So ungefähr einmal im Jahr wurde das Lokal durch-sucht. Wie gesagt, nicht um jemanden oder etwas zu finden, sondern um den Nachbarn und Politikern gefällig zu sein.
Die Drogenfahnder waren froh darüber, dass sich der gesamte Drogenhandel von Sonnenstadt im Gastraum dieser Imbissstube abspielte. So wussten die Drogenfahnder immer, dank ihrer Informanten, wo sich gerade welcher Dealer befindet und was er gerade treibt.
Früher wurden mehrmals im Jahr Dealer verhaftet. Diese Strategie stellte sich als äußerst problematisch heraus, da dadurch eine Lücke in der Versorgung der Bevölkerung mit Drogen entstand. Beträgt der Anteil an Konsumenten von illegalen Substanzen wie vorher erwähnt doch 5 % einer Gesamtpopulation, so kam es durch die Verhaftung zu vieler der Dealer zu Versor-gungsengpässen bei den Drogenkonsumenten.
Das größere Problem, welches durch die Verhaftungen entstanden war: Ein neuer noch unbekannter, unkalkulierbarer Dealer nahm die Stelle des verhafteten Drogenhändlers ein. Es dauerte oft mehrere Monate bis der nachfolgende Drogenhändler eine für die Polizei kalkulierbare Größe wurde. Daher war man von Drogenfahnderseite eigentlich sehr interessiert, so wenige als möglich in der Szene zu verhaften. Die Schlauen unter den Dealern hatten dies schnell bemerkt und stellten fest, wenn man nicht zu übermütig, zu gierig oder zu brutal war, ließen einen die Polizisten in Ruhe. Denn wenn sie nicht mussten, schritten die Polizisten nicht ein. So lebte Kurt Müllermeier sein Dealerleben.
Kurt Müllermeier war Künstler. Er war Kunstmaler. Machte sogar international Ausstellungen. In Brüssel und in Miami. Da viele seiner Kokserkunden Galeristen oder stinkreiche Kunstsammler und Kunsthändler waren, war es für ihn sehr einfach, seine Werke mit Hilfe dieser Leute zu verkaufen. Die Szene war in sich verflochten. Erfolgreiche Künstler koksten gemeinsam mit Kunsthändlern und Dealern. Oder bekifften sich gegenseitig bis zum Umfallen. Gemeinsamer Drogenkonsum verbindet. Früher wurde gemeinsam gesoffen. Heute wird gemeinsam gesoffen, gekokst und oder gekifft. Kurt Müllermeier interessierte sich aber immer mehr für die Kunst als für die Drogen.
Und so entglitt unser Kurt Müllermeier immer mehr dem Drogenmilieu und war immer seltener in seinem Stammkaffee anzutreffen. Die künstlerischen Erfolge ließen ihm keine Zeit mehr zum Dealen. Das Drogengeschäft brachte ihm auch immer weniger ein als der Verkauf seiner Kunstwerke. Er machte die Menschen nicht mehr von den Drogen abhängig, sondern die ehe-maligen Kunst- und Drogenkäufer wurden nach seinen Bildern süchtig. Gekifft, gekokst, geraucht und gesoffen wurde von den Kunsthändlern weiterhin, aber die Drogen gab es nun woanders zu kaufen. Unser Kurt Müllermeier verkaufte ab nun nur mehr seine selbstgeschaffenen Kunstwerke. Sein Stil wurde von der Kritik als radikal naiv oder Schlampodesign bezeichnet. Er bezeichnete seine malerische Kunstrichtung als konstuktiven Optimismus.
Er selbst wusste gar nicht, worauf sein großer Erfolg zurückzuführen sei. Kurt Müllermeier malte einfach drauf los. Seine Bilder wurden vor allem wegen ihrer Buntheit geliebt. Kurt Müllermeier war ein Freund der Farben, der Buntheit. Er kümmerte sich nicht um die Farbenlehre. Er tauchte den Pinsel einfach ein und probierte so lange auf der Leinwand herum, bis es für ihn passte. Ihm war es auch ziemlich wurscht, was die Leute über seine Kunst redeten. Er hatte sehr viele Fans und er hatte auch sehr viele Neider. Ihm machte es großen Spaß zu malen.
Mit seinem Freund, dem obersten Drogenfahnder der Stadt, traf er sich kaum mehr. Hatten doch beide nun unterschiedliche Interessen. Kurt Müllermeier gehörte nun zur besseren Gesellschaft, zur High Society der Stadt. Er wurde zu Empfängen und Festen eingeladen. Er trank die besten Weine, verkehrte in den nobelsten Lokalen und flog in der Weltgeschichte herum. Alles lief locker, ohne Stress, ohne Aufregung und ohne Angst, von der Polizei verhaftet zu werden.
Hatte er es damals auch geschafft, nie mehr verhaftet zu werden, war das Leben als Drogendealer doch immer stressig,. Mit der Zeit war es ihm als Künstler sogar gelungen, keine illegalen Drogen mehr zu konsumieren. Kurt Müllermeier trank nur mehr, wenn überhaupt, guten Wein. Er wurde, so wie der gute Wein, reifer und älter. Das, was er seinem Körper in der Zeit als Drogenkonsument und -händler angetan hatte, spürte er nachträglich. Also entschloss sich Kurt Müllermeier, monogam zu werden, sich gesund zu ernähren und recht früh schlafen zu gehen.
Es war für Kurt Müllermeier etwas ungewohnt, je-den Tag mit der gleichen Frau aufzuwachen. Aber er stellte fest, dass man sich vertrauter wurde, wenn man jeden Tag mit seiner Lebensgefährtin wach wurde. In früheren Zeiten war er oft so bekokst, dass er versehentlich und des Öfteren in fremden Betten und oft mit mehreren unbekannten Damen oder Herren gemeinsam aufwachte. Ihn wunderten oft der Zorn und auch die Wutausbrüche seiner damaligen Freundin. Da ihm nach seinen Drogenräuschen und Alkoholexzessen jegliche Erinnerung an alles Geschehene fehlte, hatte er auch nie ein schlechtes Gewissen wegen seines Treibens. Für ihn war alles lustig. Kohle hatte er ohne Ende. Er hatte immer die besten Drogen eingesteckt. Wegen seiner künstlerischen Tätigkeit hatte er immer weniger Zeit für die Partys und Drogenhappenings. Hatte er doch einige großformatige Auftragsarbeiten zu bewältigen. Malen ist eine körperlich anstrengende Tätigkeit. Kurt Müllermeier musste termingerecht liefern. War er betrunken, bekifft, oder verkokst, verloren seine Bilder an Schärfe und an Ausdruckskraft. Der klare Gedanke, welcher ihm seinen Pinsel führte, ging verlo-ren. Seine eigenen von ihm geschaffenen Kunstwerke brachten ihm das Glücksempfinden, welches er sich vorher nur mit Saufen und Drogenkonsum verschaffte. Die Kunst, das Schaffen von neuen optischen Perspektiven, hatte den Drogen den Platz genommen. Nach jedem geschaffenen Kunstwerk erlebte Kurt Müllermeier ein Glücksgefühl, wie er es vorher nicht kannte. Er war stolz auf seine Arbeit. Er kämpfte um das Ergebnis auf der Leinwand. Sein Gegner war nicht mehr die Polizei, die Drogenfahndung oder die anderen Dealer. Sein Gegner war das Weiß. Das Weiß war sein Feind. Nein, nicht die weiße Farbe, nicht das Titanweiß. Nein, die unbemalte Leinwand war sein Gegner. Das autistische Weiß, welches die gesamte Leinwand beherrschte und erst durch bewusst aufgetragene Farbe besiegt werden konnte. Dieses Weiß war nun sein Gegner. Ein harter Gegner. Die Leere der Leinwand war ein Gegner, welcher keinen Widerstand leistete, welcher nie widersprach und doch forderte.
Mit der Zeit stellte Kurt Müllermeier fest, dass gar nicht die Leinwand sein Gegner war, sondern dass er selbst in sich seine Grenzen fand, dass er selbst die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit feststellte. Wie viel Fläche der gesamten Leinwand konnte er an einem Tag gestalten, um für sich selbst noch interessant zu bleiben?
Was macht ein gutes Bild aus? Je mehr er arbeitete, umso mehr Fragen stellte er sich. Was macht ein gutes Bild aus? Was? Es gab keine Vorschriften, es gab keine Regeln. Kurt Müllermeier bestimmte die Regeln. Der Künstler bestimmt die Regeln in der Kunst und sonst niemand. Auf den Käufer darf man nicht hören. Entweder er kauft sich ein Stück Kunstgeschichte oder er soll sich zum Teufel scheren. Kurt pfiff den Museumskuratoren den Marsch. Er verachtete die Künstler, welche sich diesen Typen unterordneten.
Alles was getan wurde, war behördlich abgesichert. Jeder Schritt in unbekanntes Terrain bestens behördlich abgesichert. Jeder Skandal wurde vermieden. Wenn schon, dann so gezielt und geplant inszeniert, dass wegen Fadesse nicht einmal die Medienvertreter antanzten. Skandale, über welche sich niemand aufregen konnte, waren das Ergebnis dieser herunterkuratierten Schwachsinnigkeiten. Ein Skandal, von dem niemand etwas erfuhr. Ein Skandal, welcher keinen aufregte.
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