Sie wandte sich zum Gehen, doch ich legte ihr noch einmal die Hand auf den Arm.
‚ Weck uns persönlich.’
Auf diese Weise wären wir alle zusammen und konnten uns gegenseitig schützen und gemeinsam verschwinden.
Sie zuckte die Schultern, dann nickte sie und verschwand in der Nacht.
Sobald sie weg war, zog ich vorsichtig die Kettenhaube vom Kopf, ehe ich mich zum Schlafen niederließ. Ich hatte einmal den Fehler gemacht, darin zu schlafen. Drei Tage lang ein verspannter Nacken war es eindeutig nicht wert.
Vermutlich schlief ich schon, bevor ich richtig lag, jedenfalls kann ich mich nicht daran erinnern, worüber ich beim Einschlafen nachgedacht hatte.
- 5 Eckige Weltanschauung -
Nach meinem Gefühl zu urteilen, hatte ich überhaupt nicht geschlafen, als ich eine Berührung am Handgelenk und über dem Mund fühlte. Schlagartig war ich hellwach. Anaya hatte sich über mich gebeugt. Ihre Augen waren groß wie die einer Eule, damit sie in der Dunkelheit besser sehen konnte. Ihre Ohren hatten Ähnlichkeit mit denen von Fledermäusen. Damit konnte sie sogar eine Maus hören, die dreißig Schritte entfernt durch das Gras huschte.
Der Ausdruck in Ihren Augen sagte mir alles, was ich wissen musste. Ärger.
Kommentarlos rollte ich mich herum, um Droin auf die gleiche Weise zu wecken. Anaya huschte währenddessen zu Jiang hinüber.
Droin sah mich überrascht an, denn er hatte Anaya erwartet.
Ärger , signalisierte ich ihm.
Er nickte und griff nach seinem Helm.
Jiang erschien hinter ihrem Vorhang, vollständig angezogen und mit einem gemein aussehenden Dolch und einem ihrer Pinsel in den Händen.
Anaya weckte unterdessen Kmarr und begann dann, ihre Ausrüstung zu verstauen. Ich tat es ihr gleich und zog die Kettenhaube wieder über den Kopf, gefolgt vom Helm.
Sobald alle wach waren, sammelten wir uns um Anaya.
‚ Wir bekommen Besuch ’, bedeutete sie uns. Sie formte eine Hand zu einer nach oben offenen Klaue und hielt die andere mit der Handfläche nach unten parallel zum Boden, bevor sie mit der Klaue eine auftauchende Bewegung machte. ‚Telpare .’
Droin entfuhr ein grollender Laut.
‚ Wie viele?’, fragte er in Zeichensprache.
Anaya schlug mit zwei Fingern in die Handfläche der anderen Hand und formte dann eine Faust: ‚ Zwanzig .’
Ich fluchte innerlich. Diese menschenähnlichen Wesen hatten grotesk lange Beine und Arme und einen viel zu kleinen Körper. Sie waren sehr beweglich und verflucht schnell. Ihre graubraune Haut war lederartig und vollkommen unbehaart. Hände und Füße endeten in Grabklauen, ähnlich denen von Maulwürfen. Sie hatten kleine Köpfe mit winzigen Knopfaugen und großen Ohren. Ihr Gebiss war klein, aber sie hatten sehr lange, nadelspitze Zähne. Ihr Gehör und Geruchssinn waren ausgezeichnet, dafür waren sie praktisch blind. Das war nicht weiter verwunderlich, denn sie lebten unterirdisch, in von ihnen selbst gegrabenen Gängen und Kammern.
Soweit ich wusste, konnten sie nicht sprechen sondern verständigten sich durch sehr hohe Piepstöne. Normalerweise lebten sie in Clans von fünf bis fünfzig Mitgliedern. Sie verteidigten aggressiv ihr Territorium gegen jeden Eindringling.
Jetzt hatte ich eine ungefähre Vorstellung davon, warum das Dorf verlassen war. Wenn in der Nähe ein Telparbau lag, dann war das eine gute Erklärung dafür.
‚ Shadarr?’
Keine Antwort. Ich war überrascht. Das war noch nie passiert. Ich versuchte es noch einmal, mit mehr Nachdruck. Ganz entfernt konnte ich ihn wahrnehmen, aber er schien bewusstlos zu sein. Nicht wenig beunruhigt überlegte ich, wie wir weiter vorgehen sollten.
„Kmarr, wir gehen durch die Wand im Norden. Dann im Bogen zu den Mahren“, entschied ich, ohne bei der Zeichensprache zu bleiben: „Ich trage die Magana. Droin?“
„Nachhut, in Ordnung.“
Er warf sich das von dem Kampf mit dem Baumschleicher noch immer stark beschädigte Schild auf den Rücken.
Anaya reihte sich mit schussbereitem Bogen zwischen Kmarr und mir ein. Jiang trat kommentarlos hinter mich – in Deckung.
„Los!“
Kmarr sprang wie eine Kanonenkugel vorwärts gegen die Nordwand. Er durchbrach sie, als wäre sie aus Papier. Holzbalken und Weidengeflecht flogen krachend in alle Richtungen davon.
Er rannte geradeaus weiter zwischen zwei Häusern hindurch. Anaya sprang durch die Lücke, riss ihren Bogen ohne anzuhalten hoch und der Pfeil durchbohrte einen Telpar, der gerade von einem Dach auf Kmarrs Rücken springen wollte. Ohne einen Laut stürzte die Kreatur auf der anderen Seite hinunter und verschwand aus meinem Blickfeld.
Ich rannte so gut ich mit meiner Last konnte hinter ihr her. Mit beiden Armen hielt ich die Magana fest, so dass mein Schild sie und mich vom Knie bis zum Kinn bedeckte. Lange konnte ich so nicht laufen, aber dafür waren wir von vorne ziemlich gut geschützt.
Hinter mir hörte ich ein leises Flüstern von Jiang, dann wurde es kurz taghell und es folgte ein Sirren begleitet von einem zischenden Geräusch. Der Geruch von verbranntem Fell wehte zu mir herüber.
„Volltreffer“, lies Droin anerkennend verlauten.
Man konnte trotz der schweren Rüstung und den gebrochenen Rippen kaum Anstrengung in seiner Stimme hören.
Wir hetzten zwischen den Ruinen hindurch, durchbrachen vermoderte Zäune oder trampelten Büsche nieder. Ich stolperte über einen vermoderten Balken aber Jiang griff geistesgegenwärtig zu und hielt mich aufrecht. Dann war es Anaya, die mit einem Huf in einen verlassenen Kaninchenbau trat. Ich konnte sie gerade noch vor einem Sturz bewahren.
Kmarr bog so scharf um eine Hausecke, dass er dabei einen guten Teil der Mauer mitriss. Noch während die Reste davon in hohem Bogen in alle Richtungen flogen, rannte ich daran vorbei – und wäre beinahe über Anaya gestolpert, die direkt vor mir angehalten hatte.
Ich schaffte es gerade noch um sie herum zu tänzeln, musste aber die Magana dabei zwischen meinen Beinen zu Boden gleiten lassen damit ich nicht stürzte.
Kmarr war an einer Kreuzung stehen geblieben, seine beiden krallenbewehrten Hände weit zu den Seiten ausgestreckt. Tief gebückt stieß er ein markerschütterndes Brüllen aus.
Über seine Schultern hinweg konnte ich vier Telpare sehen, die nebeneinander vor ihm standen und mit der gleichen Geste ebenfalls ihre Klauen ausgestreckt hatten. Sie versperrten uns den Weg. Auch aus den beiden anderen Wegen tauchten jeweils drei weitere Kreaturen auf. Bis auf hohe fiepende Laute waren sie vollkommen still. Selbst ihre Krallen verursachten kaum Geräusche auf dem weichen Boden.
„Droin, zurück“, rief ich, während ich mich bemühte, die Magana wieder auf meine Schulter zu heben.
„Sinnlos, hinter uns sind auch welche“, gab er mit ruhiger Stimme zurück.
Ich stellte meine Bemühungen ein, ließ die Magana wieder auf den Boden gleiten, und wandte mich stattdessen dem rechten Weg zu.
Anaya trat breitbeinig über den bewusstlosen Körper und hob ihren Bogen. Sie drehte ihren Kopf weit von rechts nach links, wie es Eulen oft taten, dann zielte sie plötzlich durch die Fensteröffnung eines Gebäudes auf der linken Seite. Es gab einen dumpfen Schlag, mit dem der Pfeil traf und dann noch einen zweiten mit dem ein Körper zu Boden stürzte.
Das war das Signal für die Telpare zum Angriff. Sie huschten blitzartig vorwärts – alle auf einmal.
Kmarr wartete nicht auf sie, er sprang geduckt vorwärts. In einem einzigen Satz überwand er die Distanz und riss zwei der Kreaturen zu Boden. Ohne anzuhalten rannte er weiter. Die beiden Telpare, die er nicht getroffen hatte, ignorierten ihn und kamen weiter auf uns zu.
Jiang deutete auf sie und ein grün glühendes Schriftzeichen von einer Mannslänge Höhe schoss vorwärts durch einen von beiden hindurch. Wo die Linien ihn berührten erschienen blutige Streifen. Der Telpar blieb stocksteif stehen und sah verwundert an sich herunter. Dann fiel er in kleine Stücke zerteilt auseinander.
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