Lise Gast
Anja, Petra und die Pferde
Drei Geschichten
von Mädchen und Pferden
Saga
Anja, Petra und die Pferde
© 1997 Lise Gast
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711508312
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.
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Anja und Petra zu Pferde
Die Sonne mußte vergessen haben, daß es nicht mehr Hochsommer, sondern schon September war. Jedenfalls brannte sie beinahe unerträglich vom Himmel herab. Petra war mit dem Fahrrad zum Reitverein gekommen, Anja im Dauerlauf zu Fuß. Sie trafen sich auf dem kleinen Weg, der von der Bundesstraße abbiegt und „frei für Anlieger“ ist, wie das Schild auswies. Heute sollte Heu eingeräumt werden, da mußten sie helfen. Aufatmend sprang Petra vom Rad und ließ es an die Stallwand fallen.
„So eine Hetze, da bestellen sie einen für zwei, und niemand ist da. Nötig ist das ja nicht. Komm, wir verschnaufen erst mal.“ Sie zog Anja an der Hand mit sich zur Halle hinunter und um diese herum. Dort warf sie sich mit einem Schwung ins Gras, daß sie sich um die Längsachse rollte. Anja hatte sich vorher von ihrer zerrenden Hand befreit und blieb stehen, atemlos wie die Freundin, aber immerhin auf den Beinen.
„Immer mußt du rasen! Wir sind ja zur Zeit da!“
„Ja wieder mal die ersten.“
„Wieder mal“ war übertrieben. Petra zerriß das Zielband zwar meist noch im letzten Augenblick, wenn sie irgendwo angefordert wurde, erreichte es aber so gut wie nie mit Zeitreserve. „Ich muß dir was erzählen, ganz schnell, komm!“
„Ja? Was denn?“
„Was Geheimes.“
„Dann schrei nicht so –“
„Hier hört uns ja keiner. Oder etwa Tante Täubchen? Meinst du, daß sie hinter der Gardine lauert?“ Petra zeigte zu dem Fenster hinauf, hinter dem Frau Taubes Stübchen lag. „Tantchen, huhu! Bist du wach oder träumst du im Mittagsschlaf?“ Sie winkte hinauf.
„Nun sag schon, was du erzählen wolltest!“ drängte Anja und setzte sich neben sie. „Du mußt es ja nicht brüllen. Aber schnell, sonst kommt der Heuwagen doch noch dazwischen.“
„Ja. Also – weißt du, daß Cornelia heiratet?“ Petras Augen waren rund wie Tennisbälle, und das Haar sträubte sich um ihren Kopf. Merkwürdig, so was gab es nur bei Petra; bei keinem anderen Menschen, den Anja kannte, hatte sie das je gesehen.
„Natürlich weiß ich das“, sagte sie und lachte. Es war ja längst klar, daß Cornelia, die von ihnen beiden heißgeliebte junge Ärztin, die so gut ritt und überhaupt in jeder Beziehung bewundernswert war, mit Anjas Onkel Kurt verlobt war. Wer verlobt ist, heiratet eines Tages – das war so klipp und klar und einfach, wie zwei mal zwei vier ist. Aber –
„Aber wann? Das weißt du nicht, bitte sehr! Hättest du mich nicht, würdest du es vermutlich erst am Tag der Hochzeit erfahren haben. Es ist nämlich geheim, ganz geheim –“ Petras Flüstern war bereits wieder so laut, daß man es über den halben Sprunggarten hin gehört hätte, wenn jemand dort stünde. Aber niemand außer ihnen war da. Ein Glück.
„Cornelia will nicht, daß es jemand erfährt. Warum, ahne ich nicht“, sprudelte es aus Petra heraus, „aber wir müssen trotzdem was ganz Großartiges anstellen zu dieser Hochzeit. Etwas, das noch nie da war. Weißt du was?“
„Ich? Wie soll ich denn – du hast doch immer die tollen Ideen“, sagte Anja.
Das war kein Witz und keine Ausrede. Petra sprühte vor Ideen, immer schon, seit sie einander kannten. Anja machte dann mit, folgte der Freundin treulich, fand alles wunderbar, aber der geistige Urheber der Ideen war so gut wie immer Petra.
„Weißt du, ich hab’ mir schon was überlegt – bei Hochzeiten von Reitvereinsleuten bilden die Reiter manchmal Spalier vor der Kirche, stehen rechts und links, die Pferde geschmückt – oder –“
„Oder sie reiten zur Trauung?“ fragte Anja. Petra hob die Schultern.
„Hab’ ich noch nie erlebt. Oder – nein, weißt du, warum der Reitverein nichts davon wissen soll? Vielleicht deshalb, weil Onkel Kurt nicht reitet. Darum will Cornelia es geheimhalten.“
„Hm.“ Das konnte Anja verstehen. „Und seine hundert Hündchen können nicht Spalier bilden, das ist klar.“
Sie lachten beide. Onkel Kurt war Tierarzt und züchtete Hunde, besser: Hündchen, ganz kleine, sie heißen Chihuahuas und haben komische kleine Tütenohren, das heißt, für die Köpfe sind diese Ohren nicht klein. Sie stehen hoch und geben den Tierchen einen sehr lustigen, aufmerksamen Ausdruck. Die beiden Mädchen fanden die winzigen Hunde rein zum Verlieben. Aber Spalier bilden konnten sie wirklich nicht.
„Das würde Jahre dauern. Und so lange sollen Cornelia und Onkel Kurt nicht warten müssen mit der Hochzeit“, sagte Petra. „Nein, wir müssen uns etwas anderes ausdenken. Wenn Onkel Kurt schon nicht reitet, vielleicht könnte er in die Kirche fahren , mit Pferden, das wäre doch wunderschön! Das würde Cornelia ganz toll finden, und bei ihm merkte man nicht, daß er nicht reiten kann.“ Petra fand, daß ein Mensch, der nicht ritt, schrecklich mangelhaft sei. Anja war derselben Meinung.
„Fahren? Da müßte man Herrn Taube fragen.“ Herr Taube war ihr Reitlehrer, eine ziemliche Respektsperson. Sie sahen einander nachdenklich an. Ob er es erlauben würde?
„Etwa mit Kerlchen? Im Dogcart?“ fragte Anja nach einer Weile hinterhältig. Petra fuhr auf.
„Immer legst du den Finger auf den wundesten Punkt, das ist geradezu brutal von dir“, sagte sie – so hatte ihr Vater einmal gesagt, als er sich über Mutter entrüstete, die ihn ein wenig damit aufzog, daß er gern gut aß, „weil ich damals Pech hatte und der Dogcart umflog, und überhaupt warst du nämlich genauso schuld. Wenn du –“
„Ich! Wieso ich?“ konterte Anja entrüstet, „ich bin ja nur mitgefahren und unschuldig wie ein neugebornes Fohlen. Du warst es, die Kerlchen –“
Sie lachten beide. Jene nicht ganz nach Plan verlaufene Fahrt mit dem alten, treuen Isländer Kerlchen, den sie heimlich eingespannt hatten, stand ihnen beiden noch deutlich vor Augen. Petra hatte kutschiert und beim Wenden die Kurve zu eng genommen, der Wagen kippte, Kerlchen wollte heim, und Anja hing eine Weile hinten an dem umgestürzten Gefährt, bis sie loslassen mußte und eine tolle Bauchlandung machte, wobei sie ihre Nase genau in den einzigen Knetelhaufen bohrte, der am Wege lag. Das vor allem hatte Petra sehr amüsiert.
„Nächstes Jahr fahr’ ich, und du hängst hinten dran“, grollte Anja.
„Na schön, aber ohne das Brautpaar. Es bedeutet zwar Glück, wenn es in die Brautkrone oder den Brautkranz regnet, aber ob es Glück bringt, wenn man mit der Hochzeitskutsche umfällt, weiß ich nicht. Außerdem müßte man mindestens zweispännig fahren an solch einem Tag!“
„Was heißt ‚mindestens‘? Mehr als zweispännig hab’ ich hier noch keine Kutsche gesehen.“
„Gerade deshalb! Eine Troika haben wir nicht, also müßte vierspännig gefahren werden –“
„Vierspännig? Wunderbar! Vier silbern glänzende Schimmel“, sagte Anja verträumt.
„Und eine Kutsche aus Glas“, fuhr Petra im selben Ton fort, „und ein Prinz darin, neben Cornelia, im dunklen Anzug und mit Brille.“ Onkel Kurt war Brillenträger. „So was hab’ ich mir immer erträumt.“
„Egal, ob Brille oder nicht. Brille ist kein Charakterfehler“, sagte Anja ärgerlich, weil sie aus ihrem Traum gerissen worden war. „Onkel Kurt ist schon in Ordnung, soweit ein Nichtreiter das sein kann. Aber woher nehmen wir den Vierspänner?“
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