Robert und Paul waren alles andere als begeistert, dennoch halfen sie ihrer Schwester, ein Zimmer zu finden. Josi, wie sie sich jetzt nannte, fing in einer Nachtbar von zweifelhaftem Ruf an. Von ihren Brüdern ließ sie sich nichts sagen, verdiente gut, rauchte, soff alle unter den Tisch und wartete auf den Einen, eben einen aus den besseren Kreisen. Und ließ auch sonst nichts anbrennen. Aber sie konnte auch sparen, was niemand ahnte. Bald hatte sie ein kleines Sümmchen zusammen, im Strumpf unter der Matratze. Sie aß nicht viel, die Figur blieb atemberaubend, ihr Ausschnitt auch. Erst waren die Brüder empört, aber bald gewöhnten auch sie sich an das lockere Leben, denn Josi saß an der Quelle des Vergnügens und ließ die beiden daran teilhaben.
Berlin war in den Jahren ein Eldorado der Lebenslust, so zwischen zwei Kriegen.
Robert und Paul versuchten, ihr Studium der Volkswirtschaft an der Uni Berlin erfolgreich zu beenden. Dann brach der Zweite Weltkrieg aus. Ende der Vorstellung. Die Brüder wurden eingezogen, mit fast abgeschlossenem Studium, und auch bald zu Offizieren ernannt.
Robert wurde Versorgungsoffizier, sehr zum Vorteil von Familie und Freunden. Er war urplötzlich sehr beliebt, was ihm, dem verwahrlosten Kind, das er immer noch war und den Rest seines Lebens bleiben sollte, gefiel. Er war sich bewusst, dass Geld Macht bedeutete, und er maggelte, wo es nur ging, in ganz großem Stil, mit Alkohol und Zigaretten. Er hatte Geschäftssinn und Glück, ebenso bei den Frauen. Er war vierundzwanzig und ein hübscher Kerl, aber was er suchte, fand er nirgendwo, die Geborgenheit einer Familie.
Da trat meine Mutter auf den Plan, gut aussehend, zerbrechliche, zarte Figur, gute Familie. Ihr Vater hatte in der Uckermark in der Nähe von Berlin einen florierenden Getreidehandel aufgebaut. Einen Haken hatte die Sache aber, sie war verlobt mit einem Arzt.
Bekanntlich reizen ja die Kirschen in Nachbars Garten besonders und so warf unser Robert sich und seinen ganzen Charme ins Zeug. Eine echte Chance hatte meine Mutter nicht, ihm zu widerstehen, denn er war ein beredter, gut aussehender Typ, zumal alle Frauen damals auf Uniformen standen und dann noch die diversen Schulterabzeichen, was auch immer die bedeuteten. Ich habe keine Ahnung davon, die Mädels von gestern schon. Und dann der gute, rar organisierte Bohnenkaffee, der tat auch bei der Mutter meiner Mutter, bei Oma Frieda, sein Übriges. Nur Fritz, Oma Friedas angetrauter Ehemann, mein Opa Fritz, blieb vorsichtig. Er traute dem leichtsinnigen Rheinländer nicht. Rheinländer war jeder für ihn, der nicht in oder um Berlin geboren wurde. Es nützte ihm nicht viel, seine einzige Tochter war unsterblich verliebt in diesen Hallodri und Kriegsgewinnler. Sie ließ ihren Arzt sausen, der prompt an die Front verschwand und wie man hörte, hat er sich dort mit den Panzern angelegt.
Er kam nicht mehr zurück.
Robert war nicht unverliebt in seine kleine, zukünftige Frau, dennoch schienen ihm auch die vielen kleinen, goldenen Getreideperlchen in den Lagerhäusern zu gefallen.
Trotz Krieg wurde es eine große Hochzeit mit Riesenauto, so ein ganz langes schwarzes, für mich ein Doppelauto. Da passten vierzehn Mann rein, es war aber kein Bus, sondern ein richtiges, langes Auto, echt, ich habe das Foto noch. Oma Frieda mit Riesenhut und Feder, ganz elegant, das Autodach offen. Es war zusammenfaltbar, also ein übergroßes Cabriolet. Ein sensationelles Gefährt zur damaligen Zeit und heute wohl erst recht. Würde mir stehen, so ein Teil, glaube ich. Ich würd’s fahren.
Opa Fritz war der reichste Mann im Ort und der einzige weit und breit, der so ein Ding besaß. Sein ganzer Stolz, fast, sein Töchterchen ein bisschen mehr, sein Augapfel. Und der war nun weg, der verwöhnte Augapfel, so, so, so weit weg, wie eben eine Villa zwei Straßen weiter weg sein kann, ein Hochzeitsgeschenk von Opa Fritz.
Ich habe sie gesehen, die Villa, nach der Wende. Schön groß und schön grau wie alles in der ehemaligen DDR. Der Putz bröckelte ab, aber meine Vorstellungskraft genügte, um sie mir in vollem Glanze vorzustellen. Sie war leider nicht mehr mein, da sich Fritz und Frieda, wie man so sagte, bei Nacht und Nebel ab in den Westen machten, aber das später.
Zum Glück musste der ungeliebte Schwiegersohn wieder in den Krieg ziehen und das Töchterchen wohnte mehr bei Papa und Mama, denn Haushaltsführung und solche Dinge lagen ihr nicht. Sie war mehr fürs Schöne und Dekorative.
Anne hieß sie, meine Mutter, wäre mir fast entfallen, die Gute. Ich habe sie gehasst, solange ich denken kann. Sie war nicht gut zu mir. Mein Vater hat einmal gesagt:
»Du bist ein Kind der Liebe.» Schmeichelhaft, aber lässt man ein Kind der Liebe derart verkommen und macht es seelisch zum Krüppel? Nein, ich bin ein Kind der wilden Vögelei in Kriegszeiten, könnte ja das letzte Mal sein.
Ich hatte einen Bruder, sechs Jahre jünger. Er hat es nicht mehr ertragen, das Leben. Robert junior, lange »Bübchen« genannt, ein zartes, hübsches Kerlchen. Ich habe ihn sehr gern gehabt. Dennoch, er hat die seelischen Grausamkeiten nicht überlebt. Mit fünfzehn Jahren hat er sich erschossen, direkt ins Herz. Er war sofort tot. Robert junior war sehr gewissenhaft, hatte sich ein Buch besorgt, wie man sicher stirbt mit einem Schuss. Es lag neben seiner Leiche. Zwei Finger breit unter dem Herzen.
Dieses Thema kommt später noch einmal. In der Zwischenzeit ist noch sehr viel passiert, ehe es dazu kommen konnte.
Ich war also ein Kriegskind. Meinen Vater habe ich selten gesehen, nur im Fronturlaub. An eine Uniform kann ich mich erinnern und an runde, orangefarbene Bälle. Apfelsinen nannte mein Vater sie und schwenkte mich durch die Luft. Er schien durchaus angetan von dem, was er produziert hatte. Ich war ein niedliches, kleines, strohblondes Etwas.
Als ich zwei Jahre alt war, war der Krieg zu Ende. Vater kam von der Front zurück, unversehrt und recht guter Laune. Seine Nachschubversorgung der Soldaten an der Front hatte ihm ein nettes Sümmchen nebenher eingebracht. Dennoch, was tun? Opa Fritz und Robert versuchten, miteinander auszukommen, was hieß, Robert trat in das Meer der Getreidekörner ein, die jedoch jetzt von Staats wegen rationiert wurden. Die Russen hatten sich die Kornkammer des Ostens unter den Nagel gerissen. Jetzt hieß es Vorsicht. Man musste sich mit den Besatzern gut stellen, Diplomatie war gefragt. Robert hatte darin Übung, sich zu verstellen und die diversen Bärte in Honig zu tauchen. Fritz weniger. Es kam zu Auseinandersetzungen mit dem zugereisten Rheinländer und dem sturen Fritz aus der Uckermark.
An ein für mich erschreckendes Erlebnis kann ich mich noch gut erinnern. Ich spielte sehr gern bei den Lagerhäusern mit Steinen, Wasser und Getreide. Spielzeug hatte ich nicht viel und noch dazu war ich immer allein. Ich war ein einsames Kind und sollte es immer bleiben. Später empfand man mich als irgendwie anders als andere Kinder, definiert hat es keiner.
Geräusche störten plötzlich mein Spiel. Geschrei und Getöse, ein Fenster krachte und Opa Fritz flog im hohen Bogen durch das geschlossene Fenster aus dem Lagerhaus mitten in einen riesigen Getreidehaufen. Es war Erntezeit und er verschwand buchstäblich in dem Haufen, rappelte sich auf und kroch durch das Getreide auf seinen Schwiegersohn zu, was an sich schon mühselig und demütigend war. Robert stand seelenruhig mit verschränkten Armen am Rand des großen Haufens und ließ seinen Schwiegervater krabbeln. Fritz stürzte sich auf Robert und eine wilde Prügelei begann. Das Fazit war, Robert hatte eine blutige Lippe und Fritz einen gebrochenen Arm. Dieses Ereignis beendete den Kampf, jedoch nur für einige Zeit. Die ohnehin angeknackste, nicht vorhandene Zuneigung der beiden war endgültig im Eimer. Frieda und Anne waren verzweifelt. Wochenlang wurde kein Wort mehr gewechselt zwischen den beiden Männern und keiner wusste, worum es eigentlich ging.
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