„Folge dem Falken! Er wird dir den Weg weisen!“ Los, die Zeit drängte - endlich erkannte er die ernste Lage und die geringe Chance, dem Beduinen zu entkommen.
„Zulu, schnell! Wir müssen weg!“, rief er und lief ihr entgegen. So gut er es noch vermochte, schwang er sich auf ihren Rücken und gab Schenkeldruck. Die Stute rannte los und gab ihr Letztes. Der Beduine kämpfte immer noch mit den Falken, bemerkte jedoch Sharifs Flucht. Aras flog den Flüchtenden vorweg. Er lotste sie in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Auf dem harten, steinigen Boden konnte Zulu schnell an Distanz gewinnen. Nur, dieser Vorteil würde auch dem Verfolger von Nutzen sein, und für einen längeren Ritt würde sie schnell die letzten Reserven verlieren. Sharif drehte sich um und zuckte zusammen, als der Beduine die Verfolgung bereits aufgenommen hatte. Da gab es keine Zweifel, bald würde er ihn eingeholt haben.
„Aaraas!“, schrie der Junge verzweifelt. „Wohin? Der Beduine rückt näher!“
Das entging dem schlauen Vogel natürlich nicht. Aber er hatte eh gleich sein Ziel erreicht. Währenddessen hielt der Beduine im gestreckten Galopp sein Schwert in die Höhe. Der Hengst raste mit unverlorener Kraft der kleinen Stute hinterher. Die Erde erschütterte bei jedem Galoppsprung. Die Falken konnten den Beduinen nicht länger bezwingen. Einige attackierten ihn noch, hingen in seinem Gewand fest und hackten auf ihn ein. Aber der Beduine ließ sich von nichts mehr aufhalten. Die summende Wolke schwebte in angepasster Geschwindigkeit über den beiden.
„Wie soll das enden? Wohin? Wir haben keine Chance!“, dachte Sharif verzweifelt. „Dem Falken folgen!, sagte Danka. Das tun wir doch!“
Vor ihnen lag das verendete Kamel. Aras steuerte direkt darauf zu. Zulu und Sharif folgten ihm bedingungslos. Indessen fehlten dem Beduinen nur noch wenige Meter, um Sharifs Kopf spalten zu können. Der riesige Hengst brauchte nur einen Galoppsprung, für eine Distanz in der Zulu zwei benötigte. Sie schnaufte schnell und zu laut. Sharif wusste, dass sie bis zum letzten Atemzug rennen würde, bis sie tot umfiel. Der Schweiß hatte ihr weißes Fell in ein trauriges Grau gefärbt.
Zulu passierte gerade den Kadaver, als der Hengst ihr fast am Schweif hing. Noch drei, vier Galoppsprünge, und der Beduine wird zuschlagen. Zulu machte einen Haken zur Seite, um dem Angriff des Beduinen auszuweichen. Sharif duckte sich. Das war äußerst klug und rettete seinen Kopf. Das Schwert verfehlte nur knapp das Ziel. Sharif hörte, wie es mit einem scharfen Zischen an ihm vorbei peitschte. Zulu schlug schon den nächsten Haken, aber das war bereits überflüssig. Denn plötzlich geschah das Unfassbare. Allein Aras wusste von diesem Gesetz. Augenblicklich ließ der Verfolger von seinem Opfer ab.
Der Beduine zügelte mit unsagbarer Kraft seinen Hengst und zwang ihn zum Halten. Das Pferd wieherte verstört und wirbelte die Vorderbeine in die Höhe. Sein Herr schrie unverständliche Worte des Zorns. Das Schwert schlug er dabei durch die Luft und der Hengst tanzte auf den Hinterbeinen. Sharif blickte zurück. Er konnte es kaum glauben, aber der Beduine hatte die Verfolgung tatsächlich abgebrochen. Es schien als würde ihn eine unsichtbare Wand zurückhalten.
„Langsam Zulu! Ich glaube wir sind den Wahnsinnigen los!“ Die Stute fiel sofort in Schritt und ließ sich von Sharif wenden. Das wollte er sich doch genauer ansehen. Irgendwas musste doch passiert sein! Zulu war dankbar für die Verschnaufpause. Ihr Puls jagte wie Elektroschläge durch den ganzen Körper. Sharif fühlte das Pochen in ihren Adern. So erschöpft hatte er sie noch nie erlebt. Sie machte ihm Sorgen, aber was war mit dem Beduinen los? Es dauerte ein paar Momente bis er verstand, was den anderen zum Halten gezwungen hatte. Es war die Wolke, die über dem Tierkadaver einfach stehen blieb. Überrascht stellte Sharif fest, dass der Beduine die Kontrolle über die Insekten verloren hatte. Der Gegner traute sich nicht aus dem Schatten zu treten. Hektisch ritt er an der Licht und Schattengrenze auf und ab. Sonnenlicht bekam ihm offensichtlich nicht.
Zulu und Sharif befanden sich außerhalb der schattenspendenden Insektenwolke und somit auf sicherem Terrain. Ein Teil der hungrigen Insekten machte sich über das verendete Kamel her. Im Nu war das tote Tier vollends mit Insekten bedeckt. Während die Blutsauger über den Kadaver herfielen, sich durch jede Pore fraßen, kochte der Beduine vor Wut! Er deutete mit dem Schwert auf Sharif und rief ihm zu: „Dich krieg ich noch! Heute hast du nur Glück gehabt, weiter nichts!“ Dann spuckte er in den Sand. Sharif verstand die tödliche Botschaft, aber für den Moment war er erst mal gerettet und nur das zählte. Starr vor Schock und Erschöpfung blieben Zulu und Sharif wie angewurzelt stehen und konnten ihre Blicke von dem Spektakel einfach nicht abwenden.
Aras musste erneut eingreifen. Er piepte laut und signalisierte zum Aufbruch, denn trotz allem blieb keine Zeit zum Ausruhen! Der Falke flatterte aufgeregt über seinen Schützlingen. Er setzte sogar Sturzflüge ein, sauste aber kurz vor dem Zusammenstoß nach oben weg, um somit die beiden anzutreiben. Endlich bewegte sich Zulu. Mit gesenktem Kopf ging sie Schritt für Schritt vorwärts. Sharif hielt sich in ihrer Mähne fest. Es war ihm gleich, wohin sie marschierte. Einfach nur weg!
Der schlaue Falke setzte sich auf Sharifs Schulter. Immer, wenn der Junge das Bewusstsein zu verlieren schien, zupfte der Vogel an seinem Ohrläppchen. Sharif hob dann wieder seinen Kopf und suchte das Gleichgewicht auf dem Pferderücken. Er vermied es sich umzudrehen. Eigentlich dachte er an gar nichts mehr. Sein Halbschlaf machte ihn für alles gleichgültig.
Die anderen Falken hatten bereits den Heimflug angetreten und kümmerten sich nicht weiter um den Beduinen. Nur Aras begleitete seine Freunde und führte Zulu weiter in Richtung Küste. Er hüpfte zwischen Sharifs Schulter und Zulus Hinterteil hin und her, um beide bei Laune zu halten. Aber Zulus Kräfte schwanden rapide. Immer öfter blieb sie stehen, schwankte und drohte in sich einzufallen. Aras musste sie jetzt ordentlich piesacken. Der stechende Schmerz hielt die Stute dann wieder ein Weilchen auf den Beinen. Dass sie das nicht mehr lange mitmachen würde, war dem Falken klar. Dennoch stand ihnen das Glück zur Seite - der Beduine hatte die Verfolgung nicht mehr aufgenommen.
Sharif hatte diese schwarze Gestalt längst vergessen. Sein Denken glich einem toten Brunnen. Auch der geschwächte Körper war am Vertrocknen. Langsam fiel sein Oberkörper nach vorne auf Zulus Hals und glitt seitlich an ihrem Körper zu Boden. Er merkte den Fall nicht ein Mal. Regungslos blieb er auf dem Rücken liegen. Die Stute machte sofort Halt und schnupperte an ihm. Auch sie hatte ihre letzten Reserven verbraucht und legte sich neben ihm nieder. Zulu schloss die Augen und schlief ein. Dieser katastrophale Tag neigte sich dem Ende zu. Die Sonne lag wie ein feuerroter Ball über dem steinigen Flachland. In einer halben Stunde würde die Erde sie verschluckt haben und die Nacht in der Wüste schnell einbrechen.
Der Wind spielte mal wieder mit dem Sand. Dieser tanzte in kleinen Wirbeln und fegte sanft über Sharif und Zulu hinweg. Bald schon bedeckte eine dünne Schicht ihre Körper, so als wollte die Wüste sagen: auch ihr seid mein! Die beiden lagen wie tot da. Ob Zulu und Sharif diese Nacht überleben würden, weil wilde Tiere dann auf die Jagd gingen, war zu bezweifeln.
Aber da war ein letzter Trumpf in den Lüften. Der geheimnisvolle Falke hatte noch nicht ausgedient. Schon vor einer Stunde hatte er Sharif und Zulu verlassen und befand sich auf dem Heimflug.
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