Die Wüste zeigte sich mit neu geformten Dünen. Nur die Felsen blieben standhaft und befanden sich am selben Ort. Zulu begann ihre Suche an dem Punkt, wo Sharifs Zelt stand. Sie senkte ihren Kopf und schnaubte in den Sand. Manchmal scharrte sie mit ihren Hufen, wenn sie glaubte, etwas gefunden zu haben. Dabei musste sie auf der Hut vor Walzenspinnen oder Skorpionen sein. Gerade die Walzenspinne ist angriffslustig und springt beißend bis auf Kniehöhe. Aber auch das würde sie nicht davor abhalten ihren kleinen Freund so lange zu suchen, bis sie tot umfiel.
Allmählich näherte sie sich dem Felsen, wo Sharif bedeckt lag. Die Stute schnaubte und scharrte, bis sie ihn endlich entdeckt hatte. Vorsichtig blies sie die Sandschicht von seinem Körper und leckte mit der rauen Zunge das Gesicht des Jungen frei. Die sandverkrusteten Augen und Nasenlöcher bearbeitete sie besonders behutsam. Hin und wieder schubste sie seinen Körper, versuchte ihn wachzurütteln und gab einen Laut von sich. Dann leckte sie weiter. Endlich erlangte Sharif das Bewusstsein. Verwirrt nahm er diese raue und feuchte Reibung auf seinem Gesicht wahr.
„Hm...? Bäh, aufhören!“ Er wehrte mit den Händen ab. Zulu quietschte mit ihrer Pferdestimme und schüttelte den Kopf. Wohl eine Mischung aus Empörung und Freude zugleich. Sharif blinzelte in die Helligkeit und versuchte sich aufzusetzen. Zulu war begeistert und nickte immerzu mit ihrem Kopf. Ein widerlich beißender und trockener Geschmack quälte Sharifs Mund und Hals. Mit kräftigem Husten versuchte er das Kratzen auszuspucken. Es half nicht viel. Als er sich beruhigte, blickte er um sich.
„Zulu! Da bist du ja! Ah, bin ich froh! Was ist denn nur passiert?“ Als er diese Frage aussprach, erinnerte er sich an letzte Nacht. „Wo sind die anderen?“ Er stand auf und klopfte den Sand ab. Sharif bemerkte die Schwäche in seinen Gliedern und tat langsamer. Er machte sich Sorgen um die anderen. Außerdem brauchte er ja auch ihren Schutz.
„Oje, sind sie wirklich alle weg?“ Zulu prustete, woher sollte sie das wissen.
„Wo warst du eigentlich? Na ja, ist auch egal. Hauptsache du bist da! Und du hast mich gefunden und gerettet!“ Glücklich lehnte er sich an ihren warmen Körper und kraulte ihren Hals. Zulu hob den Kopf und genoss die Fellmassage. „Ah, da hängt ja noch ein Wasserschlauch an dem Gepäckgurt! Und meine Steinschleuder ist auch da!“ Schnell griff er nach dem Wasser und goss den Rest in seinen Mund. Viel war es nicht. Eigentlich feuerte es den Durst erst richtig an.
„Wo und wie finden wir Wasser?“ Sharif band den leeren Beutel wieder fest. Er wusste es nicht. In die Geheimnisse der Wüste und Überlebensstrategien hatte ihn noch keiner eingewiesen. Nur ein Trumpf konnte ihm eventuell das Überleben sichern. Seine kindliche Unbedarftheit schützte ihn vor Panikattacken und er entschied sich zum Handeln.
„Tja, uns bleibt nichts anderes übrig als weiter zu reiten!“, riet er seiner Stute. Sogleich stieg er auf ihren Rücken, nahm die Zügel auf und fragte zu Reckt: „In welche Richtung gehen wir?“
Es sollte noch schlimmer kommen. Natürlich wollten die beiden so schnell wie möglich nach Hause. Aber sie schlugen einen falschen Weg ein und nahmen Kurs gegen Süden, zum Meer. Die Sonne brannte erbarmungslos, und Zulus sonst so quirlige Beine traten schwer durch den Sand. Von der Karawane blieb selbst nach stundenlangem Reiten keine Spur zurück. Es machte auch keinen Sinn, danach zu suchen. Danka hatte bereits ihr Leben gelassen, überlegte Sharif und hoffte, dass die anderen Reiter und Tiere sich retten konnten.
Die Wüste änderte allmählich ihre Formen und Farben. Dünen und Felsen verschwanden. Der Boden ging in eine harte, steinige Ebene über, in eine typische Hamada. Sharif erkannte, dass er den falschen Weg gewählt hatte. Für eine Umkehr war es zu spät. Sie mussten bald eine Oase oder Karawane finden, um überleben zu können.
„Oh, Zulu! Keine Ahnung wo wir sind! Leider hat dein Instinkt diesmal versagt! Mist, Mist, Mist!“ Sharif war frustriert. Das einzige was sie fanden, lag als verendetes Kamel vor ihnen. Der Kadaver war höchsten einen Tag alt und stank in der Gluthitze. Raubtiere hatten sich bereits bedient, den Bauch aufgerissen und die Eingeweide raus gezerrt. Eigenartig, dachte Sharif, dass Kamele verenden, wo sie doch so lange ohne Wasser auskommen. Oh, er durfte nicht an Wasser denken. Aber er dachte nur daran, an die Oase, seine Eltern und den großen See, wo er so gerne saß und ins Wasser schaute. Diesen hätte er jetzt leer trinken können.
Dabei merkte er nicht, wie sich vor ihm am Horizont ein dunkler Himmel aufbaute. Schritt für Schritt gingen die beiden halb schlafend, halb wachend dieser dunklen Wand entgegen. Plötzlich blieb Zulu stehen. Es dauerte einen kurzen Moment, bis Sharif dies registriert hatte.
„Na komm Zulu, noch ein bisschen! Wir dürfen nicht halt machen!“ Sharif trieb sie vergebens an.
„Gut, ich steige ab! Dann geht´s bestimmt besser!“ Er glaubte tatsächlich, dass es an ihrer Schwäche lag. Als er neben ihr stand und sie sich nach wie vor weigerte weiter zu laufen, bemerkte auch er die nahende Dunkelheit. Überrascht starrte er das Phänomen an.
„Was ist das? Vielleicht ganz schwere Regenwolken?“ In Sharif keimte ein Hauch von Hoffnung auf. WASSER! Er hegte in seinem Leben nur noch diesen einen Wunsch. Zulu stand wie angewurzelt da. Sie ahnte, was direkt auf sie zu kam. Sharif hingegen wusste nicht, ob er phantasierte. Der Wassermangel legte zunehmend sein normales Denken lahm. Er schüttelte den Kopf und versuchte seine Sehschärfe zu bessern. Ausgeschlossen, dieser dunkle Himmel näherte sich rasend schnell. Und plötzlich fühlte Sharif unter seinen Füßen ein sanftes Vibrieren, wie ein leichtes Erdbeben. Die Erinnerung an ein ähnliches Erlebnis schreckte ihn aus seiner Gelähmtheit. Er riss den Mund auf und schnappte nach Luft.
„Oh Himmel! Das ist doch nicht..?“, er wagte es kaum auszusprechen. Sie hätten flüchten können, aber dazu blieb ihnen weder die Zeit noch die Kraft.
Ein schwarzer Punkt, der sich vor der dunklen Wand hervorhob, als sei es das Zentrum des Übels, entwickelte sich trotz der flirrenden Hitze, zu einer deutlichen Reitergestalt. Immer näher kam die Person getragen von einem schwarzen Pferd, auf sie zugerast. Ein langes, schwarzes Gewand flatterte im Wind und ließ den Reiter noch mächtiger erscheinen. Es war unverkennbar der schwarze Beduine, begleitet von seiner Wolke, die ihm Schatten spendete. Sharif hatte das Atmen vergessen und zog jetzt tief Luft ein. Irgendwie half dies ein bisschen die Fassung wieder zu erlangen. Er griff nach seiner Steinschleuder.
„Will er mich etwa umrennen? Dann müsste ich sein Pferd zuerst treffen!“, überlegte er bei klarem Verstand. Etwa einen Sperrwurf entfernt brachte der Beduine seinen Hengst zum Stehen. Mit seinen großen Hufen wirbelte das Pferd reichlich Sand auf. Das kräftige Tier tänzelte nervös und wäre am liebsten über Sharif hinweg gerannt. Was musste bloß Zulu von diesem Hengst halten? Sie hob den Kopf noch höher, ihre Ohren nach vorne gerichtet und gespitzt. Ihr ganzer Körper stand unter Spannung.
„So einfach kriegst du mich nicht!“, motivierte sich der tapfere Junge. Er bückte sich, tastete den Boden ab und schnappte den erstbesten Stein. Schnell legte er ihn in seine Schleuder. Versteckt hielt er beide Hände hinter seinem Rücken, bereit zum Einsatz.
„Eigentlich hat er mir ja gar nichts getan und ich ihm auch nicht! Vielleicht hat er sich nur verlaufen und sucht Hilfe!“ Doch dieser Gedanke schenkte nur für einen kurzen Moment Erleichterung. Sein Instinkt riet ihm zu höchster Vorsicht. Sharif beobachtete jede Bewegung seines Gegenübers. Der Beduine kam langsam auf ihn zugeschritten. Für den Hengst schien Langsamkeit eine Quälerei. Er trabte im Schritttempo, abwechselnd seitwärts und vorwärts. Unterdessen befanden sich Sharif und Zulu in dem Schatten der riesigen Wolke. Sie schwebte viel tiefer als damals im Tal der Muchal Berge. Jetzt konnte Sharif auch ein lautes Summen von dort oben hören. Natürlich wollte er wissen, woher das rührt und blickte hoch. Ein neuer Schlag der Angst schoss ihm in die Glieder, als er das wilde Herumschwirren von Abertausenden von Insekten, Mücken aller Arten und Größen entdeckte. Auch Zulu quietschte vor Entsetzen und trippelte im Stand, bereit zur Flucht. Aber sie musste bleiben, ihrem Freund zur Seite stehen.
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