Sehr wohl wurde ein Ausstellungskatalog angefertigt und der Skandal beschrieben, aber an diesen Unsinn glaubte keiner. Niemand. Zu durchschaubar war die staatlich kuratierte Kunstszene. Mittlerweile wurden die Kuratoren weitaus berühmter als die Künstler. Durch die staatlichen Kuratoren wurden die Künstler und Künstlerinnen zu nützlichen Idioten zu Gunsten der Karrieren dieser Kuratoren und Kuratorinnen. Die Kuratoren waren sozial abgesichert und spielten ihre Spiele mit den Künstlern. Aber außer dem Staat und seinen Institutionen gab es keine Käufer mehr für den langweiligen inhaltlichen Schrott, welcher hier produziert wurde. Kein privater Sammler kaufte Kunst, welche staatlich kuratiert wurde. Man genierte sich dafür, und war eigentlich unter den geldigen Kunstsammlern nicht sehr angesehen, erstand man ein Werk eines Staatskünstlers. Auch auf den Blödsinn, Staatskunst als Wertanlage zu erwerben, fiel kaum jemand mehr herein.
Die meisten privaten Kunstsammler erdreisteten sich, Staatskunstwerke, Bilder und Skulpturen zu erwerben, welche ihnen nicht gefielen. Interessanterweise war es leichter, schöne Bilder weiter zu verkaufen, als den zu Tode kuratierten Staatsschwachsinn.
Kurt war die Staatskunstszene wurscht. „Ich habe beim Schleimer studiert, bei wem haben sie absolviert, mein Herr?“, fragte ihn so ein staatlich kuratierter Künstlerkollege, welcher sich mit dem Beschmieren von Stegplatten mit Bitumen und anderem Zeug beschäftigte. Mittlerweile hatte dieser staatlich kuratierte Kollege eine fixe Anstellung erfolgreich als Bademeister beim Magistrat von Sonnenstadt angenommen. „Ja, ich hab in Käsedorf beim Meister Steinhauer die Malerei gelernt“, entgegnete Kurt Müllermeier damals dem hochnäsigen, hochdekorierten, akademischen Ba-demeisterkünstler. „Ah, sehr interessant. Und welche Techniken hast du da hauptsächlich angewandt?“ „Weißt du, wir waren meist in Klausur. Wir haben vor allem mit Leim- und Dispersionsfarben gearbeitet. Hauptsächlich monochrome Werke, immer mit einer Farbe.“ „Ah so, wie der Ives Klein“ „Ja genau, so wie der. Nur mit mehr Weiß. Blau war fast nie welches dabei.“ „Echt, und das hast du vier Jahre gemacht.“ „Ja, so ungefähr vier Jahre lang hat meine Ausbildung gedauert.“ „Klingt sehr interessant.“ „Hab noch nie von dieser Universität gehört.“ „Ist auch ein Experiment gewesen. Sozusagen eine experimentelle Hochschule.“
Von Kurt Müllermeiers Käufern hat keinen seine Ausbildung interessiert. Den Kunden und Kundinnen haben die Bilder gefallen. Denen war es schnurzegal, was der Kurt Müllermeier für eine Ausbildung gehabt hat. Dass er in der Jugendstrafanstalt zum Maler und Anstreicher ausgebildet wurde, hat bisher außer diesen staatlich kuratierten Künstlerkollegen keinen interessiert. Kurt Müllermeier wurde als Autoditakt gehandelt. Self taught, wie die Engländer sagen. Ja, er hat sich das alles selbst beigebracht, unser Kurt Müllermeier. Angelesen, abgeschaut. In Museen gegangen. Sich inspirieren lassen, und aus Freude nachgemacht. Kurt Müllermeier war ein bunter Lichtblick in dieser faden eintönigen, von den staatlichen Kuratoren zur Bravheit dressierten Künstler- und Künstlerinnenwelt. Der Kunst ihre Freiheit, aber alles nur im gut und wissenschaftlich fundierten, einer eurasischen Norm untergeordneten Rahmen. Wichtig ist der Rahmen. Es war so: Alle geförderte Staatskunst durfte nur in einer kuratierten Eprouvette stattfinden.
Kurt Müllermeier war zu lange eingesperrt gewesen, als dass er als Kunstmaler Lust gehabt hätte, sich von jemandem, den er nicht wertschätzte, in ein kreatives Korsett sperren zu lassen. Kurt beschritt seinen eigenen Weg, und den mit großem Erfolg.
Seine internationalen Erfolge gaben ihm Recht. Was sollte er auf diese erbärmlichen Kunstkuratoren hören. „Ja. Das ist Kunst. Nein. Das ist keine Kunst.“ „Ich bin ein Künstler“, sagte er zu sich, „Und die Leute kaufen meine Kunst. Die können mich doch alle, diese Kunstschnösel und Möchtegernregulatoren. Wissen alles besser, und wollen den Menschen ihren eigenen Ge-schmack nehmen. Zum Glück lassen sich nicht alle Kunstsammler verblöden. Zum Glück haben doch noch genug Menschen den Mut zum eigenen Geschmack. Und dieser Blödsinn mit Staatskunst als Wertanlage, wer glaubt denn das noch? Wie soll etwas einen Wert haben, wenn es niemandem gefällt? Wer kauft Kunstwerke, welche einem nichts bedeuten? Wer kauft sich ein Stück Langeweile und warum?“, fragt sich Kurt. „Wenn es jemandem fad ist, so will er unter-halten werden, vom Künstler und von dessen Kunst.“
Kurt Müllermeier war nun nur mehr Künstler. Mit dem Dealen war es endgültig aus. Er war der international erfolgreiche und wertgeschätzte Künstler Kurt Müllermeier und niemand konnte ihm diese Position streitig machen, niemand. Wohlstand, Vermögen, dicke Autos, eine hübsche Freundin, ein großes mehrstöckiges Haus, ein riesiges Atelier. Die reichsten Menschen dieser Erde gingen bei ihm ein und aus, um seine Bilder zu erwerben; solange sie sich diese noch leisten konnten. Kurt Müllermeier machte ein Vermögen. Ein riesiges Vermögen. Er konnte es kaum fassen, wie einfach auf einmal alles funktionierte. Es ging immer nur aufwärts. Alles war wie ein toller Traum, aber es war die Wirklichkeit. Nie hätte er sich gedacht, dass man mit Gemälden in diesen Zeiten noch reich werden konnte. „Die Zeiten des Malens sind vorbei!“, schrieben die Kritiker in den Kulturzeitschriften. „Die Kunstwelt interessiert sich nicht mehr für das Tafelbild. Es gibt neue Ausdrucksmöglichkeiten“ konnte man lesen. Doch Kurt Müllermeier war das wurscht. Er las auf seinem Bankkonto andere Dinge. Er hörte weiterhin auf sich und nicht auf die Schlaumeier dieser Welt.
Es war der Tag, den er nie vergessen wird in seinem schönen süßen Leben. Es war ein Montag, ein sonniger frühsommerlicher Montag. Eigentlich ein gewöhnlicher Montag. Ein Montag, welcher wie jeder Montag mit von der Morgensonne bunt gefärbten Wolken grüßte. Ein Montag, der mit lautem Vogelgezwitscher den täglichen morgendlichen Verkehrslärm mit Erfolg übertönte. Kurt Müllermeier steckte noch bequem unter seiner Daunendecke in seinem Himmelbett. Neben ihm lag seine geliebte Freundin noch im Tiefschlaf. Bewundernd und verträumt freute er sich über das hübsche Antlitz seiner Geliebten. Er küsste ihr behutsam auf die Stirn. Sie öffnete ihre Augen. Sie lächelte ihn an. Doch das Lächeln verwandelte sich im Bruchteil einer Sekunde in Entsetzen.
„Verschwinden Sie aus meinem Bett“, schrie sie. „Verschwinden Sie. Was machen Sie hier? Sie Schwein. Sie haben hier nichts verloren. Raus, oder ich hole die Polizei. Raus.“ „Ich bin es doch, dein Freund Kurt“, versuchte Kurt zu erklären. „Spinnst du, ich kenne dich nicht. Kurt, komm schnell her, da liegt ein Fremder in unserem Bett. Hilf mir. Rauuuus aus meinem Bett.“ Angelika entwickelte in ihrer Angst und in ihrer Wut übermenschliche Kräfte. Kurt war überfordert. Nochmals versuchte er zu erklären, wer er sei, doch das half nichts. Seine wütende und tobende Ge-liebte raste. „Kurt, hilf mir. Wo bist du? Hilf mir.“ Doch kein Kurt weit und breit. Nur dieser fremde Nackte im Bett. Nun begann Angelika wie im Todeskampf auf Kurt mit ihren Fäusten einzudreschen. Kurt hatte keine andere Chance, als seinen neben dem Bett liegenden Seidenpyjama aufzuheben und im Laufen diesen anzuziehen. Angelika griff in das Nachtkästchen und schnappte sich die dort liegende Pistole. „Verschwinden Sie aus unserem Haus, Sie perverses Schwein“, rief sie hinter ihm her. Kurt rannte nun um sein Leben. Angelika war bereit, ihn abzuknallen. „Bleiben Sie stehen, oder ich erschieße Sie. Bleiben Sie stehen. Bis die Polizei kommt.“ Kurt schaffte es bis zur Haustüre. Er öffnete diese und sprang ins Freie. Er hörte zwei Schüsse, welche ihm gegolten hatten. Sie trafen zum Glück nur die Innenseite der geschlossenen Haustüre. Kurt rastete sich mehrere Atemzüge an der geschlossenen Haustüre aus. Nur sehr kurz. Er hörte die sich tobend nähernde, mit der Pistole fuchtelnde Angelika. Schnell rannte er zur großen Eiche bei der Toreinfahrt und versteckte sich hinter ihr. „Wo sind Sie? Stellen Sie sich. Ich kriege Sie. Was haben Sie mit meinem Mann gemacht? Wo ist mein Mann. Ich habe bereits die Polizei alarmiert.“ Kurt wusste, dass da etwas nicht stimmte. Er sah, dass sich seine Hände verändert hatten. Auch seine Stimme klang anders. Fremd. „Ich bin Kurt Müllermeier“, brüllte er so laut er konnte und schon schoss Angelika mit der Pistole in seine Richtung. Kurt erschrak. Das war nicht seine gewohnte Stimme, welche aus seinem Hals brüllte. Das war nicht seine Stimme. Leise sagte er zu sich flüsternd: „Ich bin Kurt Müllermeier.“ Doch seine Stimme hatte sich verändert. Er griff sich ins Gesicht. Seine Nase wirkte länger und sein Kinn war spitzer geworden. Seine schulterlangen Haare waren schwarz. „Ich bin doch blond.“ Sein Gesicht war breiter geworden über Nacht. „Wer bin ich?“
Читать дальше