„Das war aber nicht nett.“ Jetzt war seine Stimme wieder freundlich und gelassen. Von dem Speer oder dem Pfeil in seinem Körper schien er nichts zu bemerken.
Ungläubig sahen wir ihn an.
„Wie macht er das?“, flüsterte Droin.
„Irgendeine Art arkaner Kraft, vermute ich. Aber eine, die ich noch nie gesehen habe“, mutmaßte Anaya ratlos, die sich darum bemühte, Jiang beim Atmen zu helfen, indem sie den Hals mit einer rötlichen Paste einschmierte.
Ich sammelte Energie in meiner Hand und feuerte einen Blitz auf seine Gestalt ab. Doch auch der blieb ohne Wirkung.
Droin wollte auf ihn zu stürzen, doch der Mann hielt ihn mit einer Geste auf: „Das würde ich nicht tun, sonst erstickt eure Freundin. Ich gebe euch noch eine Möglichkeit. Überlasst mir die Magana und zieht eures Weges. Ich bin sogar bereit euch dafür eine Handvoll hiervon zu überlassen. Entscheidet euch schnell, viel Zeit hat sie nicht mehr.“, meinte er geringschätzig.
Achtlos warf er dabei etwas ins Gras zu unseren Füßen. Droin bückte sich und keuchte überrascht auf. Er hielt einen Saphir von der Größe meines Daumennagels in der Hand.
Unterdessen war Jiang auf die Knie gestürzt und ihre Lippen liefen blau an, so sehr sich Anaya auch bemühte, ihr zu helfen.
„Lasst sie los, dann sind wir vielleicht bereit zu verhandeln“, entgegnete ich.
„Wie ihr meint, sorgt nur dafür, dass sie den Mund hält.“
Wieder wedelte er mit der Hand.
Jiang sog keuchend Luft ein.
„Wir werden das besprechen, gebt uns einen Augenblick“, fügte ich zornig hinzu.
„Gut, aber nicht zu lange“, entgegnete er gelangweilt.
Mühsam kam Jiang wieder auf die Beine. Anaya und ich halfen ihr dabei. Deutliche sichtbare Druckstellen von Händen prangten in einem aggressiven Rot auf ihrem Hals. Sie würde einige Tage Schmerzen beim Sprechen und Schlucken haben.
Das war nicht gut, denn sie brauchte ihre Stimme beim Wirken ihrer Zauber.
„Alles in Ordnung?“, fragte ich sie.
‚ Der Hund, dafür wird er bezahlen.’
Sie gestikulierte in Zeichensprache und funkelte ihn wütend an, wobei sie sichtbar nach Atem rang.
Sichtlich ungerührt blickte der Mann zurück.
Beschwichtigend legte ich ihr eine Hand auf den Arm. Unwirsch wischte sie die Hand bei Seite, drehte sich dann aber um und wandte dem Mann demonstrativ den Rücken zu.
‚ Was nun?’, verlangte sie von uns zu wissen.
Droin sah uns an: „Was machen wir?“
„Wir werden ihm auf keinen Fall die Magana überlassen“, entgegnete Anaya. „Sie gehört ihm nicht.“
„Woher willst Du das wissen?“, fragte Kmarr: „Vielleicht ist sie seine Sklavin.“
In der Gesellschaft der Leoniden waren Sklaven ein legitimer Besitz, daher fand er nichts bei dem Gedanken.
„Ist mir egal. So lange die Magana nicht selbst bestimmen kann, was sie will, werden wir sie niemandem überlassen, den wir nicht kennen.“
Jiang signalisierte Zustimmung.
„Wie siehst Du die Sache Drakk?“
Statt etwas zu der Diskussion beizutragen, bedeutete ich den anderen, weiter zu reden. Hier stimmte etwas nicht. Mir war keine arkane Kraft bekannt, die es jemandem erlaubt hätte, Treffer durch Pfeil oder Speer einfach zu ignorieren. Ablenken war in Ordnung, aber ignorieren? Nein, dafür musste es eine andere Erklärung geben.
‚ Er hat mich angegriffen! ’, Jiang sGesten waren schnell und abgehackt, ich hatte Mühe, sie zu verstehen.
‚ Er bekommt von uns gar nichts!’
„Hmm, die Bezahlung ist gut“, warf Droin ein. Naurim waren generell käuflich, wenn das Angebot stimmte, konnte man sie zu fast allem bewegen.
Ich nutzte die Ablenkung und wechselte in der Sicht auf Dunkelsicht, mit der ich Lebensenergie und Wärme wahrnehmen konnte, weil ich hoffte, so hinter das Geheimnis des Arkanisten zu gelangen.
Und tatsächlich: an der Stelle, an der der Fremde stehen müsste, stand niemand. Es war eine Art Puppe aus Holz. Zehn Mannslängen weiter den Hang hinauf und rechts stand der Mann tatsächlich. Um ihn herum saßen oder standen fünf gedrungene Vierbeiner. Vermutlich Hunde.
Vorsichtig, damit er nichts bemerkte, lies ich meinen Blick weiter schweifen, ich tat so, als überlegte ich angestrengt, ob das Angebot gut genug war.
„Ja, das Angebot ist nicht schlecht“, sagte ich laut, während ich den anderen Zeichen machte.
‚ Das ist nur eine Puppe, er steht etwa zehn Mannslängen weiter rechts oben. Er hat fünf Hunde bei sich.’
Droin blickte einen Moment an mir vorbei, dann nickte er.
‚ Ich sehe es auch.’
„Mir ist das zu wenig“, erwiderte Anaya: „Ich will das Doppelte.“ Sie hatte offensichtlich verstanden und spielte mit.
Kmarr bewegte sich ein wenig, so dass seine massige Gestalt dem Mann die Sicht auf mich versperrte. Er zog einen länglichen Gegenstand aus einer Ledertasche am Gürtel. Er bestand aus fünf Rohren, die um einen hölzernen Schaft gruppiert waren. Auf der einen Seite ragten scharfkantige Spitzen heraus. Die anderen Enden waren geschlossen. Die ganze Konstruktion ruhte auf dem Schaft einer Armbrust, an dem seitlich ein Hebel befestigt war.
In den Pranken von Kmarr sah das ganze wie ein Spielzeug aus.
‚ Fertig? ’, signalisierte Droin ihm bewundernd.
Kmarrs antwortendes Grinsen entblößte alle seine Reißzähne und zeigte eine geradezu kindliche Freude.
„Ja“, antwortete er.
„Wie sieht es aus? Es wird Zeit für eine Entscheidung, Freunde.“
Die nasale Stimme klang ungeduldig.
„Wir haben uns entschiede.“, erwiderte ich: „Ihr zahlt zu wenig.“ Bei diesen Worten trat ich so weit um Kmarr herum dass ich den Mann sehen konnte und deutete mit der linken Hand auf ihn: „Wir wollen mehr Geld.“
Gleichzeitig sammelte ich mich und rief Kraft aus dem schwarzen Abgrund in meinem Inneren hervor.
„Was?“, entfuhr es ihm, als sich erneut ein ungesundes, dunkel violettes Leuchten um meine Hand sammelte.
Weiter kam er nicht, da schleuderte ich bereits die Energie auf ihn. Im letzten Moment bewegte ich meinen Arm zur Seite und der Blitz raste der Stelle entgegen, an der ich den Mann aufgespürt hatte.
Kurz bevor sich der Blitz in ihn bohrte, prallte er gegen ein Hindernis. Er fächerte in viele kleine Entladungen auf, die eine Halbkugel nachzeichneten, bevor sie sich harmlos auflösten.
Ein Gutes hatte meine Attacke dennoch, sie enthüllte den Anderen den Standort des Mannes. Seiner Unsichtbarkeit beraubt, konnten wir auch mehr Details seiner Gestalt ausmachen.
Er war älter, als ich zuerst vermutet hatte. Sein Haar war durchsetzt von grauen Strähnen und der goldene Reifen der wie bei der Puppe auf seiner Stirn ruhte, war mit Edelsteinen besetzt. Auch an seinen Händen funkelten Ringe mit kostbaren Steinen. Die Robe hatte eine goldene Borte, die zahlreiche Runen zeigte, die ich aber auf die Entfernung nicht lesen konnte. Seine Augen waren klein und seine Nase hatte entfernte Ähnlichkeit mit der eines Schweins. Das erschien mir irgendwie passend.
„Dafür wirst Du bezahlen! Es war ein Fehler sich mir zu widersetzen.“
Wut verzerrte seine Stimme, die im ersten Augenblick nun sowohl vom Standort der Puppe, als auch von dem Arkanisten selber zu erklingen schien: „Tötet sie!“
Der Befehl galt den Hunden, die mit ihm zusammen sichtbar geworden waren. Wie ein einziges Wesen stürzten sie sich vorwärts.
Die massigen Körper legten ein erstaunliches Tempo vor, als sie auf uns zupreschten. Kmarr hob sein seltsames Gerät an die Schulter und betätigte den Abzug.
Ein eiserner Bolzen von der Länge meines Unterarms schoss aus einem der Rohre hervor und bohrte sich in die Brust eines der Hunde. Das Tier überschlug sich jaulend und blieb liegen.
Читать дальше