„Äh, Renate ...,“ begann Andreas vorsichtig. „Einen habe ich noch.“
Sie drehte sich ruckartig um. „Was sagst du da? Was meinst du damit? Reicht das noch nicht?“
„Nun ja, wir haben ...“
„Was habt ihr?“ Ihre Ungeduld war greifbar. „Dieses Viech gibt schon genug Rätsel auf.“
„Das ist es ja. Es ist eben nicht nur ein Viech.“
„Wie bitte??“
„Wir haben bei der Obduktion natürlich auch den Mageninhalt untersucht. Neben den fast zu erwarteten Resten, die von dem Wildschwein, einem Hund und hiesigen Fischen stammen, gab es da noch etwas anderes. Etwas, was womöglich auch nicht von hier ist.“
Renate sah ihn durchdringend an, sagte aber nichts.
Andreas nahm das als Aufforderung, weiter zu sprechen. „Es hat die gleichen anatomischen Eigenschaften wie unser Monster. Nur dass es kleiner ist und offenbar so etwas wie Hörner trug. Aber viel ist davon nicht mehr übrig. Wir konnten das nur aus den wenigen Resten zusammen stückeln, die wir isoliert hatten. Aber bevor du fragst: Ich bin sicher, dass es kein Tier ist, was wir kennen.“
„Was sagt die DNA-Analyse?“
„Die läuft noch, ebenso die AAS. Ich gehe davon aus, dass wir die gleichen Ergebnisse bekommen wie vermutet.“
„Gut, wir müssen warten. Bitte gib mir sofort Bescheid, wenn ihr die Ergebnisse habt. Und wie gesagt: kein Wort zu wem auch immer, ok?“
„Klar doch.“ Andreas grinste. „Ich habe auch keine Lust auf dumme Fragen und Presserummel. Ich melde mich bei dir. Bist du zuhause oder soll ich dich per Handy anrufen?“
„Am besten mobil. Da kriegst du mich sicher. Bis später dann.“ Sie drehte sich erneut zum Gehen, sah dann aber nochmal zurück. „Das war´s nun wirklich?“
Andreas lachte: „Ja, mehr hab ich wirklich nicht. Noch nicht. Bis später.“
Renate schüttelte den Kopf und hatte kurz darauf das Institut verlassen.
Francois Delandre rührte in seinem Espresso. Es war ein sonniger Frühlingstag, und alle Menschen um ihn herum waren bester Laune. Er saß zusammen mit Richard Forster in einem kleinen Straßencafé an einem runden Bistrotisch, der gerade groß genug war für zwei Personen. Von den anderen Tischen im Raum war nur ein anderer besetzt, während draußen kein Platz mehr frei war.
Richard war früher einmal beim CERN beschäftigt gewesen. Er hatte Physik studiert sich dann auf theoretische Physik spezialisiert. Ihn zeichnete eine ungewöhnliche Beharrlichkeit aus, die bei Forschungsarbeiten normalerweise von immensem Vorteil ist. Genauso ausgeprägt war seine Disziplin sich selber gegenüber. Sowohl bei seinen Arbeiten als auch beim Sport. Seine mittelgroße, drahtige Figur wies ihn als Läufer aus, und tatsächlich hatte er es bereits mehrfach geschafft, die Marathondistanz in deutlich unter drei Stunden zu laufen.
Aber er war auch ein Einzelkämpfer und nicht bereit, die Meinung anderer zu akzeptieren. So verhielt er sich auch seinen Vorgesetzten gegenüber, und die Folge war, dass ihm nach etwas mehr als einem Jahr unter dem Vorwand eines Datendiebstahls, aber letztendlich aufgrund seiner fehlenden Kooperationsbereitschaft gekündigt wurde. Seitdem wuchs sein Ehrgeiz noch mehr, und er begann auf eigene Faust weiterzumachen. Zwar fehlte ihm die Möglichkeit, seine Theorien durch Experimente zu überprüfen, aber er war sich seiner Sache so sicher, dass er meinte, darauf verzichten zu können. Er hatte insofern Recht, weil er ein brillanter Mathematiker war und in der Lage war, in kürzester Zeit auch komplexe Zusammenhänge zu verstehen und logisch nachzuvollziehen. Aber auch die besten Mathematiker, ja selbst Genies wie Albert Einstein arbeiteten zunächst mit Annahmen, die es galt zu beweisen. Dass sie allein in der Theorie ohne Widerspruch waren, reichte in manchen Fällen, aber doch eben nicht immer.
Er hatte noch immer Kontakte zum CERN, aber keine detaillierten Einblicke mehr. Er war aber über die diversen Veröffentlichungen sehr gut informiert und konnte sich so zusammenreimen, was dort passierte. Die Grundlagenforschung an dem großen Teilchenbeschleuniger waren für ihn ganz klar Versuche, ein künstliches schwarzes Loch zu erzeugen. Seinen Theorien zufolge aber wäre das der Anfang vom Ende, denn ein schwarzes Loch besitzt eine dermaßen starke Anziehungskraft, dass selbst das Licht nicht entweichen kann, daher auch der Name. Demnach würde, stark vereinfacht ausgedrückt, ein selbst noch so kleines schwarzes Loch beginnen, alles um sich herum in sich aufzusaugen und dabei immer größer werden. Er traute den beruhigenden Aussagen seiner ehemaligen Kollegen nicht, und auch die starken magnetischen Abschirmungen, die genau das verhindern sollen, überzeugten ihn in keinster Weise. Also begann er, an die Öffentlichkeit zu gehen, die Presse einzubinden. Aber die war nicht zu gewinnen, und so fing er an, seinen Befürchtungen in Form von Demonstrationen vor dem CERN-Gelände Ausdruck zu geben.
Bei einer dieser Demos wurde er doch tatsächlich zu einem Gespräch in das Hauptgebäude gebeten und saß dort dem Pressesprecher Francois Delandre gegenüber. Anfangs war das Gespräch, welches die beiden unter vier Augen führten, durch die beiden gegensätzlichen Positionen sehr kühl und formal. Aber je mehr Richard seine Beweggründe durch Theorien untermauerte, desto mehr beeindruckte er Francois. Dieser aber war Profi genug, um sich zunächst nichts anmerken zu lassen. Aber innerlich kamen ihm dann doch Zweifel, ob das, was dort an Experimenten durchgeführt wurde, nicht doch sehr gefährlich sein konnte.
Sie trafen sich noch zweimal in dieser offiziellen Form, dann aber wollte Francois doch mehr wissen, und sie begannen, sich in unregelmäßigen Abständen abends zu treffen. Auf diese Weise erfuhr Francois viel über die Hintergründe der Experimente, die ihm als gelerntem Journalisten nur sehr oberflächlich bekannt waren. Und für Richard war es der Kontakt zu einem Insider, den er so dringend brauchte.
Auf diese Weise erfuhr Richard auch, dass in der Nähe ein merkwürdiger Stein gefunden wurde, der offenbar ganz einmalige Eigenschaften hatte. Es dauerte nicht lange, bis er ihn mit nicht ganz legalen Mitteln in seinen Besitz gebracht hatte. Dieser Stein faszinierte ihn nicht nur, er wurde zum Mittelpunkt seines Lebens. Er wurde fast magisch von ihm angezogen. Instinktiv spürte er, dass in diesem ziemlich normal aussehenden Kiesel eine wissenschaftliche Sensation steckte.
Ihm war klar, dass er erst Gras über die Sache wachsen lassen musste. Die Leute, allen voran die Presse, waren noch viel zu sensibel und würde jedes noch so kleine Anzeichen sofort aufgreifen, was ihm nur hinderlich sein würde. Aber dann konnte er endlich dem CERN zeigen, was sie an ihm verloren hatten. Nicht nur das, er wollte es der ganzen Welt zeigen. Dieser Gedanke bestimmte alles, was er tat.
Delandre war ein notwendiger Mitspieler, den er brauchte. Zumindest jetzt noch. Und dann dieser Bartels, der von Delandre den geheimen Auftrag bekommen hatte, den Stein zu untersuchen. Beide musste er um jeden Preis unter Kontrolle halten, denn er wollte derjenige sein, der mit Hilfe des Steins als erster kontrolliert zwischen den Parallelwelten hin- und herreisen wollte, er allein. Alle sollten zu ihm aufschauen. Und er würde reich werden, unvorstellbar reich. Es stand unglaublich viel auf dem Spiel, und je länger er darüber nachdachte, desto bewusster wurde ihm das Risiko, das von Delandre ausging. Was wäre, wenn der plötzlich ausstieg? Das musste er auf jeden Fall verhindern. Er rief ihn an, und sie verabredeten sich für den folgenden Vormittag.
Francois war gespannt, was Richard so dringendes zu besprechen hatte. „Es hat doch einen Grund, warum du mich so schnell sprechen willst“, wollte er wissen. „Geht es vielleicht um diesen Stein?“
„Ja, es geht um den besagten Stein.“ Mehr sagte Richard nicht.
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