestand das Problem viel mehr darin, dass er immer durchsichtiger zu werden drohte. »Nee, ne? Ach Männo! Was ist das?«, fragte er leicht entnervt. Verwirrt raufte er sich die Haare, und als er sich hilfesuchend umsah, bemerkte er, dass er nicht mehr allein war. Ein Typ in einer schwarzen Kapuzenkutte saß auf einem Baumstumpf; eine Motorsense lag ihm zu Füßen. Der Kerl sah ziemlich bleich aus, genauer gesagt, sein Knochenschädel.
»Na, Gevatter Tod, bist du gekommen, um mich zu holen?«, fragte der Barde unsicher, und schluckte laut.
»Quatsch nicht! Ich nehme mir gerade meine Frühstückspause, Dionysos Polyônomos. Weißt du, ich liebe den Wald. Da habe ich meistens meine Ruhe, denn dort gibt es kaum Menschen«, meinte Gevatter Tod und holte eine Thermoskanne mit Kaffee heraus. Jedoch trank er nicht, sondern goss lediglich einen Becher voll ein und wedelte sich das wohlduftende Kaffeearoma zu. »Na ja, mal abgesehen von diesen Idioten, die sich selbst mit der Jagdflinte erschießen, oder die Holzfäller, die viel zu überzeugt von ihrem Können, vom Baum erschlagen werden. Oder gar diese Hirnis, mit ihren Kettensägen, die sich beim Feuerholz sägen die Beinschlagader durchtrennen. Aber ich will nicht über die Arbeit reden, denn ich habe - wie schon gesagt - jetzt meine Frühstückspause.«
»Also bist du gar nicht gekommen, um mich zu holen?«
»Dich holen kommen? Nein, warum sollte ich? Du warst schon immer ein metaphysisches Wesen. Im Gegensatz zu der Hexe, die du eigentlich erledigen wolltest, kannst du gar nicht sterben.«
»Ach so...«, meinte der Barde erleichtert. »Trotzdem ist da etwas gehörig schiefgelaufen!«, seufzte er.
»Ja, ›Shit happens‹ sage ich da nur!«, grinste der Todesengel Azrael. Nicht etwa aus Schadenfreude, sondern weil´s mit seiner Anatomie gar nicht anders möglich war.
»Ja, das kannst du echt laut sagen«, betrachtete der Barde seine Hände, die immer durchsichtiger wurden.
»Hörmal, Bacchus. Mir ist es leider verwehrt, in die Speichen des Schicksalsrads zu greifen. Aber bei so jemandem, wie bei der Alten gerade eben, würde ich schon gern mal eine Vollbremsung einlegen! Ich bewundere dich für deinen freien Willen und für das, was du dort drinnen getan hast. Du solltest dir das nicht bieten lassen, was sie dir antat! Weißt du, ich liebe meinen Job. Inzwischen habe ich schon einiges gesehen und mir dabei ein dickes Fell zugelegt. Einige Todesfälle sind nicht nur tragisch, sondern tragikomisch, wobei ich mich manchmal echt zusammenreißen muss, die Pietät zu wahren. Mittlerweile geht mir kaum noch etwas nahe… Was mir aber an die Nieren geht, das sind die toten Kinder. Um sie trauere ich wirklich. Eigentlich sollten sie die Zukunft der Welt sein, die Chance, aus gemachten Fehlern zu lernen und wirklich etwas zum Besseren zu bewegen. Doch sterben viele früh, und das unter schrecklichen Umständen! Zwar nicht mehr so viele, wie in grauer Vorzeit oder im Mittelalter; dennoch sind es gerade die Umstände, wie sie zu Tode kommen. Und es liegt durchaus nicht an der schlechten Medizinischen Versorgung. Nein, daran liegt es schon lange nicht mehr. Diese Kinder wären niemals zu Tode gekommen, hätte nicht so eine perverse Sau Hand an sie gelegt, oder jemand von der Fürsorge weggesehen! Wie erwähnt, sind mir die Hände gebunden, doch du, Dionysos Bassaros, du hast die Wahl, dich für das Richtige zu entscheiden. Also tu es gefälligst auch!«, sprach Azrael, schüttete seinen Kaffee aus und verstaute die Thermoskanne wieder unter seiner schwarzen Kutte. »Noch eins: Wenn du es schon nicht aus reinem Heldenmut für die Kinder tust, dann doch wenigstens deshalb, dich nicht von der Alten verarschen zu lassen und dir dabei die Blöße zu geben, von ihr deinen Körper stehlen zu lassen. Oder willst du, so wie ich, niemals mehr ein Getränk zu dir nehmen, ohne hinterher aufwischen zu müssen? Und das gerade jetzt, wo sich die Karnevalssaison ihrem Höhepunkt entgegen neigt. Vergiss also das elendige Trübsal blasen. Sage dir stattdessen: ›Jetzt erst recht!‹ Also, in diesem Sinne: Cheerio und Waidmannsheil! Ich besuche jetzt einen Volltrottel, der sich beim nächtlichen Fallenstellen mit der eigenen Schlinge strangulierte. Echt, ich habe den geilsten Job der Welt!«, kicherte Gevatter Tod und schlenderte zu einem mit Flammenmustern verzierten Quad, welches an einer Halterung zwei Urnen mit sich führte. Eine helle und eine dunkle.
»Waidmannsdank, Azrael. Tausend Dank für deinen Rat. Jetzt weiß ich, was ich zu tun habe«, nickte ihm der Barde zu. Erfüllt von seiner neuen Mission, machte er eine Geste mit der nun völlig durchscheinenden Hand. Ein blauer Riss im Zeit-Raum-Kontinuum entstand, worin er eintrat und entschwand.
Gevatter Tod setzte sich auf´s Quad und verstaute die Motorsense. Bevor Azrael losbrauste, murmelte er grinsend: »Nun zeig mal, Cowboy, ob du mehr bist, als nur ein loser Trunkenbold! Mach sie platt, diese gottverdammte Hexe!«
*
Natürlich musste sich der Barde eingestehen, dieses Hexen-Problem nicht alleine lösen zu können. Deshalb tat er in seinen Augen das einzig Vernünftige: Er wandte sich an seinen Boss. Leider wurde sein Tatendrang dadurch etwas abgebremst, weil er nicht sofort eine Audienz bekam, sondern so lange geduldig sein musste, bis ihm etwas Zeit erübrigt werden konnte. Unruhig lief er vor der mächtigen Doppelpforte auf und ab. Immer wieder marschierte er vorbei an den zwei starr geradeaus blickenden Wachdämonen, die links und rechts der Pforte Spalier standen. Die beiden hatten die ziemlich voluminösen Erscheinungsformen von Minotauren angenommen. Sie waren ungefähr so breit wie hoch. Ob sie sich von seiner Lauferei gestört fühlten, verrieten sie jedenfalls nicht. Sie verzogen keine Miene, demonstrierten wortlos mit ihren vor der Tür gekreuzten Speeren, dass niemand an ihnen vorbei käme. Selbstverständlich befand der Barde sich in der Dämonendimension, wen sollte er denn sonst angehen, so gänzlich ohne eigenen Körper?
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