Die größere Anziehungskraft übte auf Raphael allerdings der Dämon aus, der, wie die Leute munkelten, von Maria von Magdala Besitz ergriffen hatte. Er schien mächtiger zu sein als der Dämon von Sara — ein Dämon anderer Art. Er wirkte wie sieben Dämonen gleichzeitig. Raphael fühlte sich zwar ein klein wenig überfordert, gleichzeitig aber war er von ihm fasziniert und neugierig, ihn näher kennenzulernen.
Die Menschen waren sich uneins, ob der Dämon sieben Namen hatte oder sieben Dämonen Maria von Magdala in Besitz genommen hatten. Sie meinten aber, der Dämon wäre so mächtig, dass er ein böser Geist oder gar der Teufel in Person, also ich, sein musste. Dieser Meinung war auch Raphael, der auch sonst zur Leichtgläubigkeit neigt.
Raphael war sich darüber im Klaren, dass es nicht einfach werden würde, gegen diesen mächtigen Geist zu gewinnen. Er war aber der Überzeugung, dass er genau die gleiche Stärke aufbringen könnte wie dieser, denn auch die Erzengel sind sieben. Er hatte sogar seine Kollegen gebeten, ihm beizustehen. Aber diese wollten lieber in den himmlischen Stratosphären weilen und nur gelegentlich Stippvisiten auf Erden veranstalten. Raphael fand zunächst keine Macht über diesen siebennamigen oder siebenköpfigen Dämon, und die Fische, die er im See Genezareth gefischt und gebraten hatte, zeigten keine Wirkung gegen jenen.
Er wollte Maria von Magdala heilen, so wie einst Sara, denn das war ja seine eigentliche Mission als Erzengel Raphael. Deshalb kehrte er immer wieder zu ihr zurück, um die unbändige Kraft dieses Dämons besser kennenzulernen. Dass er zu diesem Zweck Maria von Magdala immer näher kam, ja kommen musste, auch das war sogar für einen Erzengel eine unbekannte, deshalb umso reizvollere Erfahrung.
Inzwischen kam er oft zu ihr, ja er war fast ihr ständiger Begleiter. Engel können sich, wie man weiß, unsichtbar machen, wenn sie wollen, und wieder erscheinen, wenn sie wieder Lust dazu haben. Und so war er — obwohl immer in ihrer Nähe — kein Hindernis für Männerbesuche. Außerdem war er diskret und verschwiegen“, stellte der Teufel fest.
„Parallel zu der Welt der Engel existiert eine dämonische Welt“, klärte der Teufel Maria Magdalena auf, „und Raphael kannte sie schon lange. Aber auch Engel sind weder allwissend noch allmächtig. Deshalb konnte er den Ausgang dieses Kampfes nicht ganz voraussehen. Der Dämon, der von Maria von Magdala Besitz genommen hatte, war vielleicht mächtiger als er selbst. Außerdem hatte sich Raphael für diese Auseinandersetzung noch keine Erlaubnis besorgt und keinen Befehl seines Chefs bekommen. Dieses Mal wollte er selbst die Initiative ergreifen und den Chef erst nach seinem Sieg gegen den Dämon informieren — ein gefährliches Spiel, denn Gott mag selbstständiges Handeln seiner Engel nicht gerne. Das kenne ich ja aus eigener Erfahrung.
Einmal kam ich nach einer langen Reise wieder zurück in die Gegend, wo Maria von Magdala weilte. Als ich von Maria von Magdala Besitz nahm, schüttelte ich sie so kräftig durch, dass auch Raphael ein wenig Angst bekam. ‚Wer bist du wirklich, der du mich in Besitz nimmst und so durchschüttelst, dass ich zittern muss?’, fragte mich Maria von Magdala. Diese Frage hatte ihr Raphael souffliert. Und sie stellte sie mir, wie von Raphael bestellt, auch wenn sie über mich längst Bescheid wusste und für mich nicht nur Neugier, sondern auch ernsthaftes Interesse spürte“, sagte der Teufel.
„Dein Freund Raphael ist sehr neugierig“, antwortete ich Maria von Magdala. „Verständlich! Wer an seiner Stelle wäre das nicht. Er versucht seit langem, mich bei dir auszubooten, aber bis jetzt hat er auf Granit gebissen. Trotz alledem versuche ich dir eine erste Antwort zu geben. Im Vertrauen sozusagen und mit der Bitte, Raphael nichts davon zu erzählen.
Ehrlich gesagt, wüsste ich selbst gern, wer ich tatsächlich bin. Interessanterweise wissen alle, die mich zu kennen meinen, besser über mich Bescheid als ich selbst. Sehr schmeichelhaft ist das, was sie von mir erzählen, wirklich nicht immer. Einige meinen wohl und wohlwollend, dass ich der erstgeborene Sohn Gottes bin. Das ist natürlich Honig für mein Herz. Und wie alle Söhne Gottes soll ich ein Engel sein. Soweit gar nicht schlecht. Dann fangen aber die Probleme an. Es soll gute und böse Engel geben. Man meint um Beispiel, dass Raphael ein guter Engel ist und ich nicht nur ein schlechter, sondern sogar ein böser sein soll.
Bin ich böse? Nicht nur Raphael mag dich, ich mag dich auch. Mir gefällt es — im Gegensatz zu diesem devoten und frommen Raphael — zu scherzen, Spaß zu haben und Jux und Tollerei halten mich am Leben.
Am liebsten malt man sich mich wie einen Teufel aus. Einige pinseln zwei Hörner auf meinem Kopf und am Hintern einen langen Schwanz hinzu, so dass ich wie die Missgeburt von einem gehörnten Affen aussehe.
Raphael und ich stehen hier stellvertretend für die zwei Scharen von guten Engeln auf der einen Seite und bösen auf der anderen. Die Menschen stellen sich vor, dass diese zwei Heere im Himmel einen Stellvertreterkrieg für vorderhand irdische Interessen führen und gleichzeitig versuchen, die Menschen auf Erden für die eine oder die andere Seite zu gewinnen.
Die Schar der guten Engel soll von sieben Erzengeln angeführt sein. Das sind Michael, Gabriel, Michael, Uriel, Raguel, Samiel und Remiel. Die Schar der bösen Engel soll auch von sieben Erzteufeln angeführt sein. Und so hat man mir sieben Namen verpasst: Luzifer, Mammon, Asmodai, Leviatan, Beelzebub, Satan, Belphegor. Alle sieben Namen stehen für eine Eigenschaft von mir und alle sind schlecht: Hochmut, Habgier, Wollust, Neid, Völlerei, Zorn und Faulheit. Ein sehr interessantes Wesen hatte von Maria von Magdala Besitz genommen“, sagte der Teufel zu Maria Magdalena, „die Schlechtigkeit in Person.“
„Man sagt, ich sei von sieben Dämonen besessen gewesen“, sprach nun Maria Magdalena Satan an.
„Ob du es damals warst, da bin ich mir nicht so sicher. Aber dieselbe Frage stellte mir damals Maria von Magdala. Die Menschen gaben mir viele Namen, weil sie eine beschränkte Wahrnehmung der Dinge haben. Sie sehen nur Teilaspekte und geben jeder Facette der Wirklichkeit einen Sondernamen. Nachdem ich mich mit dem beschäftigt habe, was die Menschen über mich erzählen, bin ich zu folgender Selbstüberzeugung gekommen: Ich bin einer und ungeteilt, der Herrscher dieser Welt. Wenigstens einer von den zwein, die die Welt zu beherrschen suchen. Ich sagte damals Maria von Magdala: Frag’ nur deinen Raphael. Er hat sich unsichtbar gemacht, weil er aus demselben Stoff ist wie ich. Aber ich sehe ihn gleichwohl. Er will es mit mir aufnehmen und dich für sich alleine haben, aber wenn ich zu dir zurückkomme, muss er doch Platz machen und weichen — nicht unbedingt in deinem Bett, an dem Platz können wir beide nicht viel; Männer, die so wenig können wie wir, nennt man impotent —, sondern in deinem Herzen.
Eine weitergehende Ansicht über mich ist folgende: Ich war auch ein Engel, ein Gottessohn am Hof Gottes. Luzifer war damals mein Name, weil ich Träger des Lichtes war. Viele Menschen spucken heute zur Seite, wenn Sie den Namen Luzifer hören oder nennen, dabei wissen sie nicht mal, was mein Name wirklich bedeutet. Ich trug das Licht vor Gott her, auf dass er im dunklen Himmel nicht stolpere. Denn nicht der ganze Himmel ist je hell erleuchtet gewesen, eine Hälfte befand sich seit Anbeginn in der Finsternis.
Behandelt hat mich Gott wie einen Straßenköter, er hat mich aus seinem Hof geworfen, nur weil ich auch ein wenig Macht haben wollte. Er beanspruchte die alleinige Herrschaft über die Welt, nun muss er seine Macht doch mit mir teilen. Ich darf zwar nicht mehr in die helle Hemisphäre des Universums gehen, wo er herrscht, aber ich halte ihn von der finsteren Hälfte fern. Seitdem trage ich kein Licht mehr vor ihm her. Ich weigere mich. Soll er stolpern und in ein dunkles Loch des Universums stürzen, wenn er versucht, in meine dunkle Hälfte einzudringen.
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