Zunächst herrschte großes Entsetzen bei Robert, Anne und meinen Großeltern, aber Robert sah dann doch darin eine große Chance weiterzukommen. Die Höhe der Nutzungsentschädigung konnte sich sehen lassen.
Wir bekamen das Angebot, eine kostenfreie Wohnung in der Stadt zu beziehen oder das neben dem Hotel brachliegende Grundstück auf vierzig Jahre kostenlos von der Stadt Köln zu Wohnzwecken zu übernehmen, um dort auf eigene Kosten ein Haus zu errichten. Robert entschied sich für das Grundstück und ruck zuck in nur fünf Wochen stand das Vierzimmerhäuschen. Wir, das heißt Fritz, Frieda Bübchen und ich, mussten dort einziehen. Fenster und Türen waren drin, aber an den Wänden lief noch das Wasser runter. Die grauen, noch unverputzten Steine waren von Feuchtigkeit durchzogen, denn es war Herbst und es hatte viel geregnet während des Baus. Keine Heizung, nur Kohleöfen, zunächst alles recht primitiv. Robert und Anne war es eigentlich egal. Hauptsache, ein Dach über dem Kopf für Frieda, Fritz und die Kinder.
Robert mietete für sich und Anne eine Kneipe mit Wohnung auf der damals noch ziemlich in Trümmern liegenden, heute noch berühmten Hohestraße an. Dort schufteten die beiden dann wirklich Tag und Nacht. Mit den Rentnergedecken fing es des Morgens an, weiter ging’s bis in die frühen Morgenstunden. Auch Josi half des Öfteren in den Nachtstunden aus. Sie kannte ja das Metier aus den Berliner Tagen. Auch wenn es viel Trouble zwischen den beiden Frauen gab, wurde auch häufig getanzt, gelacht und gefeiert im »Niehkörvje«, wie die Kneipe hieß.
So waren die Nachkriegsjahre. Viel Arbeit, aber auch unbändiges Vergnügen.
Dass sie auch Kinder hatten, schien ihnen entfallen zu sein. Geld, Geld, Geld, das war das Wichtigste in ihrem Leben und sollte es immer bleiben.
Bübchen und ich, wir sahen sie höchst selten. Ich war inzwischen in der ersten Klasse und lernte schlecht. Ich verwechselte ständig die Buchstaben, konnte nicht still sitzen und irgendwie war ich immer die Letzte bei allem. Meine Großeltern waren schlicht überfordert mit uns beiden kleinen Kindern. Fritz entzog sich der Verantwortung und dehnte die Besuche in seiner Lieblingskneipe »Zur Linde« immer länger aus. Frieda braute derweil ihr Eierlikörchen auf dem Küchenherd und trank so hin und wieder am Tag auch ein paar Gläschen von den gequirlten Eiern. Spender dieses Gebräus waren ihre selbst gezüchteten Zwerghühner beziehungsweise deren Eier, also alles Bio, oder wie oder was?
Betrunken habe ich sie nie gesehen. Immer öfter jedoch gab es Krach zwischen Robert, Anne, Frieda und Fritz wegen der ständigen Abwesenheit der Erziehungsberechtigten.
Nach nur zwei Jahren hatten Robert und Anne genug Geld zusammen und bauten sich um die Ecke ihrer nur angemieteten Kneipe »Niehkörvje« ein eigenes Hotel mit zwanzig Zimmern, hieß vierzig Betten. Schneller als die Leute schauen konnten, war das Hotel »Hochreiter« fertig, so nannten sie ihr Hotel. Anne hatte inzwischen gelernt, fix zu arbeiten und richtete das kleine Stadthotel mit viel Geschmack und Organisationstalent ein. Dort wohnten sie auch in einem kleinen Zimmer von fünfzehn Quadratmetern. Es machte ihnen scheinbar nichts aus. Hauptsache Geld und weiterkommen. Die Ziele von Robert waren jedoch weit höher gesteckt.
Anne hätte es gereicht. Sie war kaputt und sehr nervös. Nie machte es mir und meinem Bruder Spaß, wenn sie gelegentlich Mutter spielte. Es gab schon mal Tage, da erinnerte sie sich daran, dass sie Kinder hatte, und ein Zoobesuch stand an. Es gab Eis und Zuckerwatte, wovon ich nie genug bekommen konnte, sozusagen bis zum Erbrechen, was dann natürlich so gar nicht toll war und nicht schön aussah. Wir waren schließlich zum Vorzeigen herausgeputzt worden. Bübchen hatte sogar einen kleinen Frack an. Ehrlich, süß sah er aus, mein Schatz, und nun wieder die Bescherung mit mir, alles in roten Zuckerwatteschleim getaucht. Wir wurden wieder ins Auto gepackt und zurück zu den Großeltern gekarrt, Bübchen und ich. Verheult, so nahmen uns unsere Großeltern in Empfang. Meistens in diesem Zustand, denn recht konnten wir es unserer Mutter nie machen. Entweder waren wir nicht so angezogen, wie sie es wünschte, oder wir waren zu laut oder zu leise oder überhaupt ein bisschen sehr lästig. Diese wunderbaren Ausflüge wurden oft sehr schnell beendet. Frieda steckte uns dann in die Badewanne und wir waren froh, den Fängen unserer ungeduldigen Mutter entronnen zu sein.
Es wurde immer schwieriger für Fritz und Frieda, mit Bübchen und mir fertig zu werden. Ich kam in der Schule nicht zurecht, weder mit den Hausaufgaben noch mit den Schulkameraden, und Bübchen hatte seine Wutanfälle, indem er sich auf den Boden warf und brüllte.
Das Fazit der Geschichte war, wir kamen in ein Kinderheim in Waldbröl. Viel kosten sollte es nicht und so war es dann auch dort. Ein Ehepaar hatte sich auf dem Gebiet der Kinderbetreuung in einem Einfamilienhaus selbstständig gemacht. Fünfzehn Kinder unterschiedlichen Alters wurden in die Zimmer gepfercht, mit miesem Essen versorgt und auf die dortige Dorfschule geschickt, die größeren jedenfalls. Da waren wir die Außenseiter und wurden von den Dorfkindern, wie man heute sagen würde, gemobbt, aber hallo!
Ich wurde zur Bettnässerin, Bübchen gleich mit, und wir mussten jeden Morgen mit unseren nassen Laken im Garten stehen, auch wenn es kalt war, zur Strafe und damit auch die anderen Kinder etwas davon hatten. Sehr schlimm war das alles für mich und meinen Bruder. Aber wir hatten Glück. Nach einem halben Jahr wurde dieses Kinderheim von Amts wegen geschlossen. Viele Jahre später habe ich gehört, dass die Hausmutter zu einer hohen Geldstrafe verurteilt wurde wegen Misshandlung und diversen anderen Dingen.
Ja, für die Kinder von Robert und Anne war das Billigste gerade gut genug. Das sollte auch so bleiben.
Zurück zu Fritz und Frieda.
Robert wurde ein Grundstück am Dom angeboten zum Bau eines großen Hotels, aber leider fehlte ihm das nötige Kleingeld, heißt, das meiste wollte er mit dem Verkauf des Stadthotels finanzieren, dennoch mangelte es an weiterem Eigenkapital. Fritz besaß noch ein ansehnliches Sümmchen und ein paar Aktien, wollte aber damit partout nicht rausrücken. Er hatte vor, seiner Arbeitslosigkeit ein Ende zu setzen, indem er sich einen Zigarrenspezialladen kaufen wollte, damals keine so schlechte Idee.
Wie es Robert und Anne gelungen ist, ihn davon abzubringen, bleibt ihr Geheimnis. Sicher nicht zuletzt mit dem Versprechen, ihn zu einem Drittel an dem neuen Hotel zu beteiligen. Unverständlich, wie mein Großvater ohne einen notariellen Vertrag darauf reinfallen konnte. Schriftlich wurde jedoch eine monatliche Summe vereinbart, um den entgangenen Gewinn des nicht vorhandenen Zigarrenladens auszugleichen, zuzüglich der Zinsen des geliehenen Geldes.
Ihre Enkelkinder bekamen sie als Dreingabe dazu.
Es lief gut für Robert und Anne. Das Stadthotel hatte einen guten Preis eingebracht. Fritzens Geld war eingesackt. Dennoch mangelte es immer noch an Geld. Robert begann, mit Wechseln zu arbeiten, was recht riskant war und heute kaum noch üblich ist, ein sogenanntes abstraktes Wertpapier. Dazu brauchte man eine Hausbank, die großes Vertrauen in den Wechselaussteller haben musste, ein Spiel für Hasardeure, denn das Einlösen der Wechsel musste immer genau an dem ausgestellten Tag passieren, ja sogar die Stunde stand darauf. Hatte man das Geld nicht, platzte der Wechsel und alles war im Eimer. Die Hausbank zog sich in der Regel zurück, man war nicht mehr kreditwürdig und eine neue Bank nach einem geplatzten Wechsel zu finden, war sozusagen unmöglich. Vorher konnte man noch prolongieren, aber alles war doch sehr riskant. Es hieß eigentlich immer alles oder nichts!
Mehr als einmal musste mein Großvater sein kleines Auto, eine Isetta, verpfänden und wieder auslösen, ein Auto übrigens, in das man einstieg, indem man die Motorhaube anhob. Ein witziges Gefährt war das. Wir Kinder haben es geliebt, weil es so klein war und fast wie ein Spielzeugauto aussah. Fritz blieb nicht viel anderes übrig, denn er hing in der Chose ja mit drin.
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