1 ...8 9 10 12 13 14 ...20 Ich wischte mit einer Papierserviette auf. „Jetzt hab ich gar keinen Appetit mehr, wahrscheinlich fliegen die Viecher hier auch schon herum. Komm, kaufen wir uns Mandarinen!“
Wir verzogen uns, als Dr. Praetorius immer noch mit dem verdächtig aussehenden Tiramisù kämpfte, das er sich ausgesucht hatte. Schön blöd, er wäre das ganze Wochenende außer Gefecht gesetzt! Offenbar war er aber hart im Nehmen, jedenfalls tauchte er nachmittags schon wieder bei uns auf, angeblich auf der Suche nach einem bestimmten Fall, der aber unauffindbar blieb, bis er die Schadenssumme nannte und Dietlinde ihn nach nebenan schickte.
„Was für ein eigenartiges Prinzip! Wer hat das eingeführt?“
„Ihr Vorgänger. Ja, es verursacht eine Menge unnötiger Hin- und Herschickerei“, kommentierte ich. „Soll ich es schnell holen?“
„Nicht nötig – aber vielen Dank!“ Er lächelte mich an.
Nachtigall, ick hör dir loofen! Du willst auch bloß, dass ich mich auf diesen Schwachsinn einlasse , dachte ich und lächelte eher kühl zurück.
Dietlinde verzog das Gesicht und lächelte ihn dann strahlend ein, mit ihrer geheimnisvollen Miene, die sich immer einsetzte, wenn sie femme fatale spielen wollte. Das konnte sie gut. Sie sah ja auch viel besser aus als ich! Er erwiderte das Lächeln höflich, zwinkerte mir unübersehbar zu und verließ das Büro – um sich die Akte zu holen? Oder war das nur ein Vorwand gewesen? „Der steht auf dich!“, wisperte Dietlinde hinterher aufgeregt.
„Quatsch. Der will, dass ich was tue, was ich für Unsinn halte, und jetzt will er mich bloß weich kochen“, entgegnete ich, „aber da muss er früher aufstehen, solche Tricks kenne ich schon.“
„Ich würde alles für ihn tun“, seufzte Dietlinde, „er ist doch total süß!“
Dann sah sie mich alarmiert an. „Was will er von dir? Will er mir dir ins Bett?“
Ich lachte verächtlich. „Kaum! Jedenfalls würde ich nicht wollen. Nein, was anderes, aber darüber soll ich doch Stillschweigen bewahren. Jetzt reg dich nicht auf, wenn du ihn einfangen willst, tu dir von mir aus keinen Zwang an. Und Waidmannsheil!“
„Du redest dich leicht. Wie soll ich ihn einfangen, wenn er hinter dir her ist?“
„Himmel noch mal, er ist nicht hinter mir her!“
„Ich glaub aber doch.“
Wie konnte man nur so verbohrt sein! Ich arbeitete schweigend weiter, um zu zeigen, wie wenig mich ihre Verdächtigungen interessierten, aber Dietlinde gab nicht lange Ruhe. Kaum hatte sie einen Fall fertig, fing sie wieder an: „Glaubst du, er ist verheiratet?“
„Ist er nicht. Sagt er jedenfalls.“
„Ach – das hat er dir erzählt?“
„Ja, aber aus durchaus harmlosen Gründen. Jetzt hör doch damit mal auf, das Zeug hier soll noch vor dem Wochenende raus, und du lenkst mich dauernd ab.“
„Oh, entschuldige!“
Jetzt war sie beleidigt, aber nicht für lange, ich kannte sie schließlich.
„Du hast nichts dagegen, wenn ich mein Glück auch bei ihm versuche?“, ging es wieder los, kaum dass ich den nächsten Fall erledigt hatte.
„Warum denn? Bedien dich nur – aber findest du es nicht ein bisschen peinlich? Ich meine, dem Chef nachzulaufen? Damit kannst du hier doch nichts mehr werden.“
„Und was kann ich hier werden, wenn ich es mir verkneife?“ Das war nicht von der Hand zu weisen: Unsere Jobs waren so oder so nicht gerade ausbaufähig.
„Also, mach dich ran, aber beklag dich nachher nicht, wenn alle grinsen.“
„Möchtest du nicht sagen Ich hab´s ja gleich gesagt ?“
„Wenn ich darf – liebend gerne. Hey, es ist fünf nach fünf – jetzt aber nichts wie raus hier!“
Wir packten hastig zusammen. Die übrige Belegschaft schreckte aus ihrer Döshaltung hoch, schob die unbearbeiteten Papiere zusammen und machte sich matt in ein Wochenende auf, an dessen Ende eben wieder diese unbearbeiteten Papiere stehen würden. Dietlinde und ich guckten streberhaft, wischten imaginäre Stäubchen von unseren Schreibtischplatten und warfen einige Briefe in die Post, was uns missmutige Blicke eintrug.
„Was machst du am Wochenende? fragte ich auf der Treppe.
„Ins Nightflight , ein bisschen einkaufen, Weihnachtsgeschenke und so, am Samstagabend eine Party. Und du?“
„Plätzchen backen, heute Abend ins Ratlos und ein bisschen Familie.“ Das letzte war gelogen, aber ich konnte ja nicht sagen, worüber ich intensiv nachdenken musste!
Ich winkte ihr nach, als sie zum Parkplatz abbog, und trabte selbst zur Bushaltestelle. Kalt war´s – und einzelne Flocken wehten mir ins Gesicht. Jetzt hätte ich doch gerne einen austauschbaren Kleinwagen gehabt – aber dazu liebte ich mein Schlachtschiff viel zu sehr, auch wenn ich damit nicht zur Arbeit fahren durfte.
Zu Hause war es dafür umso gemütlicher. Ich zündete die Kerzen an, zog die Vorhänge vor dem mittlerweile recht heftigen Schneegestöber zu und ließ mir ein richtig luxuriöses Schaumbad ein – für eine Wannenfüllung tat es der Boiler gerade noch.
Im heißen Wasser überlegte ich weiter. Wahrscheinlich würden mir alle abraten, und sie hätten auch Recht. Ich hatte ja selbst kein gutes Gefühl bei dieser hirnrissigen Aktion, aber leider spürte ich auch schon dieses Kribbeln.
Dieses Kribbeln hatte mir in der Schule mehrere Verweise eingetragen. Wir hatten ein Playmate des Monats ans Direktorat geklebt, aus der Lehrertoilette das Schloss entfernt und tatsächlich einmal versucht, das Lehrerzimmer zu verwanzen. Das Ergebnis war aber bloß ein langes Gespräch darüber gewesen, ob und wann die einzelnen Pauker ihre Betten machten und woraus ihre Kopfkissen bestanden. Enttäuscht hatten wir von weiteren Lauschangriffen abgesehen.
Das Kribbeln hatte mich auch dazu gebracht, die Party einer sehr hochnäsigen Mitschülerin zu ruinieren, meine Eltern auf die Palme zu bringen, Achim ein Schild Fahrschule auf seinen Wagen zu kleben, Gundula ein Buch zu schenken, wie man Pauker in den Wahnsinn treibt, und meine Nachbarn zu ärgern. Die Sache mit dem künstlichen Hundehaufen (albern und abgedroschen, ich weiß) hatte bei Machls noch wunderbar funktioniert.
Würde es in die gleiche Kategorie fallen, den Eltern von Praetorius die unpassende Freundin vorzuspielen? Unpassend konnte ich bestimmt sein, ich wusste nur nicht, wie unpassend Praetorius mich haben wollte. Er hatte mir eindeutig
zu wenig erzählt!
Das Wasser wurde langsam kalt; ich stieg aus der Wanne, wickelte mich in ein Handtuch und dachte vor dem Kleiderschrank länger nach, bis ich den silbergrauen Nicki und die dunkelgrauen Breitcordjeans aus dem Schrank zog.
Fürs Ratlos reichte das allemal; ich zog ich mich auch weniger wegen der anderen um, die sicher nichts dergleichen getan hatten, als vielmehr, um den Beginn des Wochenendes zu feiern. Im Ratlos war es wie üblich gesteckt voll, ich drängte mich durch die Menge, signalisierte Birgit, dass ich ein Pils wollte, und fand den Ecktisch, an dem sich Hannah schon einen Stuhl erkämpft hatte. Einer war noch frei; wenn noch mehr kamen, mussten wir die beiden ernsthaft über eine Ausstellung debattierenden Frauen irgendwie vergraulen. Hannah bewunderte meine Haare. „Scharfes Rot, echt. Ist das Karotte ?“
„Nein, Edelkupfer. Garantiert nicht auswaschbar. Fast so arg wie Henna, wenn man es unter Plastikfolie einziehen lässt, was? Aber das hat mir schon ein Problem eingebracht."
„Lass mich raten – die Spießer bei eurer Versicherung haben sich aufgeregt?“
„Ja, das auch, aber das meine ich nicht. Ich erzähl´s dir, wenn alle da sind, weil ich eure Meinung brauche. Wer kommt denn noch alles?“
„Anke vielleicht. Cora eher nicht. Vielleicht Bettina auch noch. Sie haben alle gesagt, um acht sind sie da oder sie kommen gar nicht.“
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