»Kannst viel behaupten, wenn der Tag lang ist!«
»Meine Herren!«, rief der Magus uns zur Vernunft. »Sag mal, Ragnor… Musst du nicht zurück, um deine Oliven zu unterrichten?«, fragte er misstrauisch.
»Die haben zu tun. Heute ist das Strangulieren mit Freischwimmer angesagt«, winkte ich lapidar ab.
»Okay«, meinte der Magus. »Na schön, Qwertz. Was führt dich zu mir? Du brauchst meine Hilfe? Das ist ein echter Präzedenzfall, dass ein Dämon… eine Entität, uns um Hilfe bittet.«
»Ja, und das auch noch, weil es um einen Menschen geht. Im Normalfall ist es anders herum. Aber lass mich dir mein Erlebnis schildern, dann wirst du mich verstehen!«, meinte der Kater und erzählte uns die Geschichte von der Hexe, die unschuldige Kinder entführte. »Nicht einmal im Krieg habe ich so etwas Schreckliches gesehen. Dieser Raum mit der Schlachtbank und den zerstückelten Körpern…«, würgte er. Und während er das tat, spuckte er doch tatsächlich einen Fellballen aus. »Sorry, das ist ekelhaft. Das gehört nun mal zur Gestalt einer Katze. Ups! Das mit dem Fellbatzen ist selbst für mich ziemlich widerlich… Tschuldigung«, bat Qwertz um Verzeihung.
Der Magus nahm ein Kleenex-Tuch und wischte den Haarballen vom Tisch. »Keine Ursache«, kommentierte er.
»Danke«, sagte Qwertz zerknirscht. »Weißt du eigentlich, wie viele Kinder seit 1951 verschwanden und nicht wieder auftauchten? Und somit noch immer als unaufgeklärte Fälle gelten?«, fragte der Götterkater.
Der Magus überlegte kurz: »Soweit ich weiß, sind es ungefähr 852 Kinder, die bis heute als spurlos verschwunden gelten. Ansonsten liegen die Aufklärungsquoten des letzten Jahres, was vermisste Minderjährige betrifft, beinahe bei einhundert Prozent, was aber auch an der immer weiter fortschreitenden Technik liegt. Heutzutage besitzt fast jedes Kind ein Handy, womit man seinen genauen Standpunkt orten kann.«
»Mag sein, aber ich weiß, was mit mindestens 120 dieser 852 vermissten Kinder passierte. Sie wurden von der alten Hexe Roxana gefressen! Ich weiß ja nicht, was genau sie den Kindern entnimmt. Wohl nicht alles, sondern irgendetwas, das sie benötigt, um sich zu verjüngen. Mir fällt ein, ich sah nirgends Schädel...«, bemerkte der Entitäten-Kater.
Etwas an seiner Geschichte erschien mir vertraut. »Sagtest du Roxana? Ist sie rein zufällig so eine Zigeunerin?«, fragte ich neugierig. Der Name Roxana erinnerte mich an die Runenstein-Macherin.
»Ragnor, du Rassist. Der Begriff Zigeuner ist zutiefst diskriminierend. Versuche es es mal mit ›Indigener Herkunft‹«, korrigierte mich mein Gutmenschen-Chef.
»Mir doch egal! Man kann sich wegen jedem Scheiß ins Hemd machen! Ich bin ein Vampir, der Menschen Langschweine nennt. Da kann ich doch wohl zu einer fremdländisch wirkenden Person Zigeunerin sagen!«
»Langschweine?«, fragte Qwertz amüsiert.
»Ist ein Insiderwitz… Also, du sagtest, diese Magische Fachkraft mit indigenem Hintergrund hieße Roxana?«
»Ja, die kleine Lena sagte, sie habe sich ihr als Roxana vorgestellt. Hm, du scheinst sie zu kennen? Diese Reaktion fiel mir bei deiner Verflossenen ebenfalls auf. Sie wurde seltsam hellhörig, sobald ich den Namen Roxana erwähnte.«
Ambrosius Pistillum schaltete sich dazwischen. »Moment mal, ehe ihr euch da in etwas hineinsteigert... Da es sich hier ganz offenkundig um eine, oder gar mehrere kriminelle Handlungen dreht, sollten wir unseren Verbindungsbeamten des Bundeskriminalamtes mit dieser Sache betrauen.«
So angefixt, wollte ich mich nicht einfach so wüst abwimmeln lassen. »Er wird fachkundige Hilfe gebrauchen können. Lass mich mit auf die Hexenjagd gehen«, bat ich meinen Chef.
»Nein, das ist nicht dein Job. Auf dich wartet heute ein ganz anderes Vergnügen. Du musst eine Arbeitsprobe vor Herrn Kiesbert von Dreistein ablegen. Dir ist doch bewusst, dass wir für unsere Firma das Qualitätsmanagement Prädikat ISO 9001 beantragen. Wir sind eine moderne Firma im Dienstleistungssektor und müssen mit der Zeit gehen.«
»Vitzliputzli! So ein Schmus, das ist Kokolores! Welchem Idioten ist denn schon wieder so ein dämlicher Hirn-Furz entsprungen? Doch nicht etwa dir?«, pöbelte ich aufgebracht.
»Harry meinte, damit schöpfen wir die volle Effizienz aus.«
»Harry, der Dekretler. Das ist ja mal wieder typisch! Und sollte ich rein zufällig bei der Arbeitsprobe durchfallen?«
»Dann wirst du nachgeschult, kein Thema«, sagte der Magus.
Qwertz meldete sich ganz bescheiden, indem er die Pfote hob. »Äh, dann ist der Große also nicht bei der Ermittlungsarbeit zugegen? Mir persönlich wäre es wirklich lieber, er käme mit. Denn er ersetzt uns schließlich eine ganze Armee.«
»Nein, tut mir leid. Alles was du weißt, musst du an unseren Verbindungsbeamten weitergeben, mit dem ich mich in Verbindung setze. Er wird sich melden. Zuvor wird er schon ein paar Fallakten heraussuchen, die wir mit den gegebenen Umständen abgleichen können. Du kannst gerne hier, bei mir warten«, schlug Ambrosius vor.
»Könnte ich noch ein wenig bei Ragnor und den Oliven zusehen? Dein Beamter weiß, wo er mich findet«, sprang der Kater von Schreibtisch. Dabei sah er mich verschwörerisch an. »Gehen wir!«
*
Fordert jemand blinden Gehorsam von dir, so bist du ein Tor, wenn du nicht blinzelst.
(Unbekannter Verfasser)
Mein Albtraum war noch immer nicht vorüber, der Entitäten-Freak wollte mir einfach nicht mehr von der Seite weichen.
»Was hast du mit dieser Roxana zu schaffen? Sie ist dir ebenso bekannt, wie sie deiner Ex-Frau Mala bekannt ist«, wandte er sich mir interessiert zu.
»Du gehst mir auf den Sack! Verlass auf der Stelle meinen Kater und kümmere dich um deinen Scheiß!«, polterte ich. … Mann, hatte ich einen Hals! Statt etwas wirklich Sinnvolles zu tun, musste ich für so einen Bürokraten-Hansel den Hampelmann spielen. Wie heißt es so schön? Die Bürokratie ist eine Riesenmaschine, die von Zwergen bedient wird...
»Tut mir leid, ich kann den Körper deines Katers nicht verlassen, weil ich leider Gottes keinen eigenen Körper mehr habe. Soll nicht heißen, dass es von jeher so war. Nachdem ich heute mit dieser widerlichen Person namens Roxana zusammenstieß und sie mich verfluchte, habe ich keinen mehr. Was für eine Katastrophe. Na ja, meiner war nicht gerade der Schönste, aber eben meiner. Ich hätte natürlich noch Körper optimierende Maßnahmen ergreifen können, aber er gefiel mir eigentlich so wie er war. Sie nahm mir nicht nur den Körper, sondern damit auch die Fähigkeit, mich anderweitig zu materialisieren. Also, was hast du mit Roxana zu schaffen? Ich sehe dir doch an, dass du voll die dicke Krawatte schiebst, weil Ambrosius dir nicht erlaubt, dich an diesem Fall zu beteiligen!«, schielte er zu mir herauf. Ein leichtes Grinsen konnte er sich nicht verkneifen.
Leider musste ich einsehen, dass er nicht nachgab, dieser nervtötende Pimpf. »Im Mai letzten Jahres, ließ Lord Seraphim meine Frau Amanda umbringen. Er fädelte alles so geschickt ein, dass es aussah, als wäre sie das Opfer eines in die Irre geleiteten Jungen geworden. Und was Roxana betrifft. Ich wusste schon damals mehr über sie als alle anderen Burgbewohner zusammen. Die tuschelten zwar, aber ich wusste es mit Sicherheit, dass Roxana die Geliebte von Lord Seraphim war. Man muss kein Profiler sein, um zu sehen, wie jemand den anderen ansieht, oder wie schnell sie auseinander huschen und Abstand von einander nehmen, um andere glauben zu machen, es bestehe keine Vertrautheit zwischen ihnen.«
»Okay… Und nun willst du, obwohl Lord Seraphim jetzt längst tot ist, dir die Genugtuung gönnen, ihm ebenfalls das Weib zu nehmen und Roxana töten?«, vermutete Qwertz vage.
»So ist es: Auge um Auge, Zahn um Zahn!«
»Wenn es dir dadurch besser geht… Hey, ich weiß, dass du dir schon ziemlich viele Schnitzer während deiner Karriere bei Salomons Ring geleistet hast, und die Geschäftsleitung war ganz und gar nicht begeistert davon. Aber ohne deinen zivilen Ungehorsam, wäre diese Welt wahrscheinlich schon längst im Chaos versunken. Ich hätte da eine Idee, wie du Roxana zur Strecke bringen kannst, ohne dafür womöglich wieder in einer Zelle, oder gar Kryonikkammer zu landen!«, griente er frech.
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