Roger schlug seinem Frühstücksei frustriert den Schädel ein und bemühte sich, Charme zu versprühen, der nichts mit seinem angeblichen Beruf zu tun hatte. Doch vergebens. Die Gräfin gähnte, und ihm wurde immer klarer, dass sie wirklich eine hochnäsige Zicke war.
Als schließlich gar nichts mehr lief, griff er in seiner Verzweiflung zu der alten Masche, die er nur anwendete, wenn er jemandem Aktien andrehen wollte: Er lobte ihr tänzerisches Können, bewunderte ihren adeligen Umgang und versuchte sich bei ihr einzuschleimen, indem er vorgab, ein großer Bewunderer der europäischen Lebensart zu sein.
»Dass ein typischer Amerikaner wie Sie sich nach so etwas sehnen kann«, sagte die Gräfin, »ist mir völlig unverständlich. Sie sind laut, aufgeblasen und gehen mit der Zutraulichkeit eines Welpen auf andere Menschen zu.«
Roger schluckte. Was war falsch daran, seinen Mitmenschen offen entgegenzutreten?
»Auch wenn mein Freund, der König, mit Ihrem Verleger auf gutem Fuß steht«, fuhr die Gräfin fort. »Ich verabscheue die Kultur, die Sie vertreten. Genau genommen ist es überhaupt keine.«
Das war deutlich. Sie hatte ihm unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er gesellschaftlich meilenweit unter ihr stand.
Als sie aufstand, um in ihr Abteil zurückzukehren, atmete Roger auf. Zu seiner Überraschung entdeckte er im Gesicht Roxannes Sympathie für ihn. Als die Gräfin zur Tür hinausging, tippte sie sich an die Stirn, als wolle sie sagen, dass ihre Herrin einen Vogel hatte.
Als die Frauen gegangen waren, sagte er »Puh« und trat in den Gang hinaus, um sich zu Grover und den Pinkertons zu gesellen. Diesmal schlief Schnauz. Der dritte Mann war offenbar zum Frühstück in den Speisewagen gegangen. Der Zug ratterte am Platte River vorbei, und einmal sah Roger sogar eine kleine Bisonherde.
»Du siehst aus, als hätte dich ein Pferd getreten«, sagte Grover.
»Ich hatte gerade das Vergnügen, mit der Gräfin zu frühstücken.«
»Verstehe.« Grovers Miene zeigte echtes Mitgefühl. »Wir sind schon seit einer Woche mit ihr zusammen – seid sie in New York das Schiff verlassen hat. Mit uns spricht sie kein Wort. Sie gibt nur Anweisungen.« Er seufzte. »Jetzt versteh ich erst richtig, warum sich unsere Vorfahren gegen das europäische Adelspack erhoben haben. Sie hatten wirklich einen guten Grund.«
»Wem sagst du das...« Roger drängte sich an Grover vorbei in den vorderen Teil des Zuges. Er wollte sich ein wenig die Beine vertreten, um nicht einzurosten.
Die Waggons waren gut besetzt. Die meisten Reisenden schienen Geschäftsleute und Rancher zu sein und hatten sich in ihren Sonntagsstaat geworfen.
Roger sah auch drei Cowboys, die mit zwei Kavalleristen auf Urlaub Poker spielten. Er kiebitzte eine Weile und liebäugelte mit dem Gedanken, sich zu ihnen zu gesellen, um den Verlust vom vergangenen Tag wettzumachen. Doch dann sah er, dass sie nur um Kleingeld spielten und verwarf ihn wieder.
Als er die Tür des Speisewagens öffnete, fiel sein Blick auf einen Mann mit einem großen weißen Champie-Hut und er blieb starr vor Schreck stehen. Georgie. Homers Mörder. Neben ihm saßen der hagere Flint und ein kompakt gebauter Knabe, dessen Namen er nicht kannte.
Hatte das Trio ihn in den Zug steigen sehen? Waren sie an Bord gekommen, um ihn auszuschalten?
Natürlich, dachte er. Keine Frage. Ich bin erledigt...
Bevor ihn jemand sehen konnten, zog er die Tür zu und eilte durch die Waggons zum Salonwagen zurück. Er musste Grover ins Vertrauen ziehen und ihn um eine Waffe bitten...
Als er das Abteil der Pinkertons erreichte, hatte Grover sich auf einem der beiden Sitze zusammengerollt und schnarchte. Schnauz hielt Wache. Der dritte Mann war noch nicht zurückgekehrt.
»Er hat die ganze Nacht Wache geschoben«, sagte Schnauz mit starkem deutschem Akzent. »Es ist wohl besser, wenn du später noch mal wiederkommst...«
»Ja, mach ich«, sagte Roger. Zum Glück hatten die Lumpen ihn noch nicht gesehen...
7.
Als Roger den Salon betrat, stand Roxanne auf einem Stuhl und staubte mit einem Federwisch eine Blumenvase ab. Sie drehte ihm den Rücken zu und beugte sich so weit vor, dass er Gelegenheit hatte, ihre entzückenden Kniekehlen zu sehen. Ihre Beine erinnerten ihn an Josie, und ihm fiel ein, dass er wegen des plötzlichen Auftauchens ihrer Mutter nicht zum Abschuss gekommen war.
Zwar hätte er Roxannes Kniekehlen noch gern eine Weile angeschaut, doch er räusperte sich, wie es sich für einen Gentleman geziemte.
»Ah, Homer...« Roxanne drehte sich herum. »Wollen Sie mir beim Wedeln helfen?«
Ich hätte da was anderes, was du wedeln könntest, du süßes kleines Biest, dachte Roger und hoffte, dass sie seine Gedanken nicht lesen konnte. »Da wüsste ich was Schöneres«, sagte er und zwinkerte. Er war eigentlich in den Salon gekommen, um nachzusehen, ob es hier etwas gab, das er als Waffe verwenden konnte. Ein Schießeisen zum Beispiel wäre nicht schlecht gewesen... Aber es sah nicht danach aus.
»Sie sind mir ja ein ganz Schlimmer«, sagte Roxanne. Ihre blauen Augen glitzerten auf eigentümliche Weise. »Vielleicht helfen Sie mir erst mal vom Stuhl herunter.«
»Aber gern.« Rogers Arme zuckten hoch und packten ihre Taille. Bevor er sie am Boden abstellte, schaute er ihr in die Augen, wie immer, wenn er eine Frau im Arm hielt und darauf aus war, etwas von ihr zu kriegen. Zu seiner Verwunderung zuckte sie mit keiner Wimper, und er las in ihren Augen etwas, das seine Hose sofort spannte. Als sie am Boden stand, fragte sie, ob er Lust auf ein »Likörchen« hätte.
»Natürlich.«
Sie nahmen Platz. Die Flasche und mehrere Gläser standen auf dem Tisch. Roxanne schenkte ein. Das Zeug war süß wie Honig, brannte aber angenehm in der Kehle.
»Wo ist Ihre Durchlaucht?«, fragte Roger und deutete über seine Schulter.
Roxanne kicherte. »Sie hält ihren Schönheitsschlaf.«
»Was denn? So kurz nach dem Aufstehen?« Es war noch nicht mal zehn Uhr.
»Sie ist um fünf Uhr aufgestanden«, sagte Roxanne, »um ihr Reisetagebuch zu führen.«
»Reisetagebuch?« Roger runzelte fragend die Stirn.
»Der König verlangt es«, erwiderte Roxanne. Sie schenkte nach. »Er finanziert ihre Reise. Da möchte er wissen, was seine... Freundin so alles treibt.«
»Könige scheinen merkwürdige Angewohnheiten zu haben.« Roger trank das zweite Gläschen leer und empfand ein leichtes Schwindelgefühl. Er fragte sich, ob er Roxanne ins Vertrauen ziehen und sie fragen konnte, ob sie eine Schusswaffe besaß. Doch was sollte er ihr erzählen? Dass er nicht Homer von Wallenstein war, sondern der Aktienhändler Roger O’Donnell? Wie sollte er ihr erklären, dass Georgie, Flint und der dritte Mann im Speisewagen darauf aus waren, ihn zu skalpieren, ohne sich selbst in die Pfanne zu hauen?
»Sie sind ein netter Mensch«, sagte Roxanne, als sie beim dritten Likörchen angekommen waren. Ihr Blick war nun leicht glasig, und das Glitzern ihrer Augen erinnerte Roger an eine geile Katze. Er kannte diesen Blick. Wenn Frauen ihn aufsetzten, würde bald etwas passieren.
»Sie auch, Miss Prentiss«, erwiderte er.
»Nennen Sie mich Roxanne«, meinte sie. »Dasch... ich meine, das tun alle meine Freunde.«
»Ich bin gern Ihr Freund, Roxanne.« Rogers Kragen wurde eng. Er wurde noch enger, als sein Blick auf ihre entzückenden Knie fiel. Er hatte so dünne Strümpfe noch nie an den Beinen einer Frau gesehen – außer vielleicht bei den Huren in St. Louis, die gute Beziehungen zu Seeleuten hatten die öfters nach Frankreich kamen.
»Sie sind ein attraktiver Mann...«
Roger errötete. »Danke. Sie sind aber auch sehr attraktiv.« Irgendwie empfand er es immer als peinlich, wenn erwachsene Frauen sich unter dem Einfluss von Alkohol Männern gegenüber zum Affen machten. Andererseits hatte er sie immer als Engel im Bett empfunden.
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