Lise Gast
Eine Liebesgeschichte
Saga
Ritt in den Morgen
German
© 1965 Lise Gast
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711509999
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.
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Es kann geschehen: da schlägt einem etwas
quer, man hat Pech, sträubt und sperrt
sich dagegen – und wendet es doch nicht
ab. Plötzlich aber sieht man, daß
gerade diese Fehlschläge Freude
oder gar großes Glück mit sich
bringen, dem man sonst nicht begegnet wäre.
So auch hier. Die junge Goldschmiedin
Kari opfert – keineswegs begeistert – ihren
Urlaub, um ihre Mutter zu vertreten.
Diese hat einen Pferdeverleih und leitet
tageweite Ponyritte mit auswärtigen
Gästen; ein Sturz vom Pferd aber hat sie
für einige Zeit aktionsunfähig gemacht.
Über Karis anfänglichen Unmut siegt
bald ihr heiteres Naturell; der lange
und weite Ritt durch die sommerliche
Rheinpfalz und die Verantwortung
für die ihr anvertraute Kolonne
fordern ihre ganze Kraft. Es gibt
mancherlei Pannen und Nöte, doch stellen
sich auch Helfer ein, und unversehens
nimmt Karis Leben eine Wendung, die sie
selbst am meisten verwundert.
Humorvoll und mit der ihr eigenen
Frische schildert Lise Gast das bunte
Häuflein der Reitbeflissenen, Arten
und Unarten von Mensch und Pferd und
den überraschenden Ablauf der Ereignisse.
Über allem liegt der Glanz der sonnenwarmen
Landschaft, der Duft nach Pferden und
Lederzeug und der Atem erwartungsvoller
junger Menschen.
Petras anruf kam mir sehr, wirklich sehr ungelegen. Nach Hause! Unsere Mutter vertreten! Wieso eigentlich immer ich?
»Du könntest das viel besser«, sagte ich, »erstens bist du älter und zweitens als Lehrerin daran gewöhnt, Anweisungen zu geben und auf Ordnung zu halten. Ja, ich weiß, Erwachsene sind manchmal schwerer zu behandeln als Kinder, aber du hast eine so überlegene Art.« Ich hoffte, Petras Seele mit diesem Kompliment zu fangen. Sie ist fünf Jahre älter als ich und hat unsere ganze Kinder- und Jugendzeit von ihrem Erstgeburtsrecht Gebrauch gemacht.
»Überlegen? Findest du mich etwa eingebildet?« Petras Stimme klang empört. Freilich, es war wohl noch nie passiert, daß ich versuchte, etwas Unangenehmes, das auf uns beide zukam, ihr zuzuschieben.
»Nein, nein. Ich meine natürlich ja, ja«, stammelte ich. »Überlegen ist doch etwas Gutes. Ich wünschte, ich wäre es!«
»Das, was du meinst, kann man auch mit einundzwanzig sein, Kari. Und ist man es nicht, dann wird es höchste Zeit, es zu lernen. Du fährst also. Ich kann beruflich nicht weg, und selbst wenn eine Vertretung da wäre: ich habe eine Verabredung.«
»Ich auch«, hakte ich ein. Wie gut, daß sie mir das Stichwort gab!
»Die sagst du ab«, bestimmte Petra, »oder ist es das Lebensglück, um das es sich handelt? Sag die Wahrheit!«
»Es ist – es ist ... Ich finde es unzart, mich am Telefon sowas zu fragen«, stotterte ich, und es kam so kläglich heraus, daß ich genau fühlte: Nun ist die letzte Chance dahin.
»Hundert Prozent?« fragte Petra streng.
Ich kann mir denken, daß die Kinder, wenn Petra in diesem Ton fragt, sofort alles zugeben, was sie ausgefressen haben – und noch etwas dazu. Petra ist die geborene Lehrerin.
»Neunzig«, sagte ich kleinlaut. Das stimmte nicht. Es waren einmal neunzig gewesen, fast hundert, jetzt aber höchstens noch zwanzig. Immerhin war ich entschlossen: wenn ich schon nachgab, dann wenigstens mit der Gloriole eines großen Opfers ums Haupt.
»Na schön. Bei einem so geringen Prozentsatz lohnt es doch nicht. Du fährst also. In deinem Beruf geht das ja, jetzt, im Sommer. Sei froh, daß du einen so einsichtsvollen Chef hast. Und grüß Mami, sie wird mir dankbar sein, daß ich es so geordnet habe. Leb wohl, sonst kostet es zuviel.« Eingehängt, Schluß.
Da stand ich also. ›In deinem Beruf‹ und ›Sie wird mir dankbar sein!‹ Ich schluckte. So ist es immer. Meinen Beruf nimmt niemand ernst. Und meine Verabredung? Ich war wütend. Doch als ich eine Weile innerlich gewütet hatte, dachte ich an Mami und schämte mich meines Zorns.
Unsere Mutter – das muß ich deutlich betonen – ist anders als andere Mütter, aber wirklich reizend. Sie hat einen ganz kleinen Tick, und nahezu alle Leute, die in unser Haus kommen, haben einen. Mutter behauptet, mit völlig Normalen könne man ohnehin nicht auskommen. Deshalb vielleicht ist Petra Lehrerin geworden, damit sie einen richtigen, ernstzunehmenden Beruf hat. Bei mir reichte es leider nicht zu so etwas Hohem, nur zur Goldschmiedin. Ich bin sowieso nur die dumme kleine Kari, und wenn man das einundzwanzig Jahre lang war, bleibt man es auch, sogar vor sich selbst.
Unser Vater ist schon so lange tot, daß ich mich kaum mehr an ihn erinnere. Mutter hat uns allein aufgezogen, auf eine sehr tapfere und gleichzeitig lustige Weise. Sie hatte nämlich nichts gelernt, als ein Gut zu führen, und das Gut von Großvater gehört uns nicht mehr, nur noch das Haus und einige Morgen Weideland. Da hat Mutter kurz entschlossen zehn kleine Reitpferde gekauft, Islandponys, und einen Verleihstall aufgemacht. Sehr bald kamen viele Leute, um bei uns zu reiten, entweder stunden- oder tageweise oder auch ein paarmal im Jahr auf größeren Touren. Mutter vermehrte den Pferdebestand, pachtete Land hinzu und konnte sogar ein Gästehaus bauen, das aber noch nicht abbezahlt ist. Unversehens wuchs ihr das Ganze ein wenig über den Kopf, vor allem seit wir Töchter nicht mehr daheim sind. Wir haben überall geholfen und sind eingesprungen, wenn es nötig war. Nun ist Mutter vor einem dieser großen Ritte von Tigul gestürzt und nicht voll aktionsfähig. Das ist natürlich ein Hieb des Schicksals, auch für mich.
Ich bin an solche Hiebe gewöhnt. Zum Examen beispielsweise wurde der netteste Herr der Prüfungskommission krank, und der, der ihn vertrat, schüchterte mich so ein, daß ich im Mündlichen restlos versagte. Und was für Pech hatte ich oft in der Schule! Ach, und in der Liebe erst! Wenn ich mich ernstlich verliebe, liebt derjenige bestimmt eine andere, die entsetzlich klug ist und keine Stubsnase hat wie ich oder ganz, ganz dünn ist – das bin ich trotz aller Hungerei auch nicht –, oder er muß in eine andere Stadt ziehen oder geht ins Ausland, oder er ist verheiratet. Im Grunde hab ich nichts mehr zu hoffen; wer in meinem Alter noch nicht weiß, zu wem er gehört, der heiratet sicher nicht mehr. Daß ich immer noch nicht ganz aufgegeben habe, liegt an meinem angeborenen Optimismus. Er flüstert mir etwa zu, daß man, wenn man ins Theater will und alle Karten ausverkauft sind, an der Kasse vielleicht noch eine zurückgegebene bekommt. Freilich, ein zurückgegebener Mann ...? Dann bleibe ich wahrhaftig lieber im Beruf.
Dieser Art waren meine Gedanken, als ich mein Köfferchen packte und die Bahn bestieg. Nicht einmal bei den Reisekosten hatte mir Petra ›halbehalbe‹ angeboten. Die ganze Welt erschien mir düster und ich mir selbst bemitleidenswert.
Ich fuhr also. Aber ich bin leider so geartet, daß sich schlechte Laune und Traurigkeit bei mir nicht sehr lange hält, bin also, fürchte ich, ein etwas leichtfertiger Charakter, ohne großen Tiefgang, wie mir immer wieder versichert wird.
Ich kann nichts dafür.
Als ich in Mannheim ausstieg, hörte ich jemanden den Finnländischen Reitermarsch pfeifen und merkte erstaunt, daß ich es war – und als wir mit der Fähre über den Rhein setzten, war ich so selig, heimzukommen, daß ich am liebsten vorangeschwommen wäre. Und dann die letzte Strecke zu Fuß! Ich bin diesen Weg, glaube ich, kaum einmal langsam gegangen; abends heimbegleitet hat mich nie jemand, den Mannheimern war das immer zu weit. Und ich rannte auch diesmal, immer schneller. Hindurch durch die Vorstadt, ein Stück Landstraße – da sieht man schon unser Haus. Ich lief und lief, das Köfferchen schlenkerte mir um die Beine. Da: Rudolfshof! Drei Stufen, die Haustür. Erst stolperte ich über Anna, die, klein, grau und alt, nur einen Quiekser ausstoßen konnte, nachdem sie mich erkannt hatte, und hinein ins Wohnzimmer.
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