Lise Gast
Saga
Ponyglück bei Lise Gast
© 1981 Lise Gast
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711509883
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.
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Ein Vorwort liest niemand gern; wir auch nicht. Höchstens am Schluß. Wenn man das Buch mehr oder weniger befriedigt zuklappt, erinnert man sich: Da war doch vorn noch etwas, das ich überschlagen habe. Mal sehen ...
Trotzdem schreiben wir eins, wenn auch nur ein ganz, ganz kurzes. Also »Wir«, das ist unsere Familie, Mutter mit acht Kindern, die nun schon nicht mehr ganz klein sind, sondern zum Teil schon studieren oder gar im Beruf stehen, mit einem Bein aber immer noch im Ponyhof, wo Mutter mit den Jüngsten und ihren Ponys haust. Die Ponys, ja, die muß ich einzeln vorstellen: Eyglo und Gloa, unsere Islandstuten, einsdreiunddreißig hoch, daß also auch ein Erwachsener darauf reiten kann, eine kastanienbraun mit winzigem Stern auf der Stirn, eine hellgolden mit dunklem Aalstrich den Rücken entlang. Beide sind sehr schön, wahre Reklamepferde, man schickte sie mit den allerersten Transporten aus Island, damit wir Deutschen Appetit auf Islandponys bekämen. So geschah es auch.
Und dann die kleineren, die Shetties, ungefähr einen Meter groß: Appelschnut, genannt Schnute, schwarz, Winnetou weiß. Er ist unser stolzer Herdenhengst und hat eine einseitige Mähne, die bis zur Erde geht. Dazu kauften wir Nikolette, als Blacky, unser allererstes Pferdchen, in den Ponyhimmel einging, und zogen deren letzte Tochter Aki auf, so daß Winnetou nun drei kleine und zwei größere Damen um sich versammelt hält. Sechs Ponys also, und im Sommer noch mehr, denn da gibt es Fohlen. Davon aber erzählen wir ein andermal, jetzt ist nur wichtig, daß der Leser sich erst einmal zurechtfindet. Eine ponynärrische Familie von Mutter und acht Kindern – die Namen lernt man im Laufe des Buches kennen – und dieser Stamm von sechs Ponys. Einverstanden?
»Wir«, das heißt irgendwelche von uns. Da wir alles gemeinsam erleben, gibt es keinen besonderen Erzähler.
Lise Gast
Der Ponyhof, unser Zuhause, liegt mitten im grünen Herzen Württembergs. Seine zweibeinigen Bewohner stammen aus Schlesien, die vierbeinigen, also die Hauptpersonen, die Ponys, aus Island und von den Shetlandinseln. Der Ponyhof ist kein großes Gestüt, sondern ein ganz, ganz kleines, viel kleiner, als bei uns in Schlesien ein »Hof« war. Aber das paßt sehr gut, die Ponys sind ja auch klein. Groß ist bei uns nur eins: die Geschwisterschar. Wir sind drei Brüder und fünf Schwestern, und da wir viel Besuch bekommen und immer Freunde und Freundinnen mitbringen dürfen, sind wir meist noch viel mehr.
Besonders im Sommer. Da kommen von allen Seiten und aus allen Ländern Gäste, manche für kurz, manche für länger, und beinah jeder sagt: »Ach, haben Sie es aber schön hier! Und so einsam ...«
Unser Häuschen liegt in einem Nebental der Rems, und man sieht ringsum nichts als Wiesen und Wald, »... nur müßte nicht so viel Besuch kommen«. Denn meistens trifft ja eine Familie, eine Schulklasse, eine Verwandteninvasion auf die andere.
Aber wir haben gern Besuch. In einer Etagenwohnung in der Großstadt, wo man rechts und links und drunter und drüber Nachbarn hat, kann man viel einsamer sein. Da kommt einen niemand besuchen. Außerdem hat man dort keine Ponys. Mit Ponys ist man nie einsam.
Im Ponyhof sind alle Jahreszeiten schön. Der Frühling, wenn die Abende sich dehnen, der Himmel messinggelb und die Luft, die am Tage schmeichelnd weich war, wieder herb wird und einem die Hände klamm macht, wenn man endlich, endlich wieder Zäune repariert, Mist auflädt und den Ponywagen einspannt, um noch ein Stück in den Wald zu fahren. Oder der Herbst. Da reiten wir morgens, in silberner Frühe, und der Wald ist jeden Tag anders gefärbt. Dann klecksen Hagebutten und Ebereschen ihr Siegellackrot gegen den funkelnd blauen Himmel, und es gibt Pilze und Schlehen, und wir zünden auf der Koppel Kartoffelfeuer an, zu dem die Ponys herankommen und die Nasen in die Glut stecken wollen. Und wir machen den Stall noch einmal richtig sauber vor dem Winter, stapeln Heu und fahren Stroh in die Ecke der Wiese unter die großen Bäume, dorthin, wo im Winter die Ponys schlafen. Denn unsere kleinen Pferdchen sind Tag und Nacht, Winter und Sommer draußen, nur vor der größten Hitze müssen sie sich im Stall schützen können. Deshalb lieben wir den heißen Sommer eigentlich am wenigsten. Bremsen und Schnaken setzen ihnen so zu, daß wir mitunter ganz verzagt sind: Was hat man eigentlich von seinen Rössern, wenn sie den ganzen Tag im Stall stehen müssen und nur nachts auf die Waldwiese dürfen? Nachts können wir nicht reiten.
Aber der Winter! Der entschädigt uns für alles.
Eigentlich ist der Winter die schönste Jahreszeit im Ponyhof, und das ist ganz natürlich, denn da ist Weihnachten. Weihnachten ist der Höhepunkt des Jahres.
Mutter denkt das ganze Jahr über an Weihnachten. Immer, wenn sie im Juni den großen Kalender umdreht, sagt sie: »Jetzt kommt das schönste halbe Jahr, jetzt sind es nur noch fünf Monate.«
Denn die Adventszeit beginnt bei uns schon eher als anderswo, nämlich am 11. November. Da hat unser Jüngster, Ben, Geburtstag, und das war schon immer ein großer Feiertag, als wir noch in Westfalen wohnten. Dort wird der Martinstag mit einem Laternenzug gefeiert, und die Kinder singen das Martinslied: »Sankt Martin, Sankt Martin, Sankt Martin ritt durch Schnee und Wind ...«, die Geschichte von dem Reiter, der einem armen, frierenden Mann im Schnee seinen halben Mantel gab. Vor dem Laternenzug ritt ein größerer Junge, als Sankt Martin verkleidet, einmal war es Uli, unser Zweitjüngster, und er saß auf einem unserer Ponys.
Am Martinstag fällt der erste Schnee, denn Sankt Martin kommt auf einem Schimmel geritten. Ach, unser Ponyhof im Schnee! Nie ist er so winzig, so lustig bunt – wir haben das Haus schokoladenbraun gestrichen mit grünen Fensterläden und bunten Blumenkästen, in denen Tannengrün steckt –, so warm und heimlich wie im Schnee. Und die Ponys sind auch froh, wenn der Boden fest und nicht mehr schlammig ist, wenn der Schnee früh wie ein dickes Federkissen auf ihrem Rücken liegt – ihr Fell ist so dick, daß kein bißchen Nässe oder Kälte bis zur Haut vordringt –, wenn sie unterm Reiter oder vor dem Rodelschlitten durch den Wald toben dürfen, oder früh, ganz zeitig, wenn es noch dunkel ist, eingespannt werden, damit sie die Schulkinder im Pferdeschlitten zur Bahn fahren können. Mutter kauft dann auf dem Rückweg ein und lädt alles auf den Schlitten. Niemals vergißt sie dabei, gelbe Rüben mitzubringen und sie den Ponys zu geben, damit sie geduldig vor den Läden stehen und nicht, heidi!, mit dem Schlitten hinter sich, der keine Bremse hat, absausen, Richtung Heimat.
Unsere Adventskinder, Ben, der eigentlich Martin hätte heißen müssen, und Steffi, die in der Woche vor dem ersten Adventssonntag Geburtstag hat, dürfen sich zu ihren Ehrentagen etwas Besonderes wünschen. Sie meinen, sie könnten sonst womöglich zu kurz kommen, weil Mutter dann schon die Geschenkschublade sichtet und sagt: »Ach, das lassen wir für Weihnachten – und das bekommen sie jetzt schon ...«
Die beiden haben also jedes Jahr einen Extrawunsch frei. Einen, der »nichts kostet und den man nicht sieht«. Als Ben noch kleiner war, wurde ihm das einmal zugesagt, und er wünschte sich prompt, sich acht Tage nicht waschen zu müssen. »Na, denkst du, das würde man nicht sehen?« fragte Lotte entrüstet. Sie ist die Älteste von uns – nur Arndt ist noch älter – und studiert Medizin. Deshalb ist sie natürlich sehr für die Sauberkeit, genau wie unsere Arzttante Titine, Mutters jüngere Schwester. Und die andern Geschwister behaupteten, man würde das nicht nur sehen, sondern auch riechen. Nein, diesen Extrawunsch bekam Ben nicht erfüllt.
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