Es war wirklich dieselbe Pampe, schwer, zerkocht und lähmend. Und die Salate waren seit Montag die gleichen! Heute konnte man überhaupt nur noch den Kopfsalat nehmen, der sah einigermaßen frisch aus. Kopfsalat und eine halbe Breze, das war sogar mir zu wenig – ich stellte das Tablett zurück und holte mir an dem Obststand auf der anderen Straßenseite ein Pfund Trauben und vom Bäcker eine Zehnkornsemmel. Das war doch wenigstens etwas Anständiges! Dietlinde guckte nachher allerdings so hungrig drein, dass ich ihr die Hälfte abgeben musste. Wir hatten die Trauben gerade fair geteilt, als der Bote hereinkam. Um diese Zeit? „Frau Landmann und Frau Schäfer sollten bitte zu Dr. Praetorius kommen.“
Mir fielen die Trauben aus der Hand; hastig sammelten wir sie wieder ein.
„Jetzt kriegen wir Stress“, flüsterte Dietlinde mir zu. „Soll er doch!“ Jetzt kam ich in kriegerische Stimmung. „Ich steh zu meiner Meinung!“
„Ich auch“ – aber das klang ein bisschen hohl. Wir klatschten die Trauben wieder auf den Teller und machten uns auf den Weg in den siebten Stock.
Schicker als bei uns – Teppichboden statt Plastikbelag, die Pflanzen waren gegossen: Ah, Hydrokultur, das war für uns wohl zu teuer?
Wir irrten ein bisschen herum, bis wir das Vorzimmer fanden. Ein Drachen hauste dort. „Was wollen Sie?“
„Schäfer und Landmann, Privatschaden Eins, Dr. Praetorius wollte uns sprechen“, entgegnete ich beleidigt. Wir trieben uns doch nicht zum Spaß hier herum!
Ich wurde mit einem strengen Blick gestraft, Dietlinde dagegen wurde freundlich gemustert – die sah ja auch nicht aus wie Pumuckl. Und einen Rock trug sie auch, genau genommen ein wadenlanges Jeanskleid. Bei Dietlinde war alles aus Jeansstoff, sogar die Umhängetasche. Ich dagegen war schon wieder grau in grau unterwegs, nur trug mein Sweatshirt heute eine unanständige Aufschrift, glücklicherweise auf Gälisch – Achims letzte Guinnesstour. Ich wusste, was der unaussprechliche Satz hieß, aber ich würde mich hüten! „Warten Sie dort drüben!“ Der Zeigefinger erinnerte an „Ab in dein Körbchen, Hasso!“ Ich verbiss mir ein Kichern und folgte Dietlinde in den Wartebereich.
Nach einigen Minuten schaute Praetorius aus seiner Tür. „Frau Treml, sind die beiden Damen – ah, gut. Frau Treml, warum lassen Sie meine Besucher unnötig warten?“ Frau Treml färbte sich unter ihrer goldblonden Dauerwelle rosafleckig und antwortete nicht.
„Kommen Sie bitte mit?“
Etwas beklommen folgten wir ihm in ein riesiges Büro, halb leer, nur ein großer Schreibtisch, penibel aufgeräumt, zwei Schränke und dazwischen ein Regal. Von dem Schreibtisch zwei Stühle für niedrige Lebensformen wie uns, dahinter ein Ledersessel. Keine Pflanzen, aber ein toller Blick über die Stadt.
„Setzen Sie sich doch bitte!“
Wir taten wie geheißen und kamen uns vor wie früher beim Schulleiter. Das konnte nichts Gutes werden, ich verlor allmählich auch allen Rebellionsgeist. „Was haben Sie heute Mittag gegessen?“, fragte er dann. Ich starrte ihn verblüfft an. Er hatte klare graue Augen, etwas heller als meine, die mehr schieferfarben waren.
„Kopfsalat. Und dann haben wir uns Trauben gekauft. Die wollten wir gerade teilen, als uns der Ruf ereilte.“
„Der Ruf?“
„Na, hierher, ins Allerheiligste.“ Ich verstummte erschrocken. Konnte ich denn nicht einmal meine Klappe halten? Praetorius lachte. „Tun Sie mir nicht zuviel der Ehre an, ich bin nicht der liebe Gott, nur der Stellvertreter.“
„Also der Papst?“
Dietlinde trat mich ans Schienbein. „Entschuldigung“, murmelte ich und starrte auf den blassgrauen Teppichboden.
„Wofür denn, wenn ich Ihnen eine solche Vorlage liefere? Nein, ich wollte mich bei Ihnen beiden bedanken. Ihr Brief war sehr aufschlussreich, und ab Januar werden in der Kantine andere Sitten einziehen, die Leiter der übrigen Abteilungen sind ganz meiner – Ihrer – Meinung. So beschneiden wir ja unnötig die Arbeitskraft unserer Mitarbeiter! Und gesund ist dieser Fraß auch nicht.“
„Wir haben Sie gestern in der Kantine gesehen“, platzte Dietlinde heraus.
„Ich weiß. Schließlich habe ich zumindest Frau Landmann schlecht übersehen können, oder?“
Er grinste frech und ich grinste versuchsweise zurück. „Und, haben Sie hinterher auch ein Nickerchen eingelegt?“ Dietlinde trat mich wieder. Sie hatte doch damit angefangen! „Nein, aber ich war knapp davor. Von der Wirkung abgesehen, war das Essen auch geschmacklich eine Zumutung.“
„Stimmt. Wenn wenigstens die Salate einigermaßen frisch wären, und wenn man nur noch alkoholfreies Bier ausschenken würde – ich meine, Bier am Mittag, da muss man ja einschlafen! Und Obst statt der ewigen Puddings, Kompott meinetwegen oder ein kleines Eis mit Früchten, Joghurt oder Quark...“ Mein Eifer erstarb schon wieder, aber nein: Praetorius schrieb sich das tatsächlich auf. „Sehr vernünftig. Man begegnet hier selten einem kritischen Geist – und jetzt gleich zweien!“
Dietlinde errötete sanft und sah anbetend drein. Verguckte sie sich jetzt in den? Kerle in dieser Position waren verheiratet, gerne mit der Tochter des Aufsichtsratsvorsitzenden. Zwei Kinder, eine Freundin, und sie treibt es mit dem Golftrainer. Lass das, Dietlinde!
„Tja, ich hatte mich nur bei Ihnen bedanken wollen.“ Er stand auf, und sofort sprangen wir auch auf. Wir waren schon fast wieder im Vorzimmer, da sprach er wieder. „Frau Landmann, mit Ihnen hätte ich noch etwas anderes zu besprechen – wenn Sie noch einen Moment Zeit haben?“
„Sicher.“
Dietlinde zog ein erschrockenes Gesicht und machte, dass sie wegkam. Ich konnte mir schon denken, was jetzt kam – die taktvolle Frage, ob meine Haarfarbe wirklich so sehr rot sein musste? Echt war das doch nicht, oder etwa doch? Konnte ich nicht etwas diskreter – dem Ansehen der Firma angemessener -? Jaja, das hatte Gundler schon stotternd versucht, und ich hatte es ignoriert, aber wenn sich der Papst persönlich einmischte, konnte ich wohl nicht umhin...
„Okay“, sagte ich also ergeben, „ich färb drüber. Zufrieden?“
„Was?“
„Na, es geht doch um meinen Pumucklkopf, oder?“
„Indirekt ja. Färben Sie das bloß nicht um, das ist perfekt.“
Ich schwankte und musste mich setzen. „Worum geht es dann?“
Praetorius stand auf und trat ans Fenster. Er spielte ein bisschen mit der Jalousieschnur herum, sah hinaus und drehte sich dann um, so dass ich im Gegenlicht nur noch seine Umrisse erkennen konnte.
„Das ist ein bisschen heikel...“
Lieber Himmel! Roch ich schlecht? Hatte ich einen großen Schadensfall vermasselt? Grasmeier verarscht und der war der Neffe vom Aufsichtsratsvorsitzenden? Wuchsen mir plötzlich Haare aus der Nase?
„Immer raus damit, es kann nicht halb so schlimm sein wie das, was ich mir jetzt einbilde! Was hab ich angestellt?“
„Sie haben gar nichts angestellt. Im Gegenteil, Sie scheinen mir – und Ihre Freundin auch – auf Ihren jetzigen Positionen etwas unterfordert zu sein.“
Das stimmte allerdings, aber wenn das heikel war - ?
„Wollen Sie uns feuern, weil wir überqualifiziert sind?“
„Großer Gott, sind Sie aber misstrauisch! Nein, es hat mit Ihrer Arbeit gar nichts zu tun.“
Also hatte mein Deo doch versagt! Musste der sich seine Trauerbotschaft derartig aus der Nase ziehen lassen? Ich beschränkte mich auf ein höflich fragendes Gesicht und dezent ungeduldiges Füßescharren.
„Ich bin sonst nicht so weitschweifig, aber ich habe Ihnen einen mehr als blöden Vorschlag zu machen, der – nein, ich glaube, ich lasse es lieber, es ist wirklich eine Schnapsidee.“
„Kommt nicht in Frage! Jetzt haben Sie mich neugierig gemacht, jetzt können Sie mich nicht so abspeisen.“
„Sie werden ablehnen.“
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