Lise Gast
Mädchenroman
Saga
Guten Morgen, Petra
© 1968 Lise Gast
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711509500
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
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Es schneite, schneite. Es schneite, wie es seit Jahrzehnten nicht geschneit hatte, so jedenfalls behauptete Frieder. Aber er studierte Zeitungswissenschaften und wollte Journalist werden, und da gehört Übertreiben zum Handwerk. Petra sagte das, als sie, von ihm gezerrt und gezogen, vor die Tür trat. Immerhin – man maß sicher vierzig Zentimeter, die in den letzten Stunden dazu gekommen waren, und das war für die kleine Universitätsstadt, die doch nicht gerade exponiert lag, allerhand und bestimmt eine Seltenheit.
„Kein Auto kommt mehr durch!“ juchzte Frieder, der sich nichts so heiß wünschte wie ein Auto und alle Autobesitzer mit scheelem Neidesblick betrachtete, „alle müssen laufen! Laufen ist so gesund! Hahaha!“
„Und du? Du lauf nur auch!“ sagte seine liebe „große“ Schwester und lachte ebenfalls schadenfroh. Frieder zeigte ihr einen Vogel.
„Ich? Ich bleibe daheim! Man kann daheim so gut büffeln ...“
Petra sah ihn an und seufzte. Büffeln – Frieder! Aber eines Tages würde vielleicht auch er es lernen. Jeder wurde wohl zu einer bestimmten Zeit vernünftig und sah ein, daß es ohne Arbeit nicht geht, einer früher, der andere später. Wenn sie dagegen an Pytt dachte, wie die arbeitete!
Pytt war von jeher fleißig und ehrgeizig gewesen. Petra sah auch dies ein wenig mit Sorge. Ach ja, sie war wahrhaftig schon ganz in die Rolle der Mutter gerutscht, sie, Petra, daß sie sich um alles und jedes Sorge machte, was die jüngeren Geschwister betraf! Daß sie zu viel oder zu wenig arbeiteten, aßen, lachten oder seufzten ...
Petra sprang mit einem plötzlichen Satz aus der Haustür, raffte Schnee zusammen und pfefferte ihn dem jüngeren Bruder ins Gesicht. Der, nicht faul, bückte sich auch, und im nächsten Augenblick war eine richtige Schneeballschlacht im Gange. Klatsch, patsch, ging es hin und her, keiner wußte, wieviel der andere abkriegte, bis sie schließlich aufatmend sich beide zugleich aufrichteten und auspusteten.
„Schluß jetzt, ich hab’ genug“, keuchte Petra und schüttelte Schnee aus dem Nacken, während sie tiefgebeugt dastand und mit den Händen die Haare ausstäubte, und Frieder grub Schnee aus den Ärmeln.
„Du bist ganz hübsch brutal mit Treffern!“ sagte er dabei, und Petra lachte.
„Danke, gleichfalls. Hast du heute abend was vor? Ich meine nur.“
„Weggehen hat wirklich keinen Zweck“, sagte Frieder, „ich müßte ja zu Fuß los. Also. Aber – du, da fällt mir ein, Marcell kommt heute abend. Er bringt Dias aus Griechenland mit.“
„Ach, neue? Wunderbar. Die würde ich auch gern sehen.“
„Kannst du doch, klar. Und alle, die noch hier sind. Hast du eine Ahnung, wer?“
„Ach, so ziemlich die ganze Belegschaft, nehme ich an. Wer treibt sich bei diesem Wetter außerhalb des Hauses herum, wenn er nicht muß. – Soll ich einen Punsch machen?“
„Punsch!“ Frieder zog ein Gesicht wie eine Katze, der man auf die Nase pustet. „Punsch ist was für kleine Kinder oder alte Tanten. Männer trinken Bier.“
„Bei der Kälte?“ Petra schüttelte sich. Sie hatte das nie verstehen können. Aber so waren junge Männer nun einmal. „Übrigens: geh nicht in dein Zimmer. Dort schläft Hartwig, seit heute früh. Er hat die Nacht durch gebüffelt und kam ganz taumelig an, da hab’ ich ihn dort abgestellt. Dein Zimmer ist ja am wenigsten lautempfindlich. Laß ihn bitte schlafen! Du kannst in der Küche essen. Pytt kommt später oder erst abends, da können wir zwei es uns dort gemütlich machen. Im Wohnzimmer sitzt nämlich Helmut Wörner und paukt, und du weißt ja, daß der laut lernt, sonst bekommt er nichts in den Kopf.“
„Danke.“ Frieder war noch immer damit beschäftigt, sich den Schnee abzuklopfen. „Also Hartwig liegt in meinem Bett. Hoffentlich träumt er was Schönes.“ Er trat in die Küche und schloß die Tür hinter sich. Es roch herrlich und kräftig nach Mittagessen, und Frieder betrachtete interessiert, was ihm seine Schwester soeben auf den Teller schöpfte. Ein ordentlicher Eintopf – nichts dagegen zu sagen.
„Und im Wohnzimmer memoriert Helmut. Darf ich wenigstens die Zeitung haben?“
„Beim Essen nicht. Politik verdirbt den Appetit“, sagte Petra und überhörte gutmütig seinen spitzen Ton. „Außerdem habe ich sie Wörner gegeben, er muß sie wenigstens überflogen haben. Beim Referendar wird viel Allgemeinwissen verlangt. Er macht sich Notizen.“
„Hm.“ Es schmeckte wunderbar, und ein gutes warmes Essen an einem kalten Tag macht nachgiebig. Frieder König, dem Gymnasialalter erst seit kurzem entwachsen, befand sich noch ein bißchen in dem Stadium, da man sich drei große Teller nahrhafter Suppe einverleiben kann und danach interessiert fragt, was es denn als Hauptgericht und Nachtisch gäbe. So verfolgte er das Thema „eigenes Zimmer“ und „Zeitung“ eigentlich mehr aus Lust an geschwisterlicher Plänkelei als im Ernst.
„Jaja. Sicher wird er über die Bundesliga ausgefragt, und wehe, wenn er da nicht Bescheid weiß. Ich kann die Sportnachrichten ja auch noch nächste Woche lesen.“
„Du bekommst deine Zeitung schon noch.“ Petra schob dem Bruder eine gehäufte Portion Hefeklöße zu.
„Da, nimm Vanillesoße drüber, dann sind sie nicht so heiß. Magst du doch lieber als Pflaumenmus? Abends ist er bestimmt mit der Zeitung fertig.“
„Du siehst mich in heller Vorfreude.“ Frieder blies über die Klöße hin und lächelte, und man wußte nicht: Fand er die Aussicht auf die Zeitung so erfreulich oder das Gebirge auf seinem Teller.
„Behält Hartwig sein Zimmer über das Sommersemester, oder habt ihr darüber noch nicht gesprochen?“
„Doch, natürlich bleibt er.“
„Und zahlt er auch in den Ferien?“
„Er zahlt, ganz bestimmt, er zahlt, sobald er kann“, sagte Petra und wirtschaftete am Herd, ohne sich umzudrehen. „Bisher hat er es immer gezahlt.“
„Fragt sich höchstens, wann“, murmelte Frieder kauend. Petra überhörte es oder tat so. Sie hatte in den letzten Jahren viel Ähnliches überhören müssen.
Natürlich hatte Frieder recht. Die wenigsten Studenten zahlen pünktlich, und die Mieteinnahmen waren eigentlich das, wovon man lebte. Die Eltern, vor mehr als fünf Jahren kurz hintereinander gestorben, hatten den Geschwistern nichts hinterlassen als dieses Haus am Rande der kleinen Universitätsstadt. Was lag näher, als die Zimmer an Studenten zu vermieten? ‚Buden‘ wurden gesucht und gut bezahlt – wenn sie bezahlt wurden. Petra, die derzeit älteste zu Hause, war, ohne es zu wollen oder zu merken, in die Rolle von Vater und Mutter hineingewachsen; sie sorgte für die Geschwister und die Studenten, rechnete ab oder stundete, je nachdem, und hatte bisher noch immer das Lebensschifflein der „Königskinder“ mit Erfolg gesteuert. Freilich, manchmal meuterten die Jüngeren, Frieder, der Student der Zeitungswissenschaft, und Pytt, die vorigen Herbst das Abitur gemacht hatte. Sie fanden, daß Petra viel zu weich und nachgiebig wäre, hätten es aber an ihrer Stelle auch nicht anders gemacht. Man fühlte mit den andern Studenten, erlebte ja die gleichen Nöte und Ängste und war stets knapp bei Kasse. „Nun brumm nicht, er hat es schwer genug, du weißt ja, wie krank er war“, sagte Petra und versuchte damit zu entschuldigen und zu erklären, warum sie wieder einmal schwach geworden war und ihren Untermietern mehr erlaubt hatte, als recht und billig schien. „Ich dachte, du kämst heute auch erst zu Mittag und müßtest wieder fort. Außerdem, stell dir bitte vor, du wohntest auf einer Bude und hättest nichts mehr zu heizen. Da wärst du bestimmt auch froh, wenn dich jemand ins warme Wohnzimmer nähme.“
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